"Hass"-Premiere in München: Da lacht der Bürger

Wenn die Banlieue zum Witz wird: Sebastian Nübling inszeniert Mathieu Kassovitz "Hass" als Underdogkomödie in den Münchner Kammerspielen.

"Dies ist die Geschichte einer Gesellschaft, die fällt. Während sie fällt, sagt sie, um sich zu beruhigen, immer wieder: Bis hierher liefs noch ganz gut " Mit diesen Sätzen endet Mathieu Kassovitz Film "Hass". 1995, zehn Jahre vor den großen Unruhen in Frankreich, zeigte er in expressiven Schwarzweißbildern 24 Stunden im Leben dreier Vorstadtjugendlicher, des Juden Vinz, des Schwarzen Hubert und des Arabers Saïd. Ein Leben, in dem Gewalt Alltag ist und die Aussichten nicht weiter reichen als bis zum nächsten Joint.

Eine Müllhalde ist der Schauplatz von Sebastian Nüblings Adaption des Banlieue-Dramas, die nun in München Premiere feierte. Im Foyer der Kammerspiele bieten Mädchen Becher mit Popcorn an, auf denen "Hass" steht. Drinnen ergießt sich unter Rattern aus einer eingelassenen schwarzen Schiebewand ein Berg von Pappkartons auf die Bühne.

In Huberts (Katja Bürkle) Gesicht baumelt eine Pinocchio-Würstchennase. Saïd (Katharina Schubert) trägt Minirock und eine rote Schleife im Haar. Nur Vinz (Brigitte Hobmeier) ginge in seinem Outfit aus Trainingshose und Rastafari-Wollmütze auch als Kerl durch.

Von der Filmvorlage hat sich Nübling entschieden entfernt. Auch dass er keine pittoresken Ghetto-Djangos vorführen möchte, ist verständlich. Seine Inszenierung, die sich auf die drei Hauptfiguren beschränkt, setzt in hohem Maß auf Abstraktion. Die Uhr, die bei Kassovitz drohend tickt, steht still. Das Kammerspiel-Trio, das sich abwechselnd Comicfiguren-Köpfe überstülpt, Häschen und Mäuserich mimt, turnt in einer Endlosschleife aus Sprüchen und Posen, die es permanent via Handy dokumentiert. Drei Witzfiguren und Verlierer, die sich nur in der medialen Spiegelung ihrer Existenz gewiss sind.

Als sie über Handy von einem befreundeten Jungen hören, der nach einem Verhör ins Koma gefallen ist, schwört Vinz Rache. Sollte Abdel sterben, will er einen Polizisten erschießen, um ein Zeichen zu setzen. Hubert erscheint das völlig sinnlos und er hält ihm entgegen: "Du kannst nicht alle Bullen abknallen." Nübling blendet die soziale Topographie der Geschichte, die aus den Wohnsilos in die Pariser Innenstadt und zurück führt, aus. Er verdichtet und collagiert Motive des Films in fließendem Rollenwechsel, was ohne dessen Kenntnis mitunter kaum nachvollziehbar sein dürfte. Die Misshandlungsszene auf der Polizeiwache schrumpft zu einem läppischen Zitat zusammen, in dem einer dem anderen ein Mäuseohr ausrupft.

Vom Ende her gelesen gewinnt die Aufführung eine beklemmende Logik. Wenn Saïd, Hubert und Vinz unter auf sie niederprasselnden Kartons begraben werden, findet Nübling ein starkes Schlussbild. Diese chancenlosen Vorstadtkinder sind nur die Clowns einer Gesellschaft, die sie wie Müll entsorgt. Doch so überzeugend die inszenatorische Klammer ist, sie verliert ihre Kraft, weil wir uns in diesem Clowntheater einfach zu gut amüsieren dürfen.

"Mohammed", ruft Saïd in sein Handy, "ich kann nicht. Ich bin am Bumsen!" Dann fährt er fort mit hüpfendem Röckchen den Mauerbogen anzuwichsen. Ein echter Publikumsjohler. Davon gibt es viele. Der hibbelig quasselnd die brutalen Realitäten abwehrende junge Araber wird zur Ablachnummer, einem Bruder all der Alis und Ahmeds, die durchs Kabarett tollen. Dass Frauen männliche Verhaltensmuster besonders schön demaskieren können, ist ein gängiges Credo unter Regisseuren. Allein wenn die Travestie dazu dient, die Stereotype in unseren Köpfen lustig karikierend zu überzeichnen, wird sie zur Affirmation. Zugleich macht es uns die weibliche Besetzung sehr bequem. Fürchten muss sich vor diesen Mädels wirklich keiner. Zwischendrein werden sie voll krass aggressiv und kicken Pappschachteln in die Zuschauerreihen. Das ist in etwa so beunruhigend, wie wenn Kinder auf dem Spielplatz mit Sandförmchen schmeißen.

Muriel Gerstner hat ein tolles Bühnenbild geschaffen. Brigitte Hobmeier als Vinz zeigt eindrucksvoll die Verunsicherung hinter dem Panzer aus Zorn und Stolz. Die Schauspielerinnen glänzen mit Spielwitz und meistern die Schnellsprechsalven zwischen wütenden Weltattacken und rotzigen Gags souverän. Nie aber schubsen sie uns aus der emotionalen Hängematte. Ein Kalauer über Sarkozy, der in klassischer Manier ohnmächtigen Zorn in die Erniedrigungsmacht des Sexwitzes verkehrt, mündet in einem Arschficker-Schenkelklopfer, über den dann alle gemeinsam kichern können. "Die gefährlichste Spezies der Welt" nannte der Spiegel unlängst junge Männer. Solange sie sich so munter austoben jedoch, brauchen wir uns weder über sie noch über uns, unsere Ignoranz, unsere Ängste und Ambivalenzen ernsthaft Gedanken zu machen.

Irgendwann schießt Vinz tatsächlich, und von der Decke des Jugendstiltheaters rieselt eine weiße Wolke. Da kennt die Heiterkeit keine Grenzen mehr. So wird die Inszenierung schließlich zur Underdog-Comedy für den Kulturbürger. Der unterhält sich prächtig und applaudiert begeistert.

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