Das Montagsinterview: "Ich bin kein intellektueller Typ"

HANS WEINGARTNER

"ich mache meine Filme nicht für Zehlendorf, die sollen auch im Wedding laufen": Filmemacher Hans Weingartner Bild: Reuters

taz: Herr Weingartner, sind Sie ein Idealist?

Möbel rücken und Quoten manipulieren: Mit Filmen wie "Die fetten Jahre sind vorbei" und "Free Rainer" kämpft der 37-jährige Filmemacher Hans Weingartner gegen die Arm-Reich-Schere und das Privatfernsehen. Die Gesellschaft verbessern will der studierte Neurochirurg und frühere Hausbesetzer nicht - das soll sein Publikum übernehmen, sagt er. Privat hat der gebürtige Österreicher sein gesellschaftliches Utopia gefunden: In einem besetzten Haus in Friedrichshain.

Hans Weingartner: Nein, ich mache das, was mir Befriedigung gibt. Mein erster Film "Das weiße Rauschen" handelte von Schizophrenie. Heute noch rufen Leute bei meinen Eltern an und bedanken sich, weil sie ihre betroffenen Kinder besser verstehen. Das bedeutet mir mehr, als auf dem roten Teppich in Cannes zu stehen.

Dort landeten Sie den ersten Erfolg mit "Die fetten Jahre sind vorbei". Sehen Sie sich als Aufklärer?

Ich bin ein Filmemacher, der seinen Job macht. Aber meine Filme werden zum größten Teil aus öffentlichen Fördermitteln bezahlt, nicht nur deshalb spüre ich eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Ich sehe meinen Job als Künstler darin, zu reflektieren, Tendenzen aufzugreifen.

Welche Tendenzen sind das?

Die totale Ökonomisierung aller Lebensbereiche beispielsweise. Die des Geistes, wie ich sie in "Free Rainer" thematisiere, ist nur ein Teil davon: Es wird im Fernsehen und Kino nur noch das produziert, was Quote bringt. Ich habe das Gefühl, dass das Fernsehen unsere Kultur zerstört.

Dass Fernsehen dumm macht, ist nicht gerade eine neue Erkenntnis ...

Nein, aber dass ganze Teile der Bevölkerung aufgegeben und vor die Glotze abgeschoben werden, weil sie nicht wertvoll genug sind, um im Produktionsprozess mitzumachen, das ist neu. Und gefährlich.

Niemand ist gezwungen, Privatfernsehen zu gucken. Es gibt ja den Ausknopf.

Der freie Wille ist ein bürgerliches Konzept, eine Illusion. Es gibt keine ungeformten Menschen. Jeder, der vor der Glotze sitzt, ist ein Produkt sozialer Zusammenhänge.

Und mit Ihren Filmen wollen Sie die geknechteten Massen agitieren?

Missstände aufzeigen ist mir zu wenig, ich will zum Handeln anregen. Deswegen biete ich Lösungs- und Handlungsvorschläge. Das sind aber nur ironisch gebrochene Möglichkeiten. Die Gesellschaft verändern müssen nachher die, die den Film gesehen haben.

In "Free Rainer" braucht es einen Gruppenführer, der die Arbeitslosen zur Revolte führt. Sind Sie Kommunist?

Ich bin überhaupt kein -ist. Und kein Anhänger autoritärer Gesellschaftsstrukturen. Ich sympathisiere mit der Graswurzelrevolte. Und dem anarchistischen Grundgedanken, dass der Mensch gut ist und fähig, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dass es auch ohne Chef geht. Irgendjemand muss aber erst mal auf die Idee kommen, sich gegen Unterdrückung zu wehren.

Ein Gedanke, der leicht in die Irre führen kann. Auch die RAF glaubte, im Namen der Massen zu handeln.

Die RAF war ein elitärer Haufen, deren Erklärungen hat kein Mensch verstanden. Die Bewegung 2. Juni war viel näher am Volk. Weil sie sich verständlich ausgedrückt haben, versucht haben, keine Unschuldigen zu treffen, Humor hatten. Zum Beispiel haben sie bei Banküberfällen Schokokugeln verteilt, Schwedenbomben. Das hatte Witz und Stil.

Die Klimafreunde, die Luft aus den Reifen von Geländewagen lassen - ist das Ihr Ding?

Die finde ich sympathisch: Sie tun keinem weh und vielleicht verkaufen ja ein paar Leute ihre spritschluckenden Wagen. Ich hoffe, dass sich dieser subversive Geist weiter verbreitet. Man müsste eine Aufbruchsenergie erzeugen.

Die "fetten Jahre" hatten in der Hinsicht Signalwirkung, einige Gruppen ahmten die subversiven Strategien aus dem Film nach. Macht Sie das stolz?

Schon. In Hamburg gab es eine Gruppe, die in "Fette Jahre"-T-Shirts Luxusrestaurants stürmten. In der Schweiz sprühten welche "Die fetten Jahre sind vorbei" auf den Boden einer Bank. Das sind zwar nur Nadelstiche. Aber die Heuschreckendebatte damals, das war schon was.

Sie glauben, dass Franz Münteferings Vergleich zwischen Private-Equity-Firmen und gefräßigen Heuschrecken von Ihrem Film beeinflusst war?

Ich bin mir sehr sicher, dass er den Film gesehen hatte, der damals gerade startete. Ein Zufall war das nicht.

Engagieren Sie sich über Ihre Filme hinaus politisch?

Es geht so, ich habe wenig Zeit. Ich bin Greenpeace-Mitglied und vielleicht gebe ich nächstes Jahr auf einem Attac-Kongress ein Seminar über subversive Strategien.

Woher kommt Ihr Nicht-Einverstandensein, war das schon in Ihrer Jugend angelegt?

Ich komme aus einem konservativen katholischen Elternhaus, das ist vermutlich eine Gegenreaktion. Es ist doch völlig normal, dass man als junger Mensch alles in Frage stellt und rebelliert.

Nun sind Sie aber keine 18 mehr ...

... sondern 37, stimmt. Aber ich behalte mir diesen jugendlichen Geist. Als Künstler hat man auch das Privileg, sich nicht anpassen zu müssen.

Sie haben Neurobiologie studiert, sind dann erst zum Film gekommen. Dazwischen waren Sie Skilehrer und Kanuführer. Eine Suchbewegung?

Es war eine lange Suche, von 18 bis knapp 30. Ich habe mich nirgendwo in der Gesellschaft richtig wohl gefühlt. An der Filmhochschule hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Da gehörst du hin.

Sie sind gebürtiger Österreicher, haben lange in Wien gelebt. Wenn Sie geblieben wären, würden Sie dann andere Filme machen?

Ich bin schon aus Wien weg, bevor ich zum Film gekommen bin. Diese depressive österreichische Art, diese Lust am Schmerz, das ist nicht meine Art. Jammern reicht mir nicht. Die Leute in meinen Filmen, die kämpfen, die strampeln und tragen Konflikte aus.

Deshalb sind Sie nach Berlin gekommen, in die Hauptstadt des Strampelns und Strauchelns?

Ja, 1994 war das. Wien war damals fest im Griff von alten Menschen. Da wirst du erst respektiert, wenn du im Zentralfriedhof unter der Erde liegst. Berlin war eine Erfrischung, da wurde noch was gemacht: Man besetzte Häuser, es gab Demos, jeder hatte so seine Projekte am Laufen.

Obwohl die ganz wilden Hausbesetzerzeiten 1994 vorbei waren.

Ich wohnte ein Jahr lang in einem besetzten Haus in Alt-Strahlau, ein Sonderfall in der Szene. Das waren keine Anarchos, sondern Blumenkinder und Hausbesetzer-Veteranen, die schon zehn Häuser besetzt hatten und etwas zur Ruhe kommen wollten. Es gab viele politisch aktive Menschen in dem Haus. Aber die Gruppe war sehr harmonisch.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Hausbesetzerfreunden von früher?

Zu ein paar schon, klar. Die meisten sind aber ausgewandert oder aufs Land gezogen. Aber so ein Haus wäre nach wie vor mein Lebenstraum. Leider kann man heute keine Häuser mehr besetzen. Sich mit Freunden zusammen ein Haus kaufen, das wäre nie dasselbe.

Sind Ihre Filme Versuche, alte Zeiten heraufzubeschwören?

Ich will dahin nicht wieder zurück. Damals, als alle Häuser geräumt und saniert wurden, bin ich nach Köln, weil ich das nicht mit ansehen konnte. Ich mache jetzt Filme, weil das die beste Sprache ist für mich. Ich bin jemand, der in Vereinen und Parteien überhaupt nicht funktioniert. Diese Plena früher haben mich fertig gemacht.

Gehört Basisdemokratie nicht zum wilden Leben?

Ich bin nicht der Typ für Politik, ich bin zu wenig kompromissfähig. Aber es geht sowieso nicht um mich, sondern darum, was ich mit meinen Filmen erzählen will. Wie ich selber bin, geht keinen was an.

Ihnen wurde vorgeworfen, die TV-Rechte für Ihre TV-Satire "Free Rainer" an Vox verkauft zu haben. Stimmt das?

Der Verleih Kinowelt hat die Rechte weiterverkauft, ich hatte da kein Mitspracherecht. Erst musste ich schlucken, aber das kann man auch als Trojanisches Pferd sehen. Wenn der Film auf Vox läuft, sehen den 10 Millionen Leute. Ist doch super.

Vox gehört allerdings zur RTL-Group. Die sendet genau den Trash, den Sie verurteilen.

Vox ist ein eigenständiger Sender. Der Geschäftsführer hat das selber entschieden, weil er den Film so gut fand. Wenn jetzt einer sagt, ich hätte mich verkauft, ist das kindisch. Außerdem kann Kinowelt nix dafür, wenn die öffentlich-rechtlichen Sender den Film nicht haben wollen. Das enttäuscht mich auch immer wieder an der Linken. Gerade die haben auf "Die fetten Jahre" eingehackt. Die Typen, die von der Weltrevolution schwafeln, sollen lieber auf Springer losgehen. Aber nicht meine Motive anzweifeln.

Ihren Filmen kann man kaum schlechte Absicht vorwerfen. Eher die Überdeutlichkeit der Botschaft. Das Plakative.

Ich wollte einfach, dass jeder den Film versteht, nicht nur die Intellektuellen. Ich mache meine Filme nicht für Zehlendorf, die sollen auch im Wedding laufen. Die linksliberale Bildungselite sondert sich schon seit Jahren ab. Die kucken Big Brother und denken "Bin ich froh, dass ich nicht so primitiv bin". Diese Haltung mag ich nicht.

In "Free Rainer" sind Reclamhefte und Autorenfilme die Rettung vor dem bösen Fernsehen. Das ist elitär, oder?

Nein, das ist Satire. Ich bin kein intellektueller Typ. Ich komme vom Dorf, aus einer Großfamilie in Vorarlberg. Da gabs keine französischen Filme, sondern Rambo und Superman.

Welchen gesellschaftlichen Missstand nehmen Sie sich jetzt vor?

In meinem nächsten Film geht es darum, wie die erste Welt die zweite ausbeutet und die zweite die dritte. Ein perverses Verhältnis, das unser kollektives Bewusstsein beschädigt.

Kollektives Bewusstsein?

Ich bin ein spiritueller Mensch, ich glaube an die Weltseele. Dass wir ein großer Organismus sind. Davon wird mein übernächster Film handeln.

Gibt es eigentlich etwas, zu dem Sie nichts zu sagen haben?

Rechtsextremismus. Ein überfälliges Thema, aber problematisch. Kino soll Hoffnung machen, aber bei einem so düsteren Stoff wüsste ich nicht, wie das gehen sollte.

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