Angeblich gesunde Lebensmittel: Milliardengeschäft mit Functional Food

Die Industrie preist Produkte zunehmend mit gesundheitsfördernden Eigenschaften an. Die meisten würden einer wissenschaftlichen Bewertung nicht standhalten.

Lebensverlängernd oder einfach nur cremig: Der Joghurt aus dem Supermarktregal Bild: dpa

Nahrung soll gesund machen. In den Supermärkten gibt es zahlreiche Erzeugnisse zu kaufen, die angeblich die Fitness stärken sollen: probiotische Joghurts zur Stärkung des Abwehrsystems, Brot mit Omega-3-Fettsäuren oder Knoblauch-Präparate zur Senkung des Cholesterinspiegels. All das wird als Functional Food bezeichnet: Angereichert mit Vitaminen, Spurenelementen oder Enzymen sollen die Lebensmittel fit und jung halten - so verspricht es jedenfalls die Werbung. Zumindest eines ist sicher: Der Industrie eröffnet sich damit ein Milliardengeschäft.

Alles andere ist jedoch weniger eindeutig. So existiert in der Europäischen Union (EU) für Functional Food keine lebensmittelrechtliche Definition. Der Begriff steht für einen Trend, der zunächst in Japan aufkam und in den Neunzigerjahren auch Deutschland erfasste. Functional Food sind Lebensmittel, die einen gesundheitlichen Zusatznutzen versprechen. Er geht über das hinaus, was herkömmliche Lebensmittel vermitteln: Sättigung, Zufuhr von Nährstoffen und Befriedigung von Genuss und Geschmack.

Da der Begriff des Functional Food bislang in keiner Rechtsnorm auftauchte, fallen die Produkte in Deutschland unter das allgemeine Lebensmittelrecht beziehungsweise unter die Rahmenrichtlinien für diätetische Erzeugnisse. Für Lebensmittel gilt in Deutschland ein Verbot für gesundheitsbezogene Werbung. Es stellt sich daher die Frage, ob es rechtlich zulässig ist, Knoblauchpräparate als Allheilmittel gegen einen erhöhten Cholesterinspiegel anzubieten, wie es seit langem geschieht. Genau genommen ist in Deutschland ein Produkt, das mit Hinweis auf eine Cholesterin senkende Wirkung verkauft wird, auch kein Lebensmittel mehr, sondern ein Arzneimittel.

Zwar wird als wichtigste Funktion eines Medikamentes die Heilwirkung verlangt. Aber auch Vorbeugungs- und Verhütungsmittel, diagnostische und anästhetische Mittel sind Arzneimittel. Im Gegensatz zu den USA ist in Europa die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel verboten.

Ob die Health-Claims-Verordnung, die am 1. Juli 2007 in der EU in Kraft trat, Klarheit schaffen oder noch mehr Verwirrung stiften wird, ist zurzeit umstritten. Da es sich um eine Verordnung und keine Richtlinie handelt, gelten die neuen Rechtsvorschriften sofort in allen EU-Staaten. Sie haben Vorrang vor nationalstaatlichen Gesetzen. Bis Mitte 2009 soll die Verordnung im Wesentlichen umgesetzt sein.

Von nun an gilt: "Was nicht erlaubt ist, ist verboten." Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben - so genannte Health Claims - zur Werbung und Kennzeichnung von Lebensmitteln sind nur noch dann gestattet, wenn sie durch die Health-Claims-Verordnung ausdrücklich zugelassen sind und den von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) noch zu entwickelnden Nährwertprofilen entsprechen.

Das bedeutet, dass Versprechen wie "Stärkt die Abwehrkräfte" oder "Gut für die Adern" nur noch dann auf einer Verpackung stehen dürfen, wenn sie in die europäische Positivliste aufgenommen wurden. Zudem soll der Käufer erfahren, wie viel er einnehmen muss, um die Wirkung zu erreichen und ob ein übermäßiger Verzehr Schaden anrichten kann.

Die Confederation des Industries Agro-Alimentaires (CIAA) möchte bei den Behörden mehr als 300 Health Claims anmelden. Welche Verheißungen die EU- Kommission schließlich genehmigen wird, ist noch unklar. Die Angaben sollen auf anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Hierzu muss die Wirkung durch mindestens zwei klinische Studien bestätigt worden sein. Bisherige Ergebnisse stützen sich auf wenige, teilweise ungeprüfte Studien der Hersteller. Für viele Inhaltsstoffe mit angeblich positiver Wirkung lässt sich daher zurzeit weder ein Nutzen garantieren noch ein Schaden ausschließen. So wird momentan über die Frage, ob Vitaminpräparate dem Menschen nutzen oder ihm vielleicht sogar schaden, heftig diskutiert.

In einer umfangreichen Untersuchung unter Leitung von Goran Bjelakovic, Universitätsklinikum Kopenhagen, zeigte sich, dass Vitaminpräparate möglicherweise sogar das Leben verkürzen können. Es wurden 68 Studien mit 232.606 Teilnehmern bewertet. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass vor allem die antioxidativ wirkenden Vitamine Beta-Carotin, Vitamin A und Vitamin E die Sterblichkeit erhöhen, wenn sie in einer über den natürlichen Bedarf hinausgehenden Menge eingenommen werden. Auch für Vitamin C lassen sich schädliche Folgen nicht ausschließen. Ob die mit Vitaminen angereicherten ACE-Drinks wirklich fit machen, dürfte somit kontrovers diskutiert werden.

Bisher war man der Auffassung, dass antioxidative Vitamine den Körper schützen, weil sie freie Radikale abfangen und dem oxidativen Stress entgegenwirken. Dieser gilt als einer der Hauptursachen für schwere und häufige Erkrankungen wie Krebs, Arteriosklerose und vorzeitiges Altern.

Ein Zuviel an oxidativen Vitaminen könnte das natürliche Abwehrsystem des menschlichen Körpers stören. Einige Wissenschaftler nehmen sogar an, dass Beta-Carotin die Wirkung krebsauslösender Substanzen verstärkt. Nach Aussage der dänischen Studie hat Vitamin C neben antioxidativen möglicherweise auch prooxidative Wirkungen. Nicht nur in Hinsicht auf diese aktuelle Studie müssten eigentlich viele Werbeaussagen der Lebensmittelindustrie künftig einer genauen Kontrolle unterworfen und wissenschaftlich überprüft werden.

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