Olympische Spiele 2008 in Peking: Ein Team für Tibet

Seit Wochen trainiert der Deutsch-Tibeter Namri Dagyab den Marathon. Ob er 2008 mit dem "Team Tibet" starten darf, entscheidet jetzt das Olympische Komitee.

Namri Dagyab - einziger Deutsch-Tibeter im Team Tibet. Bild: bernd hartung

Mit einem eigenen Team bei den Olympischen Spielen für ihre Region antreten - das ist der Traum einer Gruppe von Exil-Tibetern, die 2008 in Peking in verschiedenen Disziplinen teilnehmen wollen. Ob das so genannte Team Tibet das darf, entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC) am Montag in Lausanne.

Der 32jährige Namri Dagyab hat lange auf diesen Tag gewartet. Er ist der einzige Deutsch-Tibeter, den das Team Tibet in die chinesische Hauptstadt schicken will. Kürzlich hat er beim Budapester Marathon seine persönliche Bestzeit eingestellt: Drei Stunden, 17 Minuten. Nicht schlecht für einen Amateur, aber nicht gut genug, um einen Platz in den Medaillenrängen zu ergattern. Der Weltrekord für die 42,195 Kilometer liegt momentan bei etwa zwei Stunden. "Ich bin vielleicht nicht der entrechtete, politische Flüchtling, den man sich vorstellt, denn ich bin in Deutschland sozialisiert worden", sagt Namri, "aber für ein Team Tibet bei den Olympischen Spielen zu starten, hätte Signalwirkung. Wir sind zwar primär Sportler - aber natürlich hat das Thema Tibet immer auch eine politische Dimension. Ob wir das wollen oder nicht", sagt Namri.

Seit 1989 unterstützt die Tibet Initiative Deutschland (TID) das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volkes und fordert kulturelle, politische und religiöse Freiheitsrechte für die autonome Region der Volksrepublik China. Im Mai 2007 startete die internationale Kampagne "Bring Tibet to the Games 2008", die in Deutschland von der TID koordiniert wird. Ziel ist es, Sportler eines Nationalen Olympischen Komitees (NOK) Tibet zu den Olympischen Sommerspielen nach Peking zu schicken. Achtzehn Exilathleten kämpfen derzeit in ihren Disziplinen um Punkte, Zeiten und Weiten. Aus Deutschland gibt es mit dem Marathonläufer Namri Dagyab nur einen Sportler, der das Land seiner Eltern in China vertreten will. Am Tag der internationalen Menschenrechte befindet das Internationale Olympische Komitee (IOC) in Lausanne darüber, ob es im kommenden Jahr ein "Team Tibet" geben darf.

Nach der Annexion Tibets durch die chinesische Armee, waren Namri Dagyabs Eltern ins britische Exil geflüchtet. Als der Vater einen Ruf an die Uni Bonn bekam, zogen Namris Eltern in die Bundesrepublik und ließen sich in der Nähe der BKA-Zentrale bei Meckenheim im Rheinland nieder. Noch heute wohnen seine Eltern dort und auch Namris Heimat liegt am Rhein: "Wenn Deutschland gegen Tibet Fußball spielen würde, wäre ich wahrscheinlich sogar für Deutschland", sagt er und grinst. Namri und seine zwei Jahre jüngere Schwester sind in Deutschland geboren und hier aufgewachsen. Untereinander sprechen sie nur deutsch. "Ein chinesisches Sprichwort lautet: Die Fische reden nicht über das Wasser. Für mich war die deutsche Sprache immer leichter, obwohl ich im Kindergarten noch kein Wort deutsch konnte". Soeben hat er seine Dissertation fertig geschrieben, die Verteidigung steht noch aus. Studiert hat Namri VWL, Tibetologie und Sinologie. "Ich war mehrere Male in Tibet und in China - ich habe eine große Sympathie für die chinesische Kultur und die Chinesen". Namri glaubt daher, man müsse strikt zwischen der chinesischen Regierung und der Bevölkerung, unterscheiden. Auch durch sein Sinologiestudium habe er mit vielen chinesischen Kommilitonen Kontakt gehabt. "Ich habe viele Chinesen getroffen, die überhaupt keine Meinung zum Thema Tibet haben, geschweige denn, dass sie überhaupt mit der Problematik vertraut sind. Vielleicht mag ich Deutschland deshalb so, weil man sich hier der Vergangenheit stellt und aus ihr lernen will."

Gestartet hat die Initiative "Bring Tibet to the Games 2008" ein internationaler Zusammenschluss verschiedener Organisationen. Auf der deutschen Seite unterstützt der Verein "Tibet Initiative Deutschland" die Sportler. Der Verein fördert seit 1989 die tibetische Kultur, sowie die Selbstbestimmung des tibetischen Volkes. Anna Momburg-Vanderpool leitet von Berlin aus die Olympia-Kampagne: "Natürlich hätten wir uns mehr öffentliche Resonanz gewünscht. Unsere Schweizer Kollegen haben da andere Möglichkeiten als wir: Die tibetische Exilcommunity der Schweiz ist die größte Westeuropas." Während in Deutschland nur knapp 200 tibetischstämmige Menschen leben, haben sich in der Schweiz knapp 3000 Exiltibeter versammelt. Sowohl mehrere UNO-Einrichtungen, als auch das Hauptquartier des Roten Kreuzes sind dort ansässig, so dass viele Flüchtlinge genau blieben, wo sie am Ende ihrer Flucht angelangt waren. Und so sind sechs der achtzehn Olympioniken aus Tibet eidgenössische Staatsangehörige. Die Sportler des Team Tibet sind allesamt in Westeuropa, den USA oder Indien groß geworden. Doch die Erfahrungen ihrer Eltern und die Pflege der tibetischen Kultur sind bei allen Sportlern tief verankert.

"Wenn ich nicht fahren dürfte, wäre das nicht nur zutiefst ungerecht, sondern reine Politik des IOC". Ganz falsch dürfte der einzige deutsche Tibeter des achtzehnköpfigen Teams damit nicht liegen. Zwar ist es beinahe ausgeschlossen, dass die Funktionäre das Gastgeberland China brüskieren wollen, doch sportpolitisch wäre eine Sonderregelung für ein Team Tibet durchaus möglich: Seit Atlanta 1996 darf ein Team Palestine an den Start gehen und auch bei den Spielen im Jahr 2000 durften die Australier Sportlern aus Ost Timor zujubeln. Ein Nationales Olympisches Komitee (NOK) des indonesischen Pazifikstaats wurde allerdings erst drei Jahre später gegründet. Zwar traten die Sportler aus Ost Timor nicht als Team, sondern als so genannte "Individual Olympic Athletes" (IOA) an. Ihr gemeinsames Auftreten wurde allerdings in der Heimat als ein wichtiges Symbol für den Inselstaat empfunden, der sich nach blutigen Auseinandersetzungen erst kurz zuvor von Indonesien losgesagt hatte.

Vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) können die tibetisch-stämmigen Sportler keine Hilfe erwarten. DOSB-Sprecher Gerd Graus verweist auf ein Positionspapier vom Mai 2007 zum Thema Menschenrechte in China: "Die Anerkennung eines NOK Tibet ist eine Angelegenheit des IOC, das darüber unter Berücksichtigung aller Regeln - zu denen auch die Anerkennung eines Staates gehört - beraten wird. Noch sind die Sportfunktionäre des IOC zu keiner öffentlichen Stellungnahme bereit. Nur soviel, man habe keine "Bewerbung aus Tibet" erhalten. Das NOK des Landes habe nichts in Lausanne eingereicht. Zwar hat der tibetische NOK-Präsident Wangpo Tethong de facto eine Starterlaubnis für Olympia 2008 eingereicht - nur wurde diese nicht als solche von den gleichen IOC-Gremien anerkannt. Die Funktionäre scheinen zu hoffen, dass das Startverbot wegen eines vermeintlichen Formfehlers weniger Kontroversen verursachen wird, als wenn eine ausführliche Erklärung über die Nichterteilung einer Starterlaubnis öffentlich gemacht würde. Doch Lausanne und Peking sind weit weg von Berlin. An diesem nasskalten Dezembertag wird Namri Dagyab langsam unruhig und zieht die Laufschuhe an, um im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark seine Runden zu drehen. Sein Trainingspensum beläuft sich momentan auf knapp 120 Kilometer pro Woche.

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