Lokführer und Bahn-Callcenter-Mitarbeiter: "Kein Streik gegen Lieschen Müller"

Die Lokführer werden immer ungeduldiger. Die Callcenter-Mitarbeiter der Bahn machen Überstunden. Eindrücke von der Streik-Front.

"Mir tun die Kunden ja auch leid, die können nichts dafür und kriegen alles ab": Callcenter-Mitarbeiterin Margit. R. Bild: dpa

Es ist kurz nach 6 Uhr und noch finster draußen, aber Frank Gillich ist schon auf Tempo 190. Zumindest innerlich. "Wissen Sie", schnaubt er, "ich würde auch lieber fahren als hier herumstehen. Aber ich habe meine Ehre! Ich bin Eisenbahner in der vierten Generation!" Er hält eine angebissene Käsestulle in der rechten Hand. Vor lauter Ärger kommt er gar nicht zum Frühstücken. "Unsere Lebensleistung wird in den Dreck getreten. Was bleibt uns da anderes übrig?"

Frank Gillich, 49 Jahre, hat heute früh um 4.30 Uhr nicht den Dienst als Lokführer bei der S-Bahn angetreten, er hat sich zum Streik gemeldet genau wie 3.070 Kollegen im ganzen Land. Jetzt steht er auf dem engen Flur eines Fabrikgebäudes im Berliner Osten. Mit seiner Wut ist Gillich im Streiklokal gut aufgehoben. Dieser Arbeitskampf soll endlich richtig wehtun - da sind sich die Kollegen einig. Vielen ist der Streik zu zahm und zu zäh geworden. Sie wollen nicht mehr über die Probleme der Leute diskutieren, die nebenan schlotternd auf eine S-Bahn warten. Sie wollen endlich Erfolge sehen. "Wenn ich Bäcker wäre", sagt Gillich gereizt, "dann gäbe es heute keine Brötchen. Aber ich bin Lokführer. Also fährt der Zug nicht." Die Kollegen nicken. So einfach ist das.

Zwölf Kilometer weiter westlich, ein modernes Bürohaus nahe des Berliner Tiergartens. Hier sitzen in einem schallgedämpften Großraumbüro 200 Kollegen von der Streik-Hotline der Bahn, auf dem Kopf ein Headset, den Blick auf ihre Computer mit den Notfall-Fahrplänen gerichtet. Sie müssen sich die Fragen, Sorgen und Wutausbrüche derjenigen anhören, die jetzt anrufen bei der bahneigenen DB Dialog Telefonservice GmbH. Bis zu 60.000 Anfragen stündlich sind es zu Spitzenzeiten - das sind fünfmal so viele wie sonst an einem ganzen Tag beim Reiseservice. 1.700 Mitarbeiter insgesamt hat die Bahn während des Streiks hierfür in ihren bundesweit sechs Callcentern abgestellt, gearbeitet wird rund um die Uhr, eine Schicht kann bis zu neun Stunden dauern, die erlaubte Pause zwischen zwei Anrufern beträgt drei Sekunden.

"Na ja", sagt Margrit R. und streift ihr Headset ab, "natürlich ist das anstrengend, aber zum Glück sind die meisten Anrufer höflich." Erwartet hätte sie eine weitaus wütendere Kundschaft, erzählt die 58-Jährige, schließlich gab es schon so viele Streiks. "Da könnte man ja denken, dass das Verständnis bei den Betroffenen schwindet. Tut es aber nicht", sagt Margrit R. Die meisten wollten einfach nur wissen, wie sie ans Ziel kommen könnten, und wenn trotzdem mal einer ungehalten werde, dann habe sie eine gute Strategie parat: "Mir tun die Kunden ja auch leid, die können nichts dafür und kriegen alles ab", sagt sie, "das lasse ich sie spüren, dann sind die auch wieder freundlich zu mir."

Er streikt ja auch gar nicht gegen "Lieschen Müller", sagt der Lokführer Frank Gillich. Seine Gegner sitzen in den Chefetagen der Bahn. Gillich weiß, was pendeln heißt. Er kurvt selbst jeden Tag von Cottbus nach Berlin zur Arbeit, um 2.50 Uhr ist er heute aufgebrochen. Von den 1.407 Euro Nettogrundgehalt, die er in seinem 32. Dienstjahr bezieht, muss er auch noch den Sprit bezahlen. "Berufspendler", sagt Gillich, "sind ohnehin arme Schweine."

Das wissen sie auch im Callcenter. Die wenigsten können sich vom Haustarif der Bahn eine Wohnung in der Innenstadt leisten, viele reisen aus Brandenburg an. Jetzt, während des Streiks, zahlt die Bahn einigen die Hotelübernachtung in Berlin: Wenn schon kein Zug mehr fährt, dann soll das wenigstens pünktlich kommuniziert werden. Weswegen die Telefon-"Agenten" jetzt Überstunden machen. Der eine Teil der Bahnfamilie streikt, der andere schuftet. Was beide verbindet, ist das bescheidene Gehalt. Muss es da nicht krachen?

"Ich wäre froh, wenn wir diese Frage aussparen könnten", sagt Andreas Fuhrmann, der stellvertretende Pressesprecher für Personenverkehr. In einer ihrer größten Krisen schottet die Bahn sich ab. Die Stimmung in der Belegschaft ist ein Tabuthema. Die Interviewpartner aus dem Callcenter hat das Unternehmen sorgfältig ausgesucht; die Herren von der Presseabteilung verfolgen die Gespräche. Und so sagt der 26-jährige Telefonagent Christian K.: "Ich habe Verständnis für beide Seiten. Aber eine Einigung muss her."

Auch im Streiklokal hinter dem Berliner Ostbahnhof zeichnen die Kollegen ein harmonisches Bild. "Die Stimmung ist positiv", versichert der ICE-Zugführer Andreas von Rappard. "Sogar bei den Kollegen, die jetzt weiter arbeiten müssen." Von einer Spaltung der Belegschaft will hier keiner etwas wissen. Von Rappard hofft, dass "es bei Mehdorn spätestens am Samstag klingelt".

Damit rechnen andere Streikende inzwischen nicht mehr. Sie warten nur noch darauf, dass GDL-Chef Manfred Schell in den nächsten Tagen endlich den unbefristeten Streik ausruft. "Sonst", droht Lokführer Gillich offen, "würde ich unserem Vorstand einen geharnischten Brief schreiben." Wie lange sie durchhalten wollen? "Bis zum bitteren Ende", brummt ein Kollege.

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