Debatte Dejagah: Unter Verdacht

Der "Fall Dejagah" ist zu einem Lehrstück für politische Empörungsroutinen geworden: Seine Absage eines Länderspiels hatte eine Leitkulturdebatte im Kleinformat ausgelöst.

Durch einen späten Ausgleichstreffer gelang der deutschen U21-Fußball-Nationalmannschaft am vergangenen Freitag in Tel Aviv ein 2:2-Unentschieden gegen Israel. Sie ist also noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Wen das interessiert? Normalerweise nur wenige, denn die Ergebnisse dieser Junioren-Auswahl finden meist bestenfalls auf den Randspalten der Sportseiten Erwähnung.

Mit einem blauen Auge noch einmal davongekommen ist auch Ashkan Dejagah. Dabei hat sich der 21-jährige Fußballspieler eigentlich gar nichts zuschulden kommen lassen. Er hatte nur "aus persönlichen Gründen" seine Teilnahme an dem Spiel gegen Israel abgesagt. Sein Trainer hatte seine Begründung dafür akzeptiert, und damit hätte die Sache erledigt sein können.

Nicht aber für die Bild-Zeitung, die augenblicklich eine Kampagne gegen den Spieler anzettelte. Indem das Boulevardblatt die Behauptung streute, Dejagahs Entscheidung hätte politische Motive gehabt, war ein breiter Raum für Spekulationen eröffnet. Wollte der Sportler damit seine Sympathie mit den Palästinensern bekunden? Erkennt er etwa, wie der iranische Präsident Ahmadinedschad, Israels Existenzrecht nicht an? Oder hat er vielleicht, schlimmer noch, grundsätzliche Vorbehalte gegen Juden?

Genau das unterstelle Dejagah jedenfalls die Bild-Zeitung, und konservative Politiker wie Friedbert Pflüger stießen ins gleiche Horn. Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach daraufhin gar von einem "privaten Judenboykott" und forderte den DFB auf, den Deutschiraner aus der Nationalmannschaft auszuschließen. Auch Medien schürten die Empörung: In der Welt schwadronierte Chefredakteur Thomas Schmid von "uneindeutigen Loyalitäten", die "eine Gefahr für eine freie Gesellschaft sein können". Und selbst ein Opportunisten-Blatt wie Vanity Fair war sich nicht zu schade, dem Spieler noch einmal vors Schienbein zu treten, indem es ihn zum "Verlierer der Woche" erklärte. Der überwiegende Tenor der Kommentare lautete: Was erlauben sich Dejagah?

Der öffentliche Druck zeigte Wirkung: Prompt kündigte DFB-Chef Theo Zwanziger an, sich den Jungen in dieser Woche noch einmal vorzuknöpfen und ihn auf Herz und Nieren auf sein Verhältnis zur deutschen Nation zu prüfen. Dejagah, der zwei Pässe besitzt, müsse sich für ein Land entscheiden, so Zwanziger: "Heute Iran, morgen Deutschland", das ginge nicht, so der DFB-Chef: Das klang bedrohlich nach einem nachträglichen Einbürgerungstest.

Nun haben die Kritiker in einem Punkt durchaus recht. Ein Sportler sollte eigentlich keine Unterschiede machen, gegen welche Gegner er antritt, auch nicht aus politischen Gründen. Nur hat Dejagah gestern noch einmal öffentlich klargestellt, dass er mit seiner Länderspiel-Absage lediglich seine Familie habe schützen wollen. Der Iran verbietet seinen Staatsbürgern Reisen nach Israel unter Strafe, und seinen Sportlern jeden Kontakt mit Israelis. Das setzt auch Dejagah unter Druck, zumal dessen Eltern öfters in den Iran reisen, um Verwandte zu besuchen, und sein Bruder in einem Fußballclub in Teheran spielt.

Man kann es natürlich beklagen, dass es dem iranischen Regime möglich ist, quasi über Bande darauf Einfluss zu nehmen, welche Spieler in einer deutschen Fußball-Auswahl aufgestellt werden. Diese Schuld trifft allerdings den Iran und nicht einen 21-jährigen Spieler. Auf internationaler Ebene haben die Weltsportverbände ohnehin längst akzeptiert, dass es da gewisse Probleme gibt. Seit den Siebzigerjahren wird Israel von manchen arabischen Staaten boykottiert, weswegen das Land in sportlichen Wettbewerben ja auch zu Europa gezählt wird. Über die Migration und die Globalisierung des Fußballs hat dieses Problem nun eben auch den deutschen Fußball erreicht.

Die radikale Haltung des iranischen Regimes zu Israel stellt allerdings einen Sonderfall dar, der immer wieder für Konflikte sorgt. Vor drei Jahren kam es bei den Olympischen Spielen in Athen zum Eklat, als der mehrfache iranische Judoweltmeister Arash Miresmaeili nicht gegen seinen israelischen Gegner antreten wollte; in seiner Heimat wurde er dafür anschließend vom iranischen Regime wie ein Held empfangen und mit einer hohen Geldprämie belohnt. Der "Fall Dejagah" liegt anders, auch wenn ihn iranische Medien nun maliziös für seine angeblich "heroische" Entscheidung bejubeln. Diese propagandistische Vereinnahmung darf man ekelhaft finden - dem Spieler zum Vorwurf machen kann man sie nicht.

Das hat nun offenbar auch der Zentralrat der Juden eingesehen. Dessen Generalsekretär Stephan Kramer versuchte, die Wogen zu glätten, indem er den DFB ins Visier nahm: Dieser hätte "intelligenter handeln sollen und Herrn Dejagah besser beraten müssen", so Kramer. "Es kann nicht sein, dass man einen 21-Jährigen in diese brisante Sache reinlaufen lässt." Schon richtig. Kramer hätte aber auch sagen können, dass seine Vorsitzende schlecht beraten war, sich in dieser Angelegenheit so weit aus dem Fenster zu lehnen.

Die deutschen Reaktionen wären sicher ganz anders ausgefallen, wenn sich ein jüdischer oder deutsch-israelischer Fußballspieler geweigert hätte, im deutschen Trikot in Teheran anzutreten: Dafür hätte sicherlich auch die Bild-Zeitung Verständnis gehabt. In Israel nahm man die Affäre übrigens gelassen: Der israelische Fußballverband schwieg, die Medien nahmen kaum Notiz. Und der ehemalige israelische Nationaltrainer Schlomo Scherf ließ verlauten, als Trainer habe er eine solche Entscheidung zu akzeptieren.

So wirkt die deutsche Aufregung um Dejagah im Rückblick wie eine Leitkulturdebatte im Kleinformat: Es geht um die Frage, wie sich ein guter Deutscher zu verhalten hat. Ein Einwandererkind wie Dejagah steht da offenbar erst einmal unter dem Verdacht, die Grundregeln nicht zu kennen, wenn ihm reflexhaft antisemitische Motive unterstellt werden. Dass er sich auf seinen linken Unterarm "Berlin" und auf den rechten "Teheran" eintätowieren ließ, schien ebenfalls gegen ihn zu sprechen.

Auf seinem Nacken prangt dazu der Slogan "Never forget where youre from" - "vergiss nie, woher du kommst". Das dürfte sich allerdings eher auf die Wohnsilos im Berliner Arbeiterbezirk Wedding beziehen, aus denen sich Dejagah in die erste Liga des deutschen Fußballs hochgespielt hat. Denn Dejagahs Familie kam schon vor 19 Jahren aus dem Iran nach Deutschland - ganz sicher nicht, weil sie dort zu den glühenden Anhängern des Regimes gehört hatte.

Mit derart heftigen Reaktionen hatten deshalb weder er noch der DFB gerechnet. Sonst hätten sie sich wohl dafür entschieden, einen Unfall oder eine Krankheit vorzutäuschen - so, wie es schon andere iranischstämmige Fußballer gemacht haben, wenn es um ein Spiel in Israel ging. Doch selbst eine Notlüge kam für Dejagah nicht in Frage. "Ich will niemanden verarschen", gab er zu Protokoll. Klingt nach einem geradezu preußischen Tugendbegriff.

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Daniel Bax ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt über Innen- und Außenpolitik in Deutschland, über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 veröffentlichte er das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

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