Kolumne Das Schlagloch: Telling stories

Es ist sehr lehrreich, wenn einen drei Bangladescher zum wichtigsten Touristen machen.

Gibt es etwas Alberneres als gelbe T-Shirts? Höchstens noch rosa T-Shirts. Zunächst wimmelte es von gelben T-Shirts. Gelb ist die Farbe des Königshauses. Und weil der König bei seinem letzten öffentlichen Auftritt Rosa trug, gibt es jetzt zum vielen Gelb noch ganz viel Rosa zu sehen. In manchen Geschäften nichts anderes. Nur gelbe und rosa T-Shirts.

Und während ich dies schreibe, zieht wie zur Bestätigung der Betriebsausflug eines offenbar großen Unternehmens am Strand an mir vorbei: hunderte von Männern und Frauen, junge und alte - alle in rosa T-Shirts.

Eine Reise als selbstdisziplinierende Übung. Weil mir meine dauernden Indienfahrten verdächtig vorkamen, habe ich mir Südostasien verordnet. Und jetzt bin ich knatschig, weil die Thai keine Inder sind. Weil das aber ungerecht ist, ziehe ich zur Strafe an meinen Ohrläppchen, damit sie auch so schön lang werden wie bei dem weltgrößten liegenden Buddha im Wat Pho.

Dennoch bleiben viele Fragen offen. Wie die, ob ich wirklich, wie es der "Lonely Planet" empfiehlt, im Restaurant aufstehen soll, wenn die thailändische Nationalhymne erklingt. Zweimal täglich.

Ich bin beim Dalai Lama nicht aufgestanden, als sich halb Westberlin im Tempodrom eingefunden hatte, das, damals noch ein Zirkuszelt, vor Ehrfurcht und Andacht fast in sich zusammensacken wollte; ich bin allerdings vor Miriam Makeba in der Philharmonie aufgestanden. Eine kleine, hartnäckige Meute hatte einfach nicht gehen wollen, als der Veranstalter sagte, die südafrikanische Sängerin, die nach Dollar Brand auftreten sollte, würde nicht kommen, weil sie am Pariser Flughafen festgehalten wurde. Wir blieben sitzen und warteten. Der Hausmeister hatte schon das Licht ausgemacht und schien nach Hause gegangen zu sein. Wir warteten.

Und dann kam sie und freute sich, dass doch noch jemand da war. Sie stellte sich auf die Bühne, erzählte von ihrem Pass,von Paris und sang. Ohne Band, ohne Mikro. Vielleicht fünf oder sechs Lieder, sie war müde. Und wir haben gestanden und uns vor ihr verbeugt. Für alles. Wie Jahrzehnte später sich ein selig heulendes Auditorium vor Brian Wilson, auferstanden von den Toten und Verrückten, dankbar stehend zeigte. Love and mercy to you and your friends tonight

Da zuck ich doch für ne Nationalhymne, die aus dem Radio plärrt, nicht mal mit dem Fußgelenk. Irgendwo hat auch der überkorrekteste Tourismus seine Grenzen. Der Gerechtigkeit halber sei hinzugefügt, dass man sich im indischen Bundesstaat Maharashtra im Kino vor Vorstellungsbeginn ebenfalls zur Hymne erhebt.

Meine erste intensive Begegnung in Thailand fand nach fast drei Wochen auf einer Luftwaffen-Airbase mit drei Bangladeschern statt. Dass ich sie in meiner begeisterten wie haltlosen Sehnsucht zunächst für Inder hielt, störte sie zwar vernehmlich, verschaffte mir jedoch mehrere Einladungen als "most important visitor". Ich sollte unbedingt kommen, um mich selbst davon zu überzeugen, wie viel schöner Bangladesch als Indien sei. Und überbevölkerter sei man schließlich auch.

Der Stützpunkt, auf dem wir uns trafen, zählt vermutlich zu den idyllischsten seiner Art: in einer malerischen Bucht wird hier auf filmreifen ein- und zweimotorigen Fluggeräten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs fliegen gelernt. Ansonsten wird die Anlage gepflegt, und morgens trabt auch mal ein Trüppchen mit einem flotten Marschlied auf den Lippen unter meinem Fenster entlang - die Bucht ist allerdings nicht so groß, dass man sich dabei völlig verausgaben müsste. So kehren die Soldaten auch nach einer halben Stunde zivilistisch entspannt und mit der Fluppe zwischen den Lippen schon wieder zurück - nicht ohne auf der Höhe des Hotels, wo sie zu Recht schlafende Urlauber vermuten, noch mal extra laut in befreites Gejohle auszubrechen. Das ist ungefähr gegen halb sechs, danach darf noch mal bis zum endgültigen Sonnenaufgang weitergedöst werden.

Von den drei Bangladeschern lebten zwei in Bangkok und waren gerade drei Monate frisch arrangiert miteinander verheiratet. Ishita arbeitet schon seit vier Jahren in einem Bangkoker Krankenhaus. Ihr Mann Alam hat seinen Ingenieursjob in Dakka geschmissen und ist zu ihr gezogen. Ihn stört bis jetzt am meisten, wie die Thai seinen Namen aussprechen - es klinge wie Alarm, klagt er erbittert. Anwar ist Mathematikprofessor in Dakka, war mal Ishitas Lehrer und ist jetzt für eine Woche zu Besuch bei den beiden. Anwar ist sofort begeistert, als ich zu dem Trio stoße. Er bittet mich um eine Unterredung beim Spaziergang übers Watt. Er sei doch sehr allein neben diesem frisch verheirateten Paar, er vermisse seine Frau sehr und ob ich nicht seine beste Freundin sein könne.

"I hope, you don't mind", sagte er und fügte hinzu, dass er natürlich, da er aus Bangladesch komme, überhaupt keine Ahnung habe, wie die Gepflogenheiten in meiner Kultur seien. Und dann folgte die unendlich traurige Geschichte eines dreißigjährigen privilegierten Mannes, dessen dicke Frau unter der Burka steckt und nur zweimal in der Woche Sex haben will - und das auch nur nach dem Ansehen einer DVD. Er aber, weil er doch jung und gesund sei, hätte lieber siebenmal in der Woche. - Hier war der Moment, wo ich mich fragte, ob ich jetzt nicht doch lieber als Alternativprogramm das Aufstehen bei der thailändischen Nationalhymne wählen würde.

Ich schlug ihm vor, die Angelegenheit mit seiner Frau zu besprechen. Das schien gar nicht möglich. Eine Geliebte war völlig indiskutabel in seiner Kultur, und sich bei befreundeten Kollegen Rat zu holen habe keinen Zweck, denn denen gehe es ja genauso wie ihm. Er hegte die Vermutung, diese miserable Gesamtsituation könne eventuell mit seiner Religion zu tun haben. Ich bestärkte ihn darin, diesem Gedanken nachzugehen und bis zum endgültigen Ergebnis vielleicht eine Prostituierte aufzusuchen. Doch das wies er entrüstet zurück - nein, die wirklich beste Lösung sei, wenn ich seine beste Freundin würde. Als ich aber bei meinem abschlägigen Bescheid blieb, war er gar nicht böse, und ich muss zugeben: Unter all den bizarren Gesprächen, die ich in meinem Leben geführt habe, war dies trotz der drängenden Verzweiflung des Mannes von angenehmer Sachlichkeit.

Wir verabschiedeten uns so herzlich voneinander, wie wir uns kennengelernt hatten. Die drei mussten am nächsten Morgen zurück nach Bangkok.

Und so war meine bislang schönste Begegnung in Thailand die mit drei Indern. Auch wenn die drei das nicht gern hörten - für mich waren sie und unser unkompliziertes Zusammensein so wunderbar indisch: die kesse Ishita mit ihrer resolut-komödiantischen Lebenslust, der zurückhaltende Alam, der mir sofort erklären konnte, wie meine Kamera funktioniert, und nicht zuletzt Anwar mit seinem praktischen Deal-Angebot, bei dem aber leider für mich nichts drin war, was ich gebrauchen konnte.

Aber was lehrt mich das über Thailand?

Dass man überall und so auch hier einen Inder treffen kann, der einem gute Laune macht.

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