Kritik türkischer Verbände: Koch verhindert eine Lösung

Auch die Mittelschicht der türkischen Einwanderer hat das Problem der Jugendgewalt längst erkannt. Von der CDU fühlen sich die Migranten aber in Kollektivhaft genommen.

BERLIN taz Die Türkische Gemeinde Deutschlands hat angekündigt, einen eigenen Gipfel zu Gewalt von Jugendlichen zu veranstalten. "Wenn Kanzlerin Merkel keinen Integrationsgipfel will, dann organisieren wir selbst einen, um die Probleme sachlich und wissenschaftlich fundiert zu besprechen", sagte Kenan Kolat, der Bundesvorsitzende Interessenvertretung türkischer Einwanderer am Donnerstag in Berlin. Dann werde man sehen, wer tatsächlich ein Interesse an der Lösung des Problems habe.

Tatsächlich müsse Gewalt von Migranten in der Öffentlichkeit und auch von der türkischen Gemeinde selbstkritisch diskutiert werden. "Das passiert seit langem und muss fortgeführt werden", sagte Kolat. Aber die Debatte dürfe nicht "im Namen des Tabubruchs" über die demokratischen Gepflogenheiten hinausgehen. Die Äußerungen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) erinnerten an die Asylbewerber-Diskussion in den 90er-Jahren. "Die Ergebnisse sind bekannt: Mölln und Solingen."

Erst am Mittwoch hatten 100 Organisationen von Migranten in einem offenen Brief bei Angela Merkel (CDU) und Koch gegen die Kriminelle-Ausländer-Kampagne der hessischen Union protestiert: "Wo offene, konstruktive Gespräche und an der Sachlage orientierte Lösungsvorschläge notwendig wären, richten Sie durch Wahlpolemik erheblichen Schaden an." Dabei sei die Gewalt von Jugendlichen unter den türkischen Einwanderern schon lange ein viel diskutiertes Problem, sagte Haci Halil Uslucan von der Universität Potsdam. Der Psychologe kritisierte aber die Äußerungen Kochs als schädlich für die Debatte. "Man kann nur schwer über die eigenen Schwächen sprechen, wenn man annehmen muss, dass diese von anderen sofort politisch ausgeschlachtet werden."

Ähnlich äußerten sich gestern auf taz-Anfrage auch Unternehmer und Politiker. Die grüne Abgeordnete Ekin Deligöz glaubt, dass sich die Mittelschicht der türkischen Einwanderer leicht als Verbündeter im Kampf gegen Jugendgewalt gewinnen ließe, wenn "die ausländerfeindlichen Töne wegfielen und die Debatte sich mehr um die Erziehung der Jugendlichen drehen würde". Die bayrische Politikerin sagt, sie wisse "als Lehrerkind natürlich, dass in der Mittelschicht das Problem der Jugendgewalt ein Thema ist". Es gebe auch sehr viele konservative türkischstämmige Einwanderer, die härtere Strafen gutheißen würden. Derzeit fühlten sich allerdings die meisten von der CDU-Kampagne als "kriminelle Ausländer in Kollektivhaft genommen".

Anders als in der deutschen Mittelschicht oft üblich würden türkischstämmige Besserverdiener auch keine repressiven Maßnahmen gegen die eigene Unterschicht befürworten, sagt Ahmet Ersöz, Generalsekretär des Türkisch-Deutschen Unternehmerverbands Berlin-Brandenburg (TDU). "Natürlich ist der Mittelschicht klar, dass die meisten Täter aus armen Milieus kommen", sagt der Berliner Unternehmensberater, "aber der Zusammenhalt ist dennoch groß, weil die meisten Migranten aus der Unterschicht kamen, als sie hier anfingen, und sich alle Erfolge selbst erarbeitet haben. Viele haben noch immer arme Verwandte und haben nicht vergessen, wie leicht man scheitern kann." Für pauschale Härte à la Koch sei daher auch von den meisten gut verdienenden Einwanderern keine Unterstützung zu erwarten.

Dass die pauschale Wahrnehmung vom "kriminellen Ausländer" ein Trugbild sei, betonte Psychologe Uslucan. Ein bloßer Vergleich der Gewalt deutscher und türkischer Jugendlicher sei "zu unreflektiert."

Vielmehr müsse man deren Verhaltensmuster mit denen der deutschen Unterschicht vergleichen. "Es ist nun einmal nicht der türkische Bankdirektor, der nach Deutschland gekommen ist." Untersuchungen, die Uslucan an Berliner Schulen durchgeführt hat, würden zeigen, dass die Unterschiede im Gewaltverhalten zwischen deutschen und türkischstämmigen Hauptschülern "statistisch zu vernachlässigen sind".

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