Klage von Schweizer Journalisten abgewiesen: Kapriziöses Urteil

Der Menschenrechtsgerichtshof entscheidet gegen den Schweizer Journalisten Martin Stoll, der die "Nazigold"-Affäre durch Enthüllungen zuspitzte.

Die Verurteilung des Schweizer Journalisten Martin Stoll wegen "Veröffentlichung geheimer amtlicher Dokumente" über die Schweizer "Nazigold"-Affäre verstößt nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Dies entschied gestern überraschend die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Mitte der 90er-Jahre war bekanntgeworden, dass Schweizer Banken an sogenanten nachrichtenlosen Konten von Holocaust-Opfern verdient hatten. Jüdische Organisationen in der Schweiz und vor allem aus den USA forderten Entschädigung, doch das Schweizer Establishment mauerte zunächst. In dieser Situation wurde dem Schweizer Journalisten Martin Stoll ein Schreiben des Berner Botschafters in den USA, Jacob Jagmetti, zugespielt. Darin interpretierte Jagmetti die Auseinandersetzung um die Vermögen der Holocaust-Opfer als "Krieg", den die Schweiz "an der Außen- und an der Innenfront gewinnen" müsse. Den "meisten unter den Gegnern", so der Botschafter, "kann man nicht vertrauen". Stoll berichtete über dieses Schreiben in der Schweizer Sonntags-Zeitung unter der Überschrift "Carlo Jagmetti beleidigt die Juden" und unterstellte Jagmetti Antisemitimus. Andere Schweizer und internationale Zeitungen zogen nach, Jagmetti trat in der Folge zurück.

Ein Jahr später gaben auch die Schweizer Banken auf und sagten die Einzahlung von 1,25 Milliarden Dollar in einen "Gerechtigkeitsfonds" zu, um US-Sammelklagen zu verhindern.

Stoll allerdings wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von 800 Franken (etwa 500 Euro) verurteilt. Die "Veröffentlichung geheimer amtlicher Dokumente" steht in der Schweiz unter Strafe. Stoll sah jedoch die Pressefreiheit verletzt und wandte sich an den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, eine Einrichtung des Europarats, dem 47 Staaten angeschlossen sind. In der ersten Instanz urteilte das Gericht, die Schweiz habe die Rechte des Journalisten verletzt. Doch die Schweizer Regierung rief die zweite und letzte Straßburger Instanz, die Große Kammer, an. Dort fiel die Entscheidung nun mit zwölf zu fünf Richterstimmen zugunsten der Schweiz. Die Klage des Journalisten wurde abgewiesen. Die Veröffentlichung des geheimen Botschafter-Briefs habe zwar einen Beitrag zu einer öffentlichen Debatte geleistet, so die Richter. Sie sei jedoch zu sensationslüstern und die "kapriziöse" Darstellung dem ernsten Thema nicht angemessen gewesen. Weil Stoll vor allem einen "unnötigen Skandal" produzieren wollte und nicht die sachliche Information der Leser im Vordergrund stand, sei er zu Recht verurteilt worden, so das Straßburger Gericht: Das Schweizer Interesse an diskreter Diplomatie habe überwogen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.