Erderwärmung der Meere: Das Jahrhundert der Quallen

Dank Meeresüberfischung und Klimawandel: Bisher wurde Leuchtqualle in wärmeren Gefilden beobachtet - jetzt vernichtete ein Riesenschwarm eine irische Lachsfarm.

Lecker Qualle. Bild: dpa/Ooeana/juan cuetos

Wenn ein Quallenschwarm in Irland auf die Schwimmkäfige einer Lachsfarm trifft, kann Verschiedenes passieren: Die Quallen können harmlose Planktonfischer sein, und die Lachse werden ein bisschen eingeschleimt - kein Drama. Haben die Quallen allerdings Nesselzellen, geht es den Lachsen wie den Badegästen - es juckt und brennt und man hat einen schlechten Tag - auch noch nicht dramatisch. Hat der Quallenschwarm allerdings 200 Milliarden nesselnde Mitglieder, haben die eingesperrten Zuchtlachse, deren Käfige sich mit den schmerzenden Glibbertieren füllen, keine Überlebenschance. Das ist keineswegs die Absicht der Quallen, denn europäische Quallen fressen keine Lachse. Der beobachtete Quallenschwarm wollte auch gar nicht nach Irland, denn Quallen treiben ziellos im Meer umher. Ihr Leben bestimmen Wind, Wassertemperatur und Nahrungsangebot. Allerdings ist in den vergangenen Jahren weltweit eine Zunahme von Quallen zu beobachten.

Wissenschaftler und Fischereiexperten zerbrechen sich schon seit einiger Zeit den Kopf darüber, wie man it der Quallenschwemme umgehen soll. Eine Möglichkeit: Die Quallen aufessen:

Quallensalat

(Zutaten für 4 Personen)

1 kg Cassiopea oder Cephea (lebend)

200 ml Essig (4 bis 6 Prozent Säure)

50 ml Zitronensaft

3 Esslöffel Sojasauce

1 bis 2 mittelgroße Zwiebeln

2 Frühlingszwiebeln

2 bis 3 reife Tomaten

4 Knoblauchzehen

etwa 10 g Ingwer (je nach Geschmack)

eine Prise schwarzer Pfeffer

Zubereitung:

Die Tiere gründlich in Süßwasser spülen und reinigen. Halbieren, große Exemplare vierteln bzw. achteln und in Streifen oder Würfel schneiden. In einem Sieb abtropfen lassen. Zwiebeln, Frühlingszwiebeln, Ingwer und Knoblauch feinhacken. Tomaten in Scheiben schneiden und alles zusammen in eine Salatschüssel geben. Quallenstücke zufügen, mit Essig, Sojasauce, Zitronensaft beträufeln und pfeffern. Die Stücke müssen vollständig von der Marinade bedeckt sein. Gut umrühren und über Nacht im Kühlschrank marinieren lassen.

Der "Täter" aus der irischen Lachsfarm, die hübsche Leuchtqualle Pelagia noctiluca, machte sich bisher nur im Mittelmeer unbeliebt. Sie wird etwa 8 cm breit, erzeugt nachts ein romantisches orange-gelbes Meeresleuchten, und brennt so stark wie die Feuerqualle in der Nordsee - also schmerzhaft wie Brennnesseln, aber nicht lebensgefährlich.

Im Frühjahr 2007 lösten Riesenschwärme dieser Leuchtqualle Alarm an Spaniens Stränden aus. Die Regierung versuchte damals mit Absperrnetzen, die Badegäste zu schützen. Leider brennen die Fangarme von Quallen aber auch nach dem Abreißen vom Quallenkörper, und die ein Netz passierenden Quallen quälten die Urlauber weiter.

Sind solche Quallenfluten die Strafe des misshandelten Meeres für die zahllosen Umweltsünden der Zivilisation? In gewisser Weise ja, aber es steckt kein geheimer Plan einer rächenden Kraft dahinter. Wir beobachten den Beginn eines Zeitalters der Quallen im Meer, und die Ursachen sind vielfältig, aber klar erkennbar.

Die maßlose Fischerei hat weltweit die natürlichen Feinde der Quallen wie Meeresschildkröten, Tunfische und Schwertfische nahezu ausgerottet. Im Mittelmeer werden gerade die letzten Tunfische gefangen, in die Nordsee kommt der Fisch seit etwa 1980 nicht mehr. Eine Karettschildkröte fraß pro Jahr etwa eine Tonne Quallen - der Schildkrötenbestand aber ist um mehr als 90 Prozent gesunken.

Neben den Feinden sind auch wichtige Nahrungskonkurrenten der Quallen wie Sardinen und Heringe fast weltweit überfischt. Daher haben die Quallen heute oft Nahrung im Überfluss. Die Fischerei macht die Meere zum Paradies für Quallen. Zusätzlich trägt vielerorts der Nährstoffeintrag dazu bei, dass Billionen glücklicher Quallen heranwachsen.

Manche Quallenplagen sind vollkommen neuer Qualität, denn mit Schiffen verschleppte Arten erreichen fremde Meeresgebiete, wo sie sich explosionsartig vermehren. Eine australische Quallenart überflutete im Jahr 2000 den Golf von Mexiko, während eine Rippenqualle aus dem Golf von Mexiko bereits ab 1982 das Schwarze Meer leerfraß. 90 Prozent der dortigen Sardinenlarven fielen den Invasoren zum Opfer, die Fischerei brach zusammen. Seit Ende 2006 kommt diese Mexikanische Vielfraßqualle nun auch in Nord- und Ostsee vor. Man darf gespannt sein, was passieren wird.

Die Erwärmung der Meere erleichtert den Heerscharen der Glibbertiere nicht nur das Wachstum, sondern lässt sie auch in Gebiete driften, die bisher von solchen Ereignissen unberührt blieben - beispielsweise wie jetzt nach Nordirland. Die Leuchtqualle aus dem Mittelmeer kam schon immer als Zufallsgast bis Südengland. Dort wurde etwa alle zehn Jahre die Strandung eines kleinen Schwarmes beobachtet. Nun ist die Art aber an der Nordspitze Irlands etwa 600 Kilometer weiter nördlich aufgetreten als früher üblich. Keine Überraschung, wenn man die weltweite Karriere der Quallen berücksichtigt, und ein weiteres konkretes Warnzeichen der Folgen von Klimawandel und Überfischung.

Weltweit gibt es etwa 3.000 Arten von Schirmquallen, einige sind harmlose Planktonfischer, andere stark nesselnde Fischjäger. Bestimmte Arten haben sogar tödlich giftige Nesselzellen. Ein Tier, das zu 98 Prozent aus Wasser besteht, muss überzeugende Techniken haben, um Fische zu zwingen, sich fressen zu lassen. Quallen sind "Megaplankton", also Lebewesen, die frei im Meer schwimmen und ziellos von den Strömungen verfrachtet werden. Den Winter verbringen sie als millimetergroßer Polyp am Meeresgrund. Im Frühjahr teilt jeder Polyp sich in etwa 20 Scheiben, die jede zu einer Schirmqualle heranwachsen und durch die See schweben. Aus den Eiern und Spermien der Quallen entstehen wiederum neue Polypen.

In der Nordsee sind derzeit fünf Schirmquallen heimisch, von denen die Gelbe und Blaue Nesselqualle schmerzhaft brennen. Die neu eingeschleppte Mexikanische Vielfraßqualle wird möglicherweise von der heimischen Melonenqualle im Zaum gehalten - oder auch nicht, man wird sehen. Vorhersagen sind schwierig, denn die Lebenszyklen vieler Quallen und ihre ökologischen Wechselwirkungen sind bislang nur unzulänglich bekannt. Eines aber ist klar: Die Übernutzung der Meere macht das 21. Jahrhundert zum kommenden Zeitalter der Quallen.

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