Gawker.com: Eitrige Hitleritis

Fallen Sie nicht auf die Überschrift rein: In diesem Text geht es um die US-Journalisten von gawker.com, die nicht nach Klicks bezahlt werden wollen.

Ein Fingerdruck auf die Maus entscheidet darüber, ob ein Autor seine Mete bezahlen kann. Bild: dpa

Wie viel ist dieser Artikel wert? Er ist etwa 100 Zeilen lang, also ist er auch 100 Zeilen teuer. Denn viele Zeitungsautoren werden - wie das im Journalismus so heißt - "nach Zeile" bezahlt. Es sei denn, sie sind fest angestellt oder "Pauschalisten".

Wer "nach Zeile" bezahlt wird, bekommt einen bestimmten Zeilensatz überwiesen - vorausgesetzt, der Text wird veröffentlicht. Dann kann er noch so schlecht geschrieben und langweilig sein. 100 Zeilen sind 100 Zeilen wert.

Aber was wäre, wenn der Wert eines Textes von der Anzahl derjenigen abhängig wäre, die ihn gelesen haben?

Mit dieser Frage müssen sich die Redakteure von gawker.com derzeit auseinandersetzen. Seit 2002 berichtet das Onlinemagazin sehr erfolgreich über das Stadtleben in New York, über die dortige Medienlandschaft und über allerlei Gossip. Vor kurzem hat gawker.com ein neuartiges Honorarsystem eingeführt. Die Funktionsweise: Je mehr Hits die Postings eines Redakteurs bekommen, desto besser wird er bezahlt. Die Zahl der online gestellten Texte spielt dabei keine Rolle mehr - genauso wenig wie deren Qualität.

Wenig überraschend ist, dass die betroffenen Journalisten damit nicht einverstanden sind. Im Dezember schrumpfte die Redaktion - in einem Posting auf der Webseite gab die Hälfte der Angestellten ihre Kündigung bekannt: Zwei erfahrene Redakteure, Emily Gould und Joshua David Stein, kündigten ebenso wie der geschäftsführende Redakteur Choire Sicha. Das neue System sei nicht nur unfair, sondern auch gefährlich für den Journalismus, weil es Redakteure zwinge, in direkte Konkurrenz zueinanderzutreten.

"Diese Idee setzt sich wirklich weird in deinem Kopf fest. Man denkt die ganze Zeit darüber nach, wie viele Leute welche Geschichten lesen könnten", sagte Gould der New York Times. "Man ist nur noch auf Sensationssuche, der Gawker wird noch verstiegener, als er anfangs war."

Jeder Webmaster weiß, dass es nicht zwangsläufig die tiefgründigen, gut recherchierten Artikel sind, die die meisten Hits anziehen. Die Reportage aus dem Sudan oder die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter in Frankfurt werden kaum zu Klickmonstern - eher schon die Fotogalerie eines Baby-Eisbären im Berliner Zoo oder ein Bericht über Britney Spears, die schon wieder ohne Unterwäsche mit Paris Hilton ausgegangen ist.

Das Gawker-Prinzip wirkt sich besonders in Meinungsblogs mit Kommentarfunktion aus, wo Leser zur Teilnahme eingeladen sind. Eine differenzierte Argumentation erzeugt nicht unbedingt viele Klicks. Die meistgeklickten Meinungsartikel sind oft Polemiken, die sich mit sehr heiklen Fragen wie dem 11. September beschäftigten.

Überschriften kommt im Onlinejournalismus eine besondere Bedeutung zu, sind sie doch das Einzige, was der Leser sieht, bevor er einen Artikel anklickt. Damit er das auch wirklich tut, könnte man diesem Artikel zum Beispiel den Titel "Eitrige Hitleritis" geben. Das wäre natürlich Quatsch. Aber, uups - was steht denn da in der Überschrift?

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