Neuer Intendant des Wiener Schauspielhauses: "Zur Autorenkarriere gehört Glück"

Andreas Beck, neuer Intendant des Wiener Schauspielhauses, im Gespräch über zeitgenössische Gegenwartsdramatik und die Schieflage des Marktes.

Neuer Intendant am Wiener Schauspielhaus: Andreas Beck Bild: Matthias Hermann

taz: Herr Beck, Sie haben in dieser Spielzeit die Intendanz des kleinen Wiener Schauspielhauses übernommen. Warum liegt der Fokus so explizit auf zeitgenössischer Dramatik?

Andreas Beck: Das Schauspielhaus war vom Wiener Stadtrat als Erst- und Uraufführungstheater ausgeschrieben, und darum hat mich die künstlerische Leitung überhaupt interessiert. In seiner wechselvollen Geschichte hat sich dieses Haus die meisten Meriten als Erstaufführungstheater erworben, Werner Schwab und andere österreichische AutorInnen wurden hier entdeckt. Warum die Theaterstadt Wien einen solchen Ort für die Gegenwartsdramatik braucht, liegt auf der Hand: Die Zukunft des Theaters wird nicht nur von jungen vielversprechenden Theatermachern gestaltet, sondern auch von neuen Texten inspiriert, die unsere Gegenwart zum Gegenstand haben. Beides bietet das Schauspielhaus: einen Werkraum für Theatermacher und neue Stücktexte.

Wie hat sich die deutschsprachige Gegenwartsdramatik in den letzten Jahren entwickelt?

Fraglos gab es einen Generationswechsel der Theatermacher und damit verbunden einen Themen- und Autorenwechsel. Allerdings sind diese neuen Autoren keine homogene Gruppe, teilweise verbindet sie nur ein ähnlich gelagertes Geburtsdatum und bestenfalls eine bestimmte Lebenshaltung und -erfahrung.

Aber ähneln sich nicht viele Themen und Motive?

Wenn man Mainstreamthemen und -tendenzen erkennen will, findet man sie auch. Man könnte zum Beispiel vielen Autoren attestieren, dass sie Familienstücke schreiben. Aber es finden sich große Unterschiede in den Erzählstrategien, und ich glaube eben nicht, dass es einen einheitlichen Tenor gibt. Autoren, gerade die jungen, lassen sich nicht in klare Schubladen stecken.

Gibt es länderspezifische Unterschiede?

Die Deutschen haben in den vergangenen Jahren am meisten über die Möglichkeiten des Mediums Theater nachgedacht. Die Österreicher haben naturgemäß einen größeren Hang zur Sprache. Sprachbehandlung ist hier immer noch ein zentraler Aspekt der Gegenwartsliteratur und -dramatik. Und die Schweizer haben die verwinkeltsten Geschichten. Woran das liegt, weiß ich nicht.

Welchen Einfluss haben die in den Neunzigerjahren entstandenen Lehrgänge für Szenisches Schreiben auf die neuere Dramatik?

Sie haben das Ganze auf eine wohlwollende Weise entweiht. Statt des Geniekonzepts ist die Gebrauchsebene in den Vordergrund gerückt. Es gibt das Gebrauchsstück und mit diesem auch eine andere Halbwertszeit und Autoren, die man in die tägliche Arbeit einbeziehen kann

... und die in Überzahl an den neuen "Schreibschulen" produziert werden?

Das ist ein grundsätzliches Problem des Akademismus im Theaterbereich. Wir bilden ja auch irrsinnig viele Regisseure, Schauspieler oder Bühnenbildner aus. Die Frage ist, wer davon letztlich leben kann. Zu oft wird den jungen Leuten suggeriert, dass das Leben mit dieser Berufswahl fast schon so sicher sei, wie wenn man Maschinenbau studierte, und das stimmt einfach nicht. Zu einer Autorenkarriere gehört immer viel Glück, dass man den richtigen Text zur richtigen Zeit formuliert, sich einer Mode nicht entgegenstellt, oder wenn, dann so bewusst, dass es auffällt.

Immerhin finden sich insgesamt mehr neue Stücke auf den Spielplänen.

Vielleicht gibt es mehr Eintagsfliegen, weil mehr Leute glauben, ein Stück schreiben zu können. Grundsätzlich bewegt sich der Markt sicher schneller als früher und man kann eine Tendenz zum kurzfristigen Hype beobachten. In den Neunzigern gab es eine Lust auf neue Stücke, die zügig bedient wurde. Inzwischen ist das Ganze allerdings in eine Schieflage geraten, weil aus der Innovation - neue, junge Stücke fürs Theater zu entdecken bzw. schreiben zu lassen - eine hastige Marktarbeit geworden ist. Die Schnelligkeit scheint teilweise wichtiger zu sein als die Qualität. Allerdings führen auch qualitative Mängel dazu, dass Stücke nicht nachgespielt werden.

Man hat aber das Gefühl, dass der Markt für Gegenwartsdramatik vielen viel verspricht.

Leider ist das ein künstlicher Markt, der von Theatern und Verlegern mitverursacht und aufrechterhalten wird, weil jeder nach der nächsten Uraufführung oder Entdeckung schielt. Es finden sich Konzepte, die die Autoren nur ausstellen und vor allem an der schnellen, schicken Produktion interessiert sind. Dagegen stehen allerdings auch viele seriöse Modelle der Autorenförderung und Stückentwicklung, wie das Theaterlabor in Düsseldorf, die Stückemärkte in Heidelberg und beim Berliner Theatertreffen, die Werkstatttage am Burgtheater oder der Dramenprozessor in der Schweiz.

Oft werden Talente von Workshop zu Workshop weitergereicht

und lassen sich herumreichen. Man muss bei den jungen Autoren auch Eigenverantwortung einfordern. Sie werden schnell Opfer ihres eigenen Rummels, wenn die Tatsache einer Einladung mehr wiegt als die Arbeit an einem neuen Stück. Wichtig ist vielmehr, eine eigene Idee von Theater zu entwickeln und zu bewahren und auch mal ein Angebot auszuschlagen.

Kann man sich das als Nachwuchsautor denn leisten?

Es gibt immer noch das Denken, dass man durch eine Einladung zu einem renommierten Workshop ein gemachter Autor ist. Natürlich bekommt man eine große Chance, aber keinen erfolggarantierenden Freibrief und schon gar keine Sicherheiten. Auch ein Studium an der Berliner Universität der Künste oder am Leipziger Literaturinstitut generiert keine fertigen Autoren. Es täte vielen gut, ein bisschen kritischer zu überlegen, wie der nächste Schritt aussieht.

Wie sieht das Ideal einer Autorenförderung aus?

Es gibt in dieser Sache keinen Königsweg, aber ich finde, dass Autorenprojekte und Förderinstitutionen viel stärker Themen einfordern bzw. Autoren zu Stoffen führen sollten. Auch die Theater sollten mehr inhaltliche Aufträge vergeben - Stoffentwicklung heißt das Zauberwort - und die Autoren dafür angemessen bezahlen. Am Wiener Schauspielhaus bieten wir eine Schreibklasse, die sich an Anfänger richtet, und das Autorenprogramm "Stück für Stück" an, das gezielt einzelne Talente begleitet. Unser Ansatz ist dabei die Vernetzung. Wir arbeiten mit LiterarMechana, der österreichischen Literaturförderung, und dem renommierten uniT-Schreibprojekt aus Graz zusammen. Dabei geht es darum, lokale bzw. regionale Strukturen zu nutzen - Theater ist schließlich ortsgebunden und in gewisser Weise nur eine lokale Kunst.

Ist ein Theater, das exklusiv Gegenwartsdramatik spielt, deshalb nur in Wien realisierbar?

Nein, aber es braucht eine Theaterstadt. Ein solches Konzept wäre also auch in Berlin, Hamburg oder München denkbar. Aber zunächst müssen wir natürlich selbst schauen, ob und wie es hier funktioniert. Ein Teil der Aufgabe besteht sicher darin, sich immer wieder neu zu positionieren, gegenwärtige Themen aufzugreifen, Stoffe zu bearbeiten und das Publikum zu interessieren. Da muss man findig sein - und bleiben.

INTERVIEW: KRISTIN BECKER

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