Debatte Grundeinkommen: Bedingungslose Sicherheit

Ein vom Staat gezahltes Grundeinkommen für alle ist eine Stilllegungsprämie für die an den Rand Gedrängten. Sie müssen daher mit sozialer Teilhabe verbunden werden.

Eine alte Idee hat wieder Konjunktur: das bedingungslose Grundeinkommen. Für die einen öffnet es das Tor zum Reich der Freiheit, in dem der Zwang zu entfremdeter Arbeit aufgehoben ist. Für andere geht es um die Anpassung der sozialen Sicherung an die neue Realität prekärer Arbeitsverhältnisse. Wirtschaftsliberale Befürworter wollen damit die kostenträchtige Sozialbürokratie überflüssig machen. Nicht zuletzt verspricht das Grundeinkommen, dass entwürdigende Sozialkontrollen außer Kurs gesetzt werden. Wer wollte einem solchen Mix guter Gründe widerstehen?

Tatsächlich findet die Idee Anhänger in allen politischen Lagern. Am stärksten aber ist seine Resonanz im Umkreis der Grünen. Dafür gibt es ideelle wie soziale Gründe. Denn was wie ein Passepartout für alle Bürgerinnen und Bürger aussieht, passt wie maßgeschneidert für die Lebenslage des akademischen Prekariats, also für all die Sozialwissenschaftler, Journalistinnen oder Künstler, die sich von Projekt zu Projekt hangeln. Für sie wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen die perfekte Absicherung ihrer Lebensform.

Soziale Sicherheit und Teilhabe sind unverzichtbare Werte einer demokratischen Gesellschaft. Sie müssen in der globalen Wissensgesellschaft anders definiert werden als in der alten Industriegesellschaft. Zwar kann vom "Ende der Arbeitsgesellschaft" keine Rede sein. Aber die traditionelle "Normalarbeit" mit lebenslanger Festanstellung ist auf dem Rückzug; befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeitjobs, mehrfache Berufswechsel und Selbstunternehmertum nehmen zu. Aus dieser Gemengelage bezieht die Idee des Grundeinkommens ihre Attraktivität. Sie verbindet libertär-individualistische Vorstellungen mit einem starken Impuls der Gleichheit. Dass auch diese Idee mit gravierenden Problemen und Widersprüchen behaftet ist, zeigt sich erst bei näherem Hinsehen: Selbst ein Grundeinkommen in Größenordnungen um 800 Euro ersetzt bedarfsbezogene Sozialleistungen nur partiell. Das gilt etwa für die Jugendhilfe, die Berufsförderung, für Arbeitslosengeld, Krankenversicherung und Alterssicherung, außer man ersetzt das komplette Sozialsystem durch eine steuerfinanzierte Grundsicherung, die durch private Vorsorge ergänzt werden muss. Wäre es daher nicht effektiver (und politisch chancenreicher), Grundsicherungselemente innerhalb der bestehenden Systeme auszubauen?

Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen kollidiert mit den Gerechtigkeitsvorstellungen weiter Teile der Bevölkerung: Weshalb sollte ein steuerfinanziertes Grundeinkommen ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen und ohne jede soziale Verpflichtung gezahlt werden? Solidarität gründet sich auf Gegenseitigkeit - dafür haben gerade die "kleinen Leute", die hart arbeiten und wenig verdienen, ein ausgeprägtes Gefühl. Wer Mehrheiten für ein Grundeinkommen gewinnen will, sollte an der Verknüpfung von sozialen Rechten und Pflichten festhalten.

Die Verknüpfung von Grundeinkommen und gesellschaftlicher Tätigkeit ist auch aus anderen Gründen richtig: Soziale Teilhabe vermittelt sich ganz wesentlich über die Teilnahme am Arbeitsleben. Für Menschen mit geringer Qualifikation, mangelnden Sprachkenntnissen oder gesundheitlichen Problemen kann ein bedingungsloses Grundeinkommen zur "Stilllegungsprämie" werden, die ihre Ausgrenzung verfestigt. Was spricht dagegen, die Zahlung eines Grundeinkommens, das über das bloße Existenzminimum hinausgeht, an die Bereitschaft zu knüpfen, sich weiterzubilden oder eine gemeinnützige Tätigkeit aufzunehmen? Darin läge die Chance, die heutige Zuweisung von Arbeit im Rahmen von Hartz IV durch selbst gewählte Tätigkeiten im Non-Profit-Sektor zu ersetzen.

Aktive Sozialpolitik muss Brücken in den ersten Arbeitsmarkt öffnen und den Anreiz zu Ausbildung und Erwerbstätigkeit erhöhen, statt Prämien für Nichtarbeit zu zahlen. Interessant ist unter diesem Aspekt das Konzept der negativen Einkommensteuer, bei dem ein steuerfinanzierter Zuschlag gezahlt wird, wenn das Arbeitseinkommen unter bestimmten Grenzen bleibt.

Schließlich verfehlt die Fixierung auf ein Grundeinkommen die nichtmonetären Ursachen und Mechanismen sozialer Exklusion. Chancenarmut ist nicht allein und nicht in erster Linie mit höheren Einkommenstransfers zu begegnen. Wer die Vererbung von Armut über die Generationen hinweg bekämpfen will, muss vor allem in Bildung und Erziehung investieren. Hier entscheidet sich, ob Menschen in die Lage versetzt werden, ihr Leben aus eigener Kraft zu meistern. Der Sozialstaat von morgen muss vor allem ein investiver Sozialstaat sein.

Ein allgemeines Grundeinkommen und Investitionen in die soziale Infrastruktur sind kein Widerspruch an sich. Aber sie kollidieren doch miteinander, sobald es um die Verteilung knapper Finanzmittel geht. Ein Grundeinkommen, das deutlich über dem heutigen Niveau von Hartz IV liegt, konkurriert unweigerlich mit Mehrausgaben für Bildung, Kultur und andere "öffentliche Güter". So oder so müssen die Steuereinnahmen steigen. Dafür gibt es vielleicht sogar politische Mehrheiten. Wer aber glaubt, die Einkommensteuern könnten beliebig nach oben getrieben werden, lebt nicht in dieser Welt. Auch die Akzeptanz für höhere Öko-Steuern wird rasch sinken, wenn sie additiv zu den bestehenden Abgaben erhoben werden. Im Zweifel muss es vorrangig sein, mehr Geld in die Qualität von Kindergärten, Schulen und Hochschulen zu stecken, Jugendarbeit und Sportvereine zu fördern und in die Gesundheitsvorsorge zu investieren.

Fraglich ist auch, wieweit ein bedingungsloses Grundeinkommen im nationalen Maßstab realisiert werden kann. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass ein "nationales" Grundeinkommen die Abschottung gegen Zuwanderer noch verstärken und zu einer scharfen Selektion zwischen Anspruchs-berechtigten und Nichtberechtigten führen würde.

Wenn man um Mehrheiten für den Einstieg in ein Grundeinkommen werben möchte, sollte man sich vor allem für drei Modelle stark machen: Für die negative Einkommensteuer, für die Kombination von Bürgerarbeit und Bürgereinkommen und für ein Bildungsgrundeinkommen. Die negative Einkommensteuer fördert Übergänge in die Erwerbsarbeit. Das Konzept Bürgerarbeit bietet eine Alternative im Non-Profit-Sektor: Jeder Arbeitslose soll für eine befristete Zeit eine Tätigkeit bei gemeinnützigen Unternehmen, Vereinen und Projekten aufnehmen können, die seinen Fähigkeiten entgegenkommt, und dafür ein "Bürgereinkommen" deutlich über dem Hartz-IV-Niveau erhalten. Das Bildungsgrundeinkommen bietet allen eine steuerfinanzierte Sicherung ihres Lebensunterhalts, die an einer Ausbildung teilnehmen. In Verbindung mit massiven Investitionen in Bildung und andere öffentliche Dienstleistungen wäre das eine zeitgemäße Strategie sozialer Teilhabe.

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