die wahrheit: Kochs dunkles Gelass

Zu Besuch in einem neuen hessischen Erziehungscamp für kriminelle Jugendliche.

Eine schlecht beleuchtete Kellertreppe, unten eine schwarz gestrichene Stahltür, eine Klingel, aber kein Namensschild. Unscheinbar sieht er aus, der Eingang zum neuen hessischen Erziehungscamp, aber auch abweisend und bedrohlich. Kein Herz aus Salzteig an der Tür, keine Fußmatte mit Sinnspruch. Kuschelpädagogik sieht in der Tat anders aus. Drinnen verfestigt sich dieser Eindruck, die Wände sind mit schwarzem Samt bespannt, finstere Elektrobeats hämmern unterlegt von wabernden gregorianischen Gesängen aus den Boxen.

In diesem dunklen Gelass soll nach dem Willen von Hessens Ministerpräsident Roland Koch zukünftig um das Schicksal jugendlicher Straftäter gerungen werden, sollen verirrte Seelen auf den Pfad der Tugend zurückgebracht werden, zurück zu Werten wie Anstand, Sitte und Mülltrennung.

Im Vorraum begrüßt uns die Leiterin der Einrichtung, Frau Gerda Scharwenske, eine mehr als resolut wirkende Mittfünfzigerin mit imposanter Büste und einem Outfit, das Gabriele Pauli nicht einmal mit Latexhandschuhen angefasst hätte. Gerda Scharwenske hat schon viel mitgemacht in ihrem Leben, das sieht man. "Ich hab schon viel mitgemacht im Leben", erklärt die Matrone denn auch in ihrem ungemütlichen hessischen Zungenschlag zur Begrüßung, verschränkt die Arme hinter dem breiten Rücken und reckt das energische Kinn noch ein wenig weiter nach vorn.

Bevor die gelernte Hundefriseurin in die Dienste der hessischen Landesregierung wechselte, führte Scharwenske ihr "brutalstmögliches Regiment" (Roland Koch) im Kiosk der berüchtigten Schinderhannes-Gesamtschule, wo es ihr gelang, die gefürchtete Milchgeldmafia (Ali, Waldemar und Kevin) aus der 7b zu zerschlagen.

Anschließend sanierte Scharwenske das Traditionslokal "Schollis Eck" im Wiesbadener Bahnhofsviertel, einem der beliebtesten sozialen Brennpunkte der Stadt. "Bei ihr hat noch jeder seinen Deckel bezahlt", erinnert sich wehmütig Stammgast Hartmut R. an die goldenen Zeiten, da selbst gestandene Zechpreller vor den innovativen, aber handfesten Methoden der inbrünstigen Pädagogin kapitulieren mussten.

Nach einem kurzen, aber zweifellos lukrativen Gastspiel im Inkassobereich wandte sich Scharwenske wieder dem Erziehungswesen zu und wirkte als freischaffende Persönlichkeitstrainerin, bis sie schließlich im "Studio Bizarr" ihren Lebenstraum verwirklichen und die in langjähriger Praxis entwickelten pädagogischen Konzepte in die Tat umsetzen konnte. Aus dieser Zeit stammen erste Kontakte zur hessischen Landesregierung.

"Qualifikation ist ganz wichtig. Mit Frau Scharwenske ist es uns gelungen, eine Fachkraft zu gewinnen, die seit jeher einen hervorragenden Ruf in unserem Hause genießt", erklärt Ministerialdirigent Hinninger vom Wiesbadener Justizministerium, der als Vorsitzender des Vereins "Freunde der schwarzen Pädagogik" im Vorstand der Mustereinrichtung sitzt. "Die Herren waren immer sehr zufrieden", bestätigt Frau Scharwenske, und Hinninger nickt ergeben. Er schwärmt vom "absoluten Vertrauen", sie nennt ihn freundschaftlich "Wurm" und "fiese, kleine Kröte".

Jetzt soll die Scharwenske als Wunderwaffe gegen eine überbordende Jugendkriminalität eingesetzt werden, die das einstmals so beschauliche Bundesland neuerdings in den Abgrund zu stürzen droht. "Die ausländischen Intensivtäter nutzen den Wahlkampf schamlos für ihre kriminellen Taten aus, weil sie glauben, die Politik schaut dann nicht so genau hin. Aber da haben sie die Rechnung ohne den Koch gemacht." Gedankenverloren rüttelt der Ministerialdirigent an einem Paar Handschellen, die an dem Andreaskreuz festgemacht sind.

"Gleich nach gewonnener Landtagswahl werden hier die ersten Delinquenten einfahren", freut sich der Jurist, aber die Scharwenske fährt ihm über den Mund, und zwar mit einer Hundepeitsche. "Wir sagen nicht Delinquenten, wir sagen Klienten. Oder Sklaven", betont sie.

Bislang war Jugendlichen das Betreten solcher Etablissements verboten, doch kämpft Roland Koch leidenschaftlich für eine Herabsetzung des Mindestalters auf vierzehn Jahre, und der treue Beamte Hinninger verteidigt die Politik seines Ministerpräsidenten: "Uns hat es ja auch nicht geschadet. Im Gegenteil."

"Wir arbeiten hier streng nach den Erkenntnissen des 'submission training' ", erklärt Gerda Scharwenske. "Das alte Spiel von Zuckerbrot und Peitsche", ergänzt Hinninger vorlaut. "Ja", meint die Scharwenske schmunzelnd, "nur eben ohne Zuckerbrot."

Jedenfalls sollen die Erziehungscamps die hessische Landeskasse nicht belasten. "Wir können unsere neuen Erziehungscamps steuerneutral finanzieren", verrät Hinninger stöhnend, "hauptsächlich durch private Investoren, deren Namen wir allerdings nicht nennen werden. Wir haben unser Ehrenwort gegeben."

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