Nach der Hessen-Wahl: Was passiert, wenn Koch verliert

Kann man mit einer ausländerfeindlichen Kampagne noch Landtagswahlen gewinnen? In Hessen sieht es nicht so aus. Und dann?

Die Schöne gegen das Biest. Andrea Ypsilanti (SPD) könnte Roland Koch (CDU) ablösen. Bild: rtr

1. Warum reden eigentlich alle von der Wahl in Hessen, aber kein Schwein denkt an die in Niedersachsen?

Ganz Deutschland schaut am Sonntag nach Wiesbaden, weil sich dort ein modernes Drama abspielt: Links gegen rechts. Frau gegen Mann. Die Schöne gegen das Biest. Andrea Ypsilanti (SPD) könnte Roland Koch (CDU) ablösen - das ist ein Stoff, der nicht nur Politikjunkies fasziniert. Die hessische Landtagswahl bietet alles, was die große Koalition in Berlin vermissen lässt: krasse Gegensätze, polemische Kampagnen, ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit offenem Ausgang. Während sein CDU-Parteifreund Christian Wulff in Hannover nach allen Umfragen einen klaren Sieg einfahren dürfte, muss Koch zittern. Zittern! Koch! Schon allein das ist eine Sensation. Schließlich hatte gerade Koch immer den starken Mann gespielt. So wurde er Hoffnungsträger der traditionellen, konservativen CDU, Dauerrivale von Kanzlerin Angela Merkel - und Hassfigur der Linken. Sein Sturz wäre nicht nur für Hessen eine Zäsur. Kochs Ende würde die ganze Union verändern.

2. Wenn Koch sein Amt verliert: Sind wir ihn dann los, oder geht er etwa in die Bundespolitik? Würde Merkel ihn denn überhaupt nehmen?

Koch wird weder sich noch seinen Kanzlertraum so schnell aufgeben. Abgewählte Ministerpräsidenten in Berlin zu recyceln ist ein eingeführtes, wenn auch bisher reines SPD-Modell (Eichel, Klimmt, Steinbrück). Über mächtige Freunde wie Helmut Kohl kann Koch Druck machen, eine zweite Chance zu bekommen. Dennoch liegt es letztlich an Angela Merkel, ob der Hesse gerettet wird. Pro aus ihrer Sicht: Sie bindet ihn in die Kabinettsdisziplin ein und verhindert, dass Koch wie einst Friedrich Merz durch die Talkshows irrlichtert. Außerdem würde sie einen Politiker holen, der in Wirtschafts- und Finanzfragen angesehen ist. Contra: Merkel ist furchtbar misstrauisch. Am Ende wird Koch nicht nur Minister, sondern Nebenkanzler. Eine Berliner Klatschgeschichte geht so: Merkel will ihn ein- und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (auch ein Hesse) auswechseln. Haken: Was wird dann aus Jung? Die Idee, dass er Regierungschef einer großen Koalition in Hessen wird, funktioniert nur, wenn die CDU stärkste Partei ist. Aber dann könnte Koch es selbst machen. Wenn Merkel ihn dagegen in seinem Haus in Eschborn sitzen lässt ("Leider gerade nichts frei "), wäre sie ihn endlich los.

3. Wird nach einer CDU-Niederlage in Hessen in der Bundespolitik alles anders?

Natürlich nicht. Aber unabhängig von Hessen gilt: Das Regieren in der großen Koalition wird schwieriger. Die Bundestagswahl 2009 naht. Kurt Becks SPD rückt, wenigstens gefühlt, nach links. Und die sich verdüsternde weltwirtschaftliche Entwicklung (Börsenturbulenzen, schwächelnde Konjunktur) wird um Deutschland keinen Bogen machen. Schon bei den Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2009 wird kaum noch Geld zu verteilen sein. Das Verhältnis von Union und SPD verschlechtert sich also weiter. Darauf wiederum haben die Ergebnisse aus Hessen und Niedersachsen Einfluss. Wenn Koch verliert und Wulff gewinnt, ist die Thronfolge in der CDU entschieden. Und damit auch die Frage, wie die Union ihren Bundestagswahlkampf ausrichtet: auf die Mitte hin. Die Lehre aus Hessen lautet: Mit ausländerfeindlichem Ressentiment kann man in Zeiten sozialer Unsicherheit nicht mehr so ohne weiteres punkten. Wer mehrheitsfähig sein will, darf weder kulturell polarisieren wie Koch, noch harte Reformen ankündigen wie 2005 die Kanzlerkandidatin Merkel. Da bleibt für die SPD kaum Platz.

4. Du liebe Güte, eine linke Sozialdemokratin könnte gewinnen? Was ist denn dann bei der SPD los?

Die erste Rückeroberung eines CDU-regierten Landes seit gefühlten 123 Jahren würde der SPD zurückgeben, was sie seit Schröder schmerzlich vermisst: Selbstbewusstsein. Siegesgewissheit. Die Erkenntnis würde sich weiter durchsetzen, dass Parteichef Beck den richtigen Weg geht: vorsichtige Distanzierung von der Agenda 2010, linke Rhetorik bei gleichzeitiger Verteidigung des Schröderschen Erbes. Kurt Beck würde seine Rolle als mitregierender Oppositionschef in Berlin weiter ausbauen. In der SPD wäre er endgültig unumstritten. Beck - Kanzlerkandidat 2009? Sieht alles danach aus. Zwei interessante Nebeneffekte: Ypsilanti-Beschimpfer Wolfgang Clement wäre endgültig weg vom Fenster. Und die SPD-Frauen wären ihr Loser-Image los. Die Männer würden ihnen nicht mehr so ohne weiteres die undankbaren Jobs überlassen - am Ende gewinnen die Frauen noch.

5. Und was macht Frau Ypsilanti, wenn sie tatsächlich vor Koch liegt, es mit den Grünen aber nicht zum Regieren reicht?

Große Koalition, was sonst. Es bleibt ihr ja nichts anderes übrig. Rot-Rot-Grün? Hat Ypsilanti selbst ausgeschlossen, und das darf man ihr glauben. Eine Koalition mit der Linkspartei würde Becks Wahlstrategie für 2009 durchkreuzen. Ampelkoalition? Würde Ypsilanti sicherlich gerne machen, dürfte ihr aber kaum gelingen.

6. Ach ja, die Grünen. Überhaupt, gibts die noch? Was machen die so?

Die Grünen könnten am Sonntag als traurigste Partei nach Hause gehen. In Niedersachsen dürfte sich auch für sie nichts bewegen. 2003 holten sie 7,6 Prozent, in Umfragen stehen sie derzeit ebendort. Zum Regieren werden sie nicht gebraucht. In Hessen droht ein Absturz von 10,1 Prozent in den mittleren einstelligen Bereich. Die erstarkte SPD holt sich ihre Stimmen offenbar auch bei den Grünen ab: Sieht schlecht aus für Rot-Grün. Der auf den grünen Multifunktionschef Tarek Al-Wazir zugeschnittene Wahlkampf hat dann nur ihm selbst genützt: Er ist jetzt bundesweit als Redetalent bekannt. Sollte es in Hessen wider Erwarten zu einer Dreierkoalition kommen, dürfen sich natürlich auch einstellige Al-Wazir-Grüne übers Regieren freuen. Wenn nicht, ruhen alle grünen Hoffnungen auf Hamburg: Dort wird im Februar gewählt, Rot-Grün scheint möglich.

7. Und die Linken? Können sie nur gewinnen oder auch verlieren?

Wenn die Linkspartei weder in Hessen noch in Niedersachsen 5 Prozent schafft, wäre das eine herbe Niederlage. Aber schon ein Erfolg wäre ein Triumph - erstmals säßen die Linken im Parlament eines westdeutschen Flächenlandes. Bei zwei Erfolgen könnten Gysi und Lafontaine vor Kraft kaum noch laufen. Ihre Partei wäre im Westen angekommen. Mehr geht im Moment nicht. Mit SPD und den Grünen in Hessen regieren? Bloß nicht. Das würde ihre Amateurtruppe überfordern. Also hoffen sie, dass sie kein Angebot bekommen.

8. Muss man der FDP glauben, nur mit der CDU regieren zu wollen?

FDP-Chef Westerwelle wirkt tatsächlich nicht so, als ließe er in dieser Welt jemals wieder etwas anderes zu als ein Bündnis mit der Union. Nein, eine Ampel macht er nicht. Höchstwahrscheinlich. Es gibt da eben ein Trauma: Nach den beiden rot-gelb-grünen Koalitionen in Brandenburg und Bremen kamen die Liberalen Mitte der 90er-Jahre nicht mehr in die Landtage, so sauer waren ihre Wähler. Darum spielt die FDP jetzt die Rolle der letzten Marktwirtschaftler, und koste es die Republik eine flächendeckende Großkoalitionierung. Westerwelle ist 46. Eines Tages wird es wieder eine schwarzgelbe Mehrheit geben oder, wenn es sein muss, eine Koalition mit CDU und möglichst kleinen Grünen. Dann wird er endlich, endlich Minister.

9. Was würde eine unbürgerliche Mehrheit denn in Hessen wirklich verändern?

Die SPD hat ihr Programm für die ersten 100 Regierungstage schon vorgestellt - und die Grünen haben nicht widersprochen. Sie wollen die von Koch eingeführten Studiengebühren von 500 Euro pro Semester kippen. Sie werden die Energieversorgung mittelfristig umstellen: Weg von Atom und Kohle - hin zu erneuerbaren Energien. Sie werden sofort Schluss machen mit "G 8" (acht Jahre Gymnasium), dem nach Ansicht von SPD, Grünen und Linken missglückten Experiment eines Abiturs nach 12 Jahren. Und neue Lehrer sollen eingestellt werden, damit bei Ausfällen tatsächlich Vollunterricht garantiert werden kann. Schluss sein soll mit Kochs "Mogelpackung Unterrichtsgarantie plus" (SPD) - mit Hausfrauen und Rentnern als Ersatzlehrern.

10. Und in Niedersachsen bleibt alles wie gehabt, ja?

Ja. Wolfgang wer? Genau. Christian Wulff hat SPD-Konkurrenten Wolfgang Jüttner nicht nur konsequent weggelächelt. Der Regierungschef aus Hannover hat sogar dafür gesorgt, dass zwischen Elbe und Ems eine Wahl ohne Kampf stattfand: Konsequent grätschte der Mitte-Mann nach links, um Jüttner die Themen wegzugeschnappen. Die SPD forderte neue Gesamtschulen, mehr frühkindliche Bildung, ein Ende der Studiengebühren. Der Mitte-Mann kündigte Gesamtschulen, drei Gratis-Kitajahre und einen teilweisen Erlass der Hochschulmaut für Ehrenamtliche an. Wenn alles ideal läuft für Wulff, kann er die Niedersachsen demnächst sogar ohne die lästige FDP weiterregieren. Erst mal. Und dann kann sich der CDU-Vize für die Zeit warmlächeln, da in Berlin die Tage von Angela Merkel gezählt sind.

Mitarbeit: Klaus-Peter Klingelschmitt, Georg Löwisch und Kai Schöneberg

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.