Entdeckung im Lederbeutel: Spaniens Weinsklave

José Peñín ist der bekannteste Weinkritiker Spaniens, sein Buch "Guía Peñín" das Maß aller Weine. Ein Gespräch über Wein, Macht, Missgunst und die Einsamkeit des Verkostens

Durstiger Weinpflücker in Fuentedepiedra, Andalusien Bild: rtr

taz: José Peñín, was ist Ihr Beruf?

José Peñín: Ich wähle Weine aus, qualifiziere sie nach Bouquet und Ausstrahlung, ordne sie ein. Meine Mission ist die Vermittlung. Das ist gerade in Spanien wichtig, wo Wein bislang immer ohne Kultur getrunken wurde.

Wie bitte? Das Prüfsiegel Dominación de Origen gibt es seit Jahren!

Ja, aber Spanien ist wohl das einzige Land in Europa, wo dieses Herkunftssiegel wenig bedeutet. Wir haben viele gute Weine ohne diese Bezeichnung. Ob in der Rioja, Navarra, Galicien oder in Andalusien. Sehen Sie, die Rioja ist auch bei Ihnen bekannt, sie hat am meisten Angebot, es gibt in dem relativ kleinen Gebiet allein 1.400 Weinmarken, eine lange Tradition und entsprechend ein besonders fortschrittliches Können und Marketing. Dort lassen sich die Winzer ihre Bodegas von Stararchitekten wie Frank Gehry oder Calatrava umbauen. Das ist in Ordnung, aber deshalb sind diese Weine nicht zwangsläufig die besten. Es kann sein, dass gerade ein Schäfer irgendwo im Kernland unterwegs ist und einen Tropfen im Lederbeutel hat, der eine echte Entdeckung ist. Auch danach suche ich, nach den Namenlosen, den Etikettlosen.

Ihr "Guía Peñin" ist das Nachschlagewerk für spanischen Wein. Sie sind quasi der Robert Parker der Iberischen Halbinsel. Ihr Urteil beeinflusst die Preise, den Bekanntheitsgrad eines Winzers. Wie gehen Sie mit so viel Macht um?

Mit viel Verantwortung. Ich arbeite hart. Der Ruhm macht auch unsicher, ich kann mich nicht verstecken, stehe in der Öffentlichkeit und habe Angst, Fehler zu machen. Je berühmter man wird, desto weniger kann man sich zurückziehen, desto mehr Opfer bringt man, auch zeitlich. Ich will so gut wie nur möglich sein. Unter uns: Manche warten nur darauf, dass ich mich vertue. Es schauen immer auch Gegner und Neider zu, und die suchen nach dem allerkleinsten Fehler.

Und die Winzer, werden Sie von ihnen bedrängt? Von Ihrem Urteil hängt schließlich viel ab.

Natürlich! Jeder möchte, dass ich seine Bodega besuche. Die spanischen Winzer sind verrückt danach, sie glauben, ihr Anbaugebiet, ihre Region, ihr schönes Haus, all das könnte mich beeinflussen. Aber von wegen! Ich trinke nicht in Bodegas: Ich teste allein in meinem Arbeitszimmer.

Das klingt ernüchternd!

Ja sicher, wenn man nicht für sich, sondern für andere trinkt, wird man zum Sklaven der Arbeit. Das Weintrinken ist heute mehr denn je eine sinnliche, hedonistische Erfahrung. Und Wein wirkt menschenverbindend, dafür ist er da. Aber wir Weinkritiker sind gezwungen, genau davon Abstand zu nehmen. Wer den Job macht, muss geradezu eine menschliche Maschine sein. Wir können keine Emotionen gebrauchen. Mein Zimmer ist abgedunkelt, ein Glas, eine Weinflasche, kein Geräusch. Gerüche darf es schon gar nicht geben, wenn ich arbeite. Ein Parfum Chanel No 5 von Christian Dior in hundert Meter Entfernung wäre eine Katastrophe, oder der Rauch einer edlen kubanischen Zigarre.

Sie testen Weine, aber wie ernähren Sie sich?

Don José Peñin Bild: Archiv

Ich teste am Tag 100 bis 120 Weine. Essen kann ich unmittelbar vor der Arbeit nicht, es würde die Geschmacksnerven verwirren. Man fühlt sich dann auch matt, behäbig. Ich esse ohnehin nicht sehr viel.

Aber Sie rauchen ab und zu.

Ja, die eine oder andere Zigarette schon, aber in entsprechenden Zeitabständen. Es gibt gute Weinkritiker, die rauchen. Eines ist übrigens wichtig: Wer damit aufhört, verändert seine Sinne und muss sein Bewertungsgefüge völlig neu justieren.

Sie sind aus Madrid, das ist nicht gerade eine Weinmetropole.

Das stimmt, aber geboren bin ich in León.

Haben Sie das Gespür für guten Wein geerbt?

Im Gegenteil. Mein Vater hat nie Alkohol getrunken, ich selbst auch nicht bis zu meinem 33. Lebensjahr. Das ist gut so. Vor allem die Kinder von Weinbauern sind später die schlechtesten Verkoster. Sie bringen ihre Herkunft mit ein, ihre Heimat, den Geruch von bestimmtem Eichenholz, die Erinnerung an den Großvater, der nur lokalen Wein mochte. Sie werden das nicht abschütteln können, sie sind niemals objektiv.

Warum wurde Wein plötzlich Ihr Metier?

Ich war damals als Pharmavertreter im Land unterwegs, fuhr von Klinik zu Klinik. Eines Tages traf ich einen Weinkenner, der mich sehr inspirierte. Wir hatten die Idee, unentdeckte Weine in Spanien aufzuspüren, möglichst gute und unbekannte. Dann haben wir einen Weinklub gegründet, ich habe mich dem Journalismus zugewandt und das erste Weinmagazin meines Landes herausgegeben. Später kamen dann die Bücher hinzu und dann der jährliche Weinführer "Guía Peñin". Den gibt es inzwischen auch auf Deutsch

Verkauft sich die deutsche Ausgabe gut?

Das weiß ich gar nicht, drei- bis viertausend Stück vielleicht, nicht viel. Und weil er aus dem Spanischen übersetzt wird, dauert es immer etwas lange, bis er auf den Markt kommt. Die Spanier lesen ihn Monate früher.

Wir sind gerade in Köln, im Restaurant Sterns. Und außer Ihnen gibt es viel Prominenz hier, darunter die Starköche Dani García, Roberto Fernández und Paco Roncero, der für das spanische Prinzenpaar das Hochzeitsessen mitgestaltete. Es geht um avantgardistische Molekularküche und edelste Tropfen. Erlauben Sie mir trotzdem eine sehr simple Frage: Haben Sie schon mal ein Kölsch getrunken?

Aber ja, gestern erst!

Was ist denn objektiv leckerer, das Madrider Mahou-Bier oder das hiesige Reissdorf Kölsch?

Letzteres, keine Frage, Letzteres. Ich kann das bloß nicht aussprechen!

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