Debatte EU-Afrika-Gipfel: Wie Europa Afrika verlor

Afrika erlebt einen wirtschaftlichen Boom, das Selbstbewusstsein seiner Eliten ist groß. Europa hat dies noch nicht begriffen - und die Afrikaner wenden sich anderen Partnern zu.

Wer bei Afrikas Aufbau dabei sein will, muss die Wirtschaftsseiten der afrikanischen Presse lesen. Da ist derzeit viel von Zukunftsthemen die Rede. Vom Glasfaserkabel vor der ostafrikanischen Küste, das dem halben Kontinent schnelle Internetverbindungen bescheren soll. Von Plänen für Straßenbau oder Bahnprivatisierung. Von Milliardeninvestitionen in Ölsuche und Mineralienförderung. Vom Wachstum bei Banken und Telekom-Firmen. Von Großprojekten aus China, Indien, Brasilien, Börsenhochflügen, Weltbankfinanzierungen.

Von Europa? Fehlanzeige.

So ganz stimmt das natürlich nicht. Europa beherrscht immer wieder afrikanische Schlagzeilen. In Sudan kommt eine englische Lehrerin ins Gefängnis, weil sie ihren Grundschülern erlaubte, einen Teddybären Mohammed zu nennen. In Tschad kocht der Volkszorn, weil Franzosen Kinder kidnappten und als Darfur-Waisen ausgeben wollten. In Nigeria - ausgerechnet - wurde Deutschlands größtes Unternehmen Siemens wegen Korruption von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen.

Westafrikanische Länder zittern bei Dramen über ertrunkene, verschollene, gefolterte oder deportierte Flüchtlinge, die von Afrika nach Europa wollten. Uganda mokiert sich über den Besuch der Queen, Ruanda untersucht die Mittäterschaft Frankreichs beim Völkermord, Simbabwe macht die Briten für all seine Probleme verantwortlich. Und ein Dauerbrenner ist der Druck der EU auf afrikanische Regierungen, endlich neue Freihandelsabkommen zu unterzeichnen.

Europa ist in den Augen der afrikanischen Öffentlichkeit ein Ort, von dem in verschiedensten Formen Ungerechtigkeiten oder Absurditäten ausgehen. Was liegt näher, als sich davon emanzipieren zu wollen? In den letzten Jahren ist in vielen Ländern Afrikas eine neue Generation von Politikern und Unternehmern an die Schaltstellen von Staat und Wirtschaft gerückt, die anders auftritt als ihre Vorgänger: selbstbewusst, weltgewandt, sprach- und technikbegeistert, kapitalkräftig, mit der Globalisierung vertraut und darauf bedacht, auf der internationalen Bühne als gleichberechtigter Partner mitzuspielen. Die USA und China stehen ihnen näher als Europa.

Das Gewicht dieser Generation ist nicht immer von vornherein sichtbar, denn in vielen Ländern bleibt das Amt des Staatschefs - das Einzige, das von außen wirklich wahrgenommen wird - noch immer in den Händen der Alten. Aber unterhalb dieser Ebene findet eine Menge Erneuerung auch in solchen Ländern statt, deren Politik rückständig erscheint. Sudans Elite besteht genauso wenig aus wildgewordenen Islamisten wie die Simbabwes aus verrückten Mugabe-Lobsängern. Die Profiteure solcher Regime und anderer korrupter Regierungssysteme wie im Kongo oder in Nigeria treten sehr dynamisch auf. Sie legen gegenüber dem eigenen Land Rücksichtslosigkeit an den Tag, sie denken an den eigenen Profit, und sie sind davon überzeugt, gerade dadurch eine Avantgarde zu sein. Das ist die afrikanische Variante des vielgerühmten "asiatischen Weges".

Europa hat demgegenüber wenig attraktive Alternativen zu bieten, sondern bestenfalls den Schatten der eigenen Geschichte. Ein knappes halbes Jahrhundert nach Ende der Kolonialzeit ist die Zeit der europäischen Herrschaft in Afrika noch sehr präsent. Das beschränkt sich nicht auf die Erinnerung an alte Demütigungen. Mehr noch hat es damit zu tun, dass Afrikas postkoloniale Staaten die direkten Nachfolgeorganisationen der Kolonialadministration sind - in der Sprache, im Rechtswesen, in der Organisation der Verwaltung, in der Ausrichtung des Bildungssystems. Alles, was die afrikanischen Staaten können, kann irgendein Berater in Paris oder London besser. Das ehemalige französische Kolonialreich hat mit seinem aus Paris verwalteten CFA-Franc sogar bis heute keine Währungshoheit. Kaum eine afrikanische Verfassung ist komplett von Afrikanern verfasst worden, kaum ein Wirtschaftsplan kommt ohne weiße Berater aus. Afrikaner werden in Europa als rechtlose Flüchtlinge behandelt. Europäische Hilfswerke in Afrika aber wundern sich, wenn sie sich an afrikanische Gesetze halten sollen.

All dies ist es, wovon immer mehr Menschen in Afrika sich lösen wollen, selbst um den Preis des eigenen Ruins. Aus Sicht der Mugabe-Clique in Simbabwe bedeutet der Zusammenbruch ihres Landes, dass der Staat und die Volkswirtschaft der Weißen verschwinden - und das ist gut so. Den Preis an Menschenleben zahlt die regierende Elite ja nicht selbst, und wenn man ihr das vorhält, verweist sie lapidar auf den Blutzoll der weißen Ära.

Es ist aus europäischer Sicht unfassbar, aus afrikanischer aber selbstverständlich, dass ein Robert Mugabe zu Afrikas populärsten Politikern zählt, ebenso wie Paul Kagame aus Ruanda und Laurent Gbagbo aus der Elfenbeinküste. Ihre jeweilige Politik könnte unterschiedlicher nicht sein: Mugabe hat sein Land in den Ruin getrieben, Kagame seines in eine neue Blüte und Gbagbo das seine in den Bürgerkrieg. Aber der gemeinsame Nenner ist: Diese Herrscher bieten Europa die Stirn. Was sie sonst machen, ist zweitrangig.

Mit dieser afrikanischen Herausforderung muss Europa erst noch umgehen lernen. Diktierte Handelsabkommen und hochfliegende Strategiepläne sind dabei nicht hilfreich - vor allem nicht gekoppelt mit der ständig präsenten Erinnerung an Europas militärische Schlagkraft. Auf keinem anderen Kontinent stehen noch ständig französische Soldaten zum Schutz einheimischer Regierungen, auf keinem anderen Kontinent erprobt die EU Interventionstruppen. In allzu vielen Ländern, auch Deutschland, scheint Afrika vor allem eine Angelegenheit entweder für Militärs oder für Entwicklungshelfer zu sein, nicht für richtige Außenpolitik, was den Kontinent automatisch zu einem Bittsteller oder Einsatzgebiet degradiert.

Dazu kommen Fehlgriffe wie die Rede, die Frankreichs neuer Staatschef Nicolas Sarkozy unlängst in Senegal hielt, wo er vor universitärem Publikum dem "afrikanischen Mann" mangelnde Fortschrittsfähigkeit bescheinigte. Und wenn der britische Premier Gordon Brown den EU-Afrika-Gipfel wegen Mugabe boykottiert, steht er in afrikanischen Augen als Obsessionist da.

In beiden Fällen vermisst man hilfreiche Kritik an afrikanischen Missständen und öffentliche Unterstützung für afrikanische Reformkräfte, obwohl die britische Entwicklungspolitik dies eigentlich durchaus fördert. Es gibt in Europa und Afrika genug Menschen, die eine enge Zusammenarbeit beider Kontinente für unverzichtbar halten, die von kolonialen Altlasten nichts wissen wollen und die regelmäßig die Dummheit der eigenen Regierungen verfluchen. Sie wollen weder ständige Besserwisserei noch unkritisches Hinnehmen von Verbrechen.

Initiativen wie der EU-Afrika-Gipfel drohen diese Kräfte zurückzuwerfen. Denn das einzig mögliche Ergebnis dieses Gipfels ist ein Schulterschluss der Politiker. Das bestärkt Reformgegner und bestätigt Vorurteile.

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