Führungskrise bei den Grünen: Die WG des Grauens

Vor dem Parteitag der Grünen wirkt deren Vorstand manchmal wie eine komplizierte Fünfer-WG - mit gegenseitigem Vertrauen und gegenseitigen Verletzungen.

Die Grünen-WG: Knatsch ist an der Tagesordnung. Bild: dpa

Schade, dass das Wort "Intrigantenstadl" für die CSU reserviert ist. Und zu den Grünen, rein kulturell gesehen, nicht passt. Was könnte eine grüne Parallele zum Intrigantenstadl sein? Vielleicht eine "Psycho-WG"?

Intern jedenfalls spricht man vom "Pentagon des Grauens", wenn es um die Führung der Partei geht. Ein Parteivorsitzender und eine Parteivorsitzende, ein Fraktionsvorsitzender und eine Fraktionsvorsitzende, und ein Exminister. Fünfmal Machtwille, fünfmal die Versuchung, sich auf Kosten eines anderen zu profilieren.

Weshalb zum Beispiel Claudia Roth Angst vor Jürgen Trittin hat. Dem Exumweltminister wird nachgesagt, er habe noch etwas vor. Außenminister würde er gern, falls die Grünen 2009 wieder mitregieren. Und falls nicht, Parteivorsitzender. Dann aber müsste Claudia Roth gehen - denn zwei Chefs aus dem linken Flügel, das geht nicht.

Bisher teilt sich Claudia Roth, die man bei den Grünen entweder innig liebt oder unerträglich findet, den Chefsessel mit Reinhard Bütikofer. Das hat zwar auch nicht gerade zu einem freundschaftlichen Verhältnis geführt, klappt aber meistens ganz gut - wenn es nicht gerade um Tornados geht. Für deren Einsatz wollte Bütikofer mit Ja stimmen, Roth aber auf keinen Fall. In solchen Situationen kommt es darauf an, Verbündete zu gewinnen. Bütikofer hält sich dann eher an die Fraktionschefs Fritz Kuhn und Renate Künast. Obwohl ihn und Kuhn persönlich eine Kette von gegenseitigen Verletzungen verbindet.

Claudia Roth bleibt nur Trittin als Verbündeter, ihr linker Mitstreiter und gleichzeitig größter Konkurrent. Denn Kuhn und Roth eint zwar die schwäbisch-allgäuische Herkunft und die gemeinsame Zeit als Parteichefs bis 2002 - aber politisch dafür kaum etwas. Und dass die spöttisch-klare Renate Künast und die gefühlig-laute Claudia Roth es überhaupt nicht miteinander können, ist ein offenes Geheimnis. Die fast designierte Spitzenkandidatin für 2009 und die Parteichefin lauern dauernd auf einen Fehltritt der anderen.

Was bei solchen Hahnenkämpfen - und Hennenkämpfen, natürlich - für eine Politik herauskommt, zeigte sich auf dem Sonderparteitag am 15. September in Göttingen. Partei- und Fraktionsspitze konnten sich im Vorfeld nicht auf einen gemeinsamen Kompromiss einigen. Als Ergebnis flog ihr der eigene Antrag zum Bundeswehreinsatz um die Ohren. Zu angenervt von den Machtspielchen war die Basis, als dass es zuletzt noch um Sachargumente gegangen wäre.

Auf dem Parteitag in Nürnberg, der am heutigen Freitag beginnt, schlägt das Pendel nun in die andere Richtung - jedenfalls hoffen das die Pentagon-Leute. Um ein zweites Göttingen zu verhindern, haben sie sich auf einen Antrag geeinigt, der möglichst viele Zugeständnisse an alle macht. Eine Grundsicherung statt eines bedingungslosen Grundeinkommens, ja. Aber mit vielen Zuckerstücken, die das Zustimmen versüßen sollen - all den Befürwortern des Grundeinkommens und all den Hartz-IV-Kritiker und -Gegnern auch.

Bei den Realos wird zwar gemosert, die fünf handelten nach dem Prinzip, "Hauptsache, wir halten uns auf unseren Posten", klare Politiklinien seien zweitrangig. Doch wenn die Rechnung von Bütikofer und Co. aufgeht, werden auf diese Weise einige Querulanten ruhiggestellt.

Ist das eine Führungskrise? Ja, was sonst?

Und doch ist das nicht die ganze Antwort. In anderen Parteien wären nach solch einem Debakel wahrscheinlich Köpfe gerollt und Sinnfragen gestellt worden. Nicht so bei den Grünen. Denn bei den Grünen gehört die Führungskrise - schon allein dieses Wort: Führung! - dazu. Die Krise ist sozusagen systemimmanent.

Dass dieses Krisenfeeling jahrelang nicht freizügig ausgelebt wurde, hat zwei Gründe: Joschka Fischer und Rot-Grün. Der Übergrüne verstand es wie heute keiner mehr in der Partei, die unterschiedlichen Strömungen auf sich einzuschwören. Er meldete seinen Machtanspruch ganz klar an. Und brachte letztlich sein Totschlagargument: Entweder ihr folgt mir - oder wir regieren nicht mehr länger.

Nun aber ist die Partei wieder in der Opposition und Fischer weit weg im Grunewald. Die Grünen haben das nach zwei Jahren endlich kapiert und tun das, was sie schon immer am liebsten taten: streiten. Unterschiedliche Strömungen formulieren zu jedem Thema eine Vielzahl unterschiedlicher Positionen, diskutieren mit Leidenschaft auch über die kleinsten Details, so dass Außenstehende längst den Durchblick verloren haben. Und die zweite Reihe, die nach Joschka die Macht übernommen hat, mischt eifrig mit.

Dass sie dies tun, ist gut so, denn es ist quasi ein Alleinstellungsmerkmal dieser Partei. Schließlich stammen die Grünen aus jenen "Zusammenhängen", in denen grundsätzlich alles ausdiskutiert wird. Sie sind der Ausläufer einer Generation, die gegen den unreflektierten Gehorsam und die Verdrängungskünste ihrer Eltern rebellierte, die Tabus brach und unbequeme Fragen zu stellen wagte.

Es sind auch jene "Zusammenhänge", die den Antiautoritarismus zuerst propagierten. Beides spielt bis heute eine Rolle: Nach wie vor ist umstritten, ob und wie viel "Führung" überhaupt erwünscht ist. Deshalb reagiert man in der Parteispitze auch gelassen auf den Vorwurf der mangelnden Führung: Vor ein paar Jahren hätte die Basis eine straffe Führung doch noch überhaupt nicht gewollt.

Eine Folge dieser Angst vor hierarchischer Führung ist die Macht der Kreisverbände. Das rührt einerseits von der Idee der direkten Demokratie her: Die Basis hat viel zu sagen. In ihren Anfangsjahren hielten die Grünen ja sogar noch am direkten Mandat fest, in Berlin-Kreuzberg tun sie es heute noch - Abgeordnete sollten sich ständig rückversichern. Wer als Grünen-Abgeordneter seinen Kreisverband besucht, bezieht im Zweifelsfall dort Prügel, wo sein Kollege von der CSU mit allen Ehren vom Posaunenchor empfangen wird. Außerdem sind es die Kreisverbände, die Geld haben, und die einen Teil davon an die Bundespartei nach oben gegeben.

Eine weitere Folge dieses Misstrauen gegenüber Elitenbildung und Hierarchien ist die Doppelspitze. Bis heute werden Partei und Fraktion jeweils von einem Mann und einer Frau geführt, die außerdem die beiden Strömungen - "Realos" und "Linke" - repräsentieren sollen.

Die Doppelspitze führt dazu, dass die Macht jeweils halbiert wird. Das allein erfordert bereits gute Abstimmung und Kompromisse. Doch weil die paritätische Besetzung mit "Linken" und "Realos" hinzukommt, sind Konflikte innerhalb der Führungsspitze vorprogrammiert. Es gibt Fälle, da kann man nur für oder gegen etwas sein - ein bisschen geht nicht. Zum Beispiel in der Frage, ob Deutschland Tornados nach Afghanistan entsenden soll. An Tagen wie dem 15. September in Göttingen wird auch fast 30 Jahre nach ihrer Gründung deutlich, dass die gesamte Partei als Meltingpot aus vielen Bewegungen entstanden ist. Die "grüne" Identität - sie ist nach wie vor nicht homogen. Auch das zeigt bereits der Blick auf das Spitzenquartett. Parteichefin Claudia Roth steht für die alte "Betroffenheitskultur" der Grünen - Fraktionschef Fritz Kuhn dagegen könnte wahrscheinlich selbst dann nicht betroffen wirken, wenn er sich Mühe geben würde.

Kuhn steht für die "Öko-FDP" - also eine Partei, die eine grüne Marktwirtschaft will, mit einem Staat, der den Rahmen für freies wirtschaftliches Handeln setzt - aber nur wenig eingreift. Fraktionschefin Renate Künast verkörpert am ehesten den "neuen" Grünen aus der "Toskana-Fraktion", jenes urbane Publikum, das gut gebildet ist und gut verdient und im Biosupermarkt einkauft, weil das Essen dort lecker ist. Parteichef Reinhard Bütikofer schließlich ist der Denker und Stratege im Hintergrund.

Oft taucht seit dem Weggang von Fischer die Frage auf, wer das Zeug zum neuen "Leitwolf" hätte. Die Antwort ist leicht: keiner. In Göttingen nutzte keiner der vier Chefs und auch nicht der inoffizielle fünfte, Jürgen Trittin, die Chance, sich als Leitwolf zu präsentieren. Alle hielten sich an ihren Leitantrag, der eher wie ein führungsinternes Waffenstillstandsabkommen daherkam und sich weder für noch gegen die Entsendung der Tornados nach Afghanistan aussprach.

Keiner aus Partei- und Fraktionsspitze wird also die Fischer-Nachfolge antreten, aber genau so soll es sein, wenn sich die Grünen selbst ernst nehmen. Zumindest in Oppositionszeiten sollten sie das tun. Letztlich lebten sie in den Fischer-Jahren im dauernden Widerspruch zu sich selbst.

Ob die Grünen in ihrer institutionalisierten Führungskrise regierungsfähig sind, ohne den einen starken Mann, der im Notfall schnell und selbstverständlich den Kurs vorgibt - das müssen sie erst beweisen.

Frühestens ab 2009.

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