Der Jazz des Jahres: Erwartungen, und was man damit tut

Die besten Jazzplatten 2007 kamen von Rudresh Mahanthappa, David Murray und Archie Shepp.

Erinnert sich musikalisch an sein erstes Saxophon: Archie Shepp. Bild: dpa

Vor zwei Monaten beim 38. Deutschen Jazzfestival Frankfurt war der New Yorker Saxofonist Rudresh Mahanthappa zum ersten Mal mit eigener Band in Deutschland zu sehen. Wie der Pianist Vijay Iyer ist Mahanthappa Mitte 30. Beide stehen für einen neuen Musikertypus, der möglichst unabhängig von europäischen Festivalengagements ein produktives Künstlerleben in der Jazzmetropole organisiert. Mahanthappa arbeitet nicht nur in sieben Bandprojekten gleichzeitig, er kümmert sich auch um Stiftungsgelder und Auftragskompositionen. Das Gejammer über die harte New Yorker Jazzrealität, wie man es von den Musikergenerationen vor ihm kennt, will er nicht fortsetzen. Wenn man sich mit den Entscheidungsstrukturen der Stiftungen beschäftige und dort den richtigen Leuten gegenüber seine künstlerischen Absichten artikulieren könne, sei man nicht auf die Almosen europäischer Veranstalter angewiesen, sagt Mahanthappa.

Von den drei CDs, die dieses Jahr mit Mahanthappa auf den deutschen Markt kamen, ist die Duo-Aufnahme mit Iyer, "Raw Materials", die beeindruckendste. "Raw Materials" kann man auf www.savoyjazz.com komplett und umsonst anhören. Beabsichtigt oder nicht, war das willkommen angesichts der Tatsache, dass das reaktivierte Savoy-Labels in Deutschland keinen Vertrieb hat. Für dieses Jahr erwarb die mittlerweile führende New Yorker Indie-Firma Pi Recordings die Rechte, "Raw Materials" nun auch in Europa zu vertreiben.

Wie Iyer rechnet sich Mahanthappa der südasiatisch-amerikanischen Gemeinde zu. Dabei war es ihm als Kind nicht immer klar, wohin er gehört. In Colorado, wo er aufwuchs, gab es nur wenige Immigranten indischer Herkunft. Seine Eltern waren in den Fünfzigern in die USA gekommen, er hat deren Heimat erst später während einer Studienreise besser kennen gelernt. Seine Eltern seien gläubige Hindus, und zu Hause habe es täglich südasiatisches Essen gegeben, berichtet Mahanthappa, doch man habe Englisch gesprochen, und er habe lange Zeit immer weiß sein wollen. Mit diesen Aufnahmen wollte herausfinden, was es bedeutet, indischer Amerikaner zu sein. Die rhythmischen Strukturen, die er häufig verwendet, hat er in der südindischen Musik entdeckt. In seiner Komposition "Forgotton System" gibt es ein 30-Beat-Muster, das man sich als zwei Takte zu 15 oder drei Takte zu 10 oder sechs Takte zu 5 denken kann. Durch die Aufbrechung der Struktur wird eine verzögerte polyrhythmische Wirkung erreicht. Anders als mit afroamerikanischen oder weißen Jazzmusikern wissen die Labels bislang wenig mit südasiatisch-amerikanischen Musikern anzufangen, zumal weder Iyer noch Mahanthappa die Erwartung erfüllen wollen, dass man den Stücken indische Einflüsse anmerken können müsse.

Das ist bei dem afroamerikanischen Saxofonisten David Murray ganz anders. Bei den jüngsten Konzerten zu seiner CD "Sacred Ground", die gerade mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde, war nicht nur die beste Band, die der 52-jährige Murray seit langem hat, zu hören, es geht hier zentral um das große Thema des schwarzen Amerikas. Er habe diese Musik dem amerikanischen Rassismus gewidmet, sagte Murray beim "Enjoy Jazz Festival" im Herbst in Mannheim. Auf der CD singt Cassandra Wilson Texte des afroamerikanischen Dichters Ishmael Reed, "Banished" ist der einfühlsam und zornig klingende Soundtrack Murrays zu dem gleichnamigen Film von Marco Williams über die Vertreibung schwarzer Amerikaner aus ihren Dörfern und Stadtteilen. Die musikalische Stimmung schwebt zwischen Historisierung und Protestpose, die Mittel klingen nicht unbekannt und neu, sondern eng mit einer Kunst des Widerstands verbunden, die aus der afroamerikanischen Geschichte schöpft.

Auch das aktuelle Doppel-Album des Saxofonisten Archie Shepp, "Gemini", dreht sich um die soziale Lage und psychische Verfassung der schwarzen Amerikaner. Bei einem Gastauftritt von Chuck D werden Fire Music und Hiphop verknüpft, in seinem Klassiker "Mama Rose (Revolution)" erinnert Shepp an seine Großmutter, die ihm sein erstes Saxofon kaufte, und daran, wie ihr Schicksal mit dem von Malcolm X und dem alltäglichen Rassismus zusammenhing.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.