Angriff auf die Angsträume

SICHERHEIT Seit zwei Jahren beschäftigt die Polizei eine Stadtplanerin: Ingrid Hermannsdörfer soll städtische Situationen entschärfen, die für Unsicherheit sorgen

Dass ihr eine Zeitung das Wort „Gelichter“ in den Mund gelegt hat, ärgert Hermannsdörfer noch heute

Seit zwei Jahren arbeitet die Architektin und Stadtplanerin Ingrid Hermannsdörfer inzwischen beim Berliner Landeskriminalamt (LKA), Bereich „Städtebauliche Kriminalprävention“. Die Berliner Polizei hatte das Thema erst spät entdeckt: Andere Bundesländer richten schon seit der Jahrtausendwende Fachtagungen aus, Nordrhein-Westfalen verfügt seit 2006 sogar über ein entsprechendes Handbuch für seine BeamtInnen.

Der sperrige Begriff steht für die Strategie, „Angsträume“ und Kriminalitätsschwerpunkte zu erkennen, zu vermeiden oder aber nachträglich zu entschärfen. Als „Angsträume“ gelten etwa verwahrloste Ecken, dunkle Unterführungen oder endlose, verwinkelte Flure in Gebäuden. Bestimmte Bau- und Nutzungsstrukturen, so der Gedanke, können Kriminalität begünstigen oder hemmen, sie können sich aber auch positiv oder negativ auf das Sicherheitsgefühl der Menschen auswirken. Hervorgegangen ist das polizeiliche Aufgabengebiet aus der in den 80ern in den USA entwickelten Broken-Windows-Theorie. Die besagt – leicht verkürzt –, dass ein zerschlagenes Fenster in einem leeren Haus den Niedergang eines ganzes Kiezes einläuten kann.

Ein „spannendes Gebiet“, findet Ingrid Hermannsdörfer. Sie bewarb sich auf eine Stellenausschreibung der Polizei und setzte sich gegen mehr als 50 Mitbewerber durch. Mit Polizeihauptkommissar Uwe Zeibig hat das Arbeitsgebiet des LKA seit einem knappen Jahr einen zweiten Mitarbeiter. Besonders viel ist das nicht. Was also konnte in diesen zwei Jahren erreicht werden?

Zunächst einmal sei das Thema „stärker ins Bewusstsein gerückt“, glaubt Hermannsdörfer, innerhalb der Polizei, aber auch bei Bezirksämtern. Regelmäßig schult sie zudem die BeamtInnen der sechs Polizeidirektionen. Die würden sie teilweise schon einbeziehen, wenn neue Punkte zunehmender Verwahrlosung oder sonstige Problemzonen festgestellt würden. Sie und ihr Kollege sähen sich das dann an und überlegten, was verändert werden könne. In regelmäßigem Kontakt stehe sie mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, dem Quartiersmanagement und privaten Initiativen. Auch bei städtebaulichen und landschaftsplanerischen Wettbewerben werde sie verstärkt einbezogen.

Als Premiere kann hier der Wettbewerb um den Olivaer Platz in Wilmersdorf gelten, bei dem Hermannsdörfer in der Jury saß. Besonders erfolgreich war dies damals offenbar nicht: An der vorgeschlagenen Entfernung von Mauern wird immer noch gearbeitet. Anders beim Neuköllner Hermannplatz. Nach einer Anfrage des Bezirksamts schlug die polizeiliche Stadtplanerin vor, die Bänke vom Rand in die Platzmitte zu verlegen und mehr Mülleimer aufzustellen. Die Trinkerszene sollte nicht verdrängt, sondern der Platz für „unterschiedliche Nutzergruppen attraktiver“ gemacht werden. Ähnliches gilt für den Leopoldplatz in Wedding. Dass ihr eine Tageszeitung in diesem Zusammenhang einmal das Wort „Gelichter“ in den Mund gelegt hat, ärgert Hermannsdörfer noch heute.

Im Görlitzer Park ist die einst als „Harnröhre“ bekannte Unterführung längst aufgefüllt. Seit einem Jahr werden nun die Hauptwege nachts hell ausgeleuchtet. Unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten bei gleichzeitiger „informeller soziale Kontrolle“ sind Hermannsdörfer wichtig. In der Regel müsse man „kleinteilig an die individuelle Situation“ herangehen. „Für große Würfe haben wir ohnehin keine Mittel.“

Auch Tegel im Visier

Zu den aktuellen Projekten gehört die Umgestaltung der Bahnhofsvorplätze am Ostkreuz. Am Bahnhof Friedrichstraße soll zusammen mit einer Bürgerinitiative erarbeitet werden, wie sich die Beleuchtung auf der Fußgängerbrücke verbessern ließe, die unter der S-Bahn die Spree überquert. Auch über die Nachnutzung des Flughafens Tegel denkt man bereits nach. Ob sie dieses Ergebnis noch im aktiven Dienst erleben wird, kann derzeit freilich niemand sicher sagen.

Und was hat sich für Ingrid Hermannsdörfer durch die zwei Jahre im Polizeidienst geändert? „Ich sehe die Stadt heute anders“, sagt sie, „der reine Ästheten-Planer-Blick ist weg.“ OTTO DIEDERICHS