Debatte Bürgerkrieg im Tschad: Die Geier kreisen über Ndjamena

Die jüngsten Kämpfe im Tschad bilden nur den blutigen Höhepunkt des Wettbewerbs um die Vormachtstellung in einer Region, in der es selten staatliche Autorität gegeben hat

Über die Kämpfe im Tschad wird oft so geredet, als sei hier der Konflikt aus der sudanesischen Bürgerkriegsregion Darfur herüber geschwappt. In Wirklichkeit verhält es sich genau umgekehrt: der Krieg in Darfur entsprang einst den Konflikten im Tschad; beide Krisen sind seit zwanzig Jahren eng miteinander verwoben. Viele der arabischen Reitermilizen, die in Darfur ihr Unwesen treiben, stammen aus dem Tschad; ebenso verhält es sich bei vielen der Rebellen, die dort gegen sie kämpfen. Der Bürgerkrieg im Tschad bildet nur den Höhepunkt der Auseinandersetzungen um Macht und Land in der Region.

Der Konflikt reicht weit zurück. Tschads Präsident Déby kam 1990 mit Hilfe des Sudan an die Macht. Beide Staaten würden damit aufhören, die Rebellen im jeweiligen Nachbarland zu unterstützen, so lautete der Deal. Er hielt bis 2002, als Rebellen in Darfur begannen, sich zu organisieren. Déby war nicht in der Lage, sein eigenes Zaghawa-Volk im Zaum zu halten, aus dem sich viele der Rebellen in Darfur rekrutierten. Im Gegenzug begann die sudanesische Regierung ab 2005 damit, Rebellen im Tschad zu unterstützen.

Débys engster Alliierter in Darfur ist die Rebellengruppe "Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit" (JEM), die er mit Waffen ausgestattet hat. In den letzten Monaten waren diese Rebellen in der Offensive, angeblich sollen sich tschadische Kämpfer daran beteiligt haben. Nun strömen sie zurück in den Tschad, um sich in der Schlacht um Ndjamena auf die Seite des bedrängten Präsidenten Déby zu stellen. Sudans Armee und Milizen dürften nun die Gunst der Stunde nutzen, um ihre Angriffe auf die in Darfur verbliebenen Rebellen zu verstärken.

Der Bürgerkrieg im Tschad hat natürlich auch eine innenpolitische Dimension. Präsident Déby ist ein Gewaltherrscher, der seine Macht militärischen Fähigkeiten und ausländischer Unterstützung verdankt. Er baut auf Intrigen, Einschüchterung und Bargeld als bewährte Machtmittel, und verlässt sich stark auf einen engen Kreis von Volksgenossen, die er mit Staatsgeldern alimentiert und deren Loyalität er so erkauft. Er gilt allerdings auch als schwer krank; die politischen Geier umkreisen ihn schon seit Jahren.

Französische Truppen spielen in Tschads Bürgerkriegen seit 1986 die Schlüsselrolle, als Spezialeinheiten geschickt wurden, um Tschad gegen Libyen zu unterstützen. Mehrfach haben sie in den letzten Jahren geholfen, Kämpfe mit Rebellen zu Débys Gunsten zu entscheiden. Die Politik des französischen Militärs im Tschad setzte auf Militärhilfe, nicht auf Förderung von Dialog. Aber Déby weiß, dass Frankreichs Freundschaft rein taktisch bedingt ist.

Eine zentrale Rolle spielt auch die Politik des Sudan. Als Sudans Regierung 1990 half, Déby an die Macht zu bringen, war das Teil einer Strategie der Einmischung, die sich auch auf andere Länder wie Äthiopien, Eritrea, Uganda, die Demokratische Republik Kongo und die Zentralafrikanische Republik erstreckte. Das sudanesische Regime in Khartum kontrolliert die Eliten entlegener Regionen wie Darfur oder Südsudan mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Auf diese Mittel greift es auch jenseits seiner Grenzen zurück.

Seit den Zeiten osmanisch-ägyptischer Herrschaft im 19. Jahrhundert gelten Darfur und der Südsudan als "militärische", nicht "metropolitanische" Provinzen des Sudan. Die Herrschaft endete hier nicht an klaren Grenzlinien, sondern erstreckte sich im Prinzip endlos ins Hinterland hinein - so weit, wie es der militärische oder finanzielle Aufwand erlaubte. Diese Tradition setzt Sudans Regierung bis heute fort.

Der Bürgerkrieg im Tschad ist damit Teil eines regionalen Wettbewerbs um die Vormachtstellung in einer Weltregion, in der es selten staatliche Autorität gegeben hat. Zu dieser Region gehören neben dem Tschad auch die Zentralafrikanische Republik und der Norden des Kongo. Neben dem Sudan ringen hier Libyen, Uganda, die Demokratische Republik Kongo, Ruanda und sogar Eritrea um die Vorherrschaft.

Libyen etwa betrachtet den Tschad als seine Einflußssphäre. So verkündete Oberst Gaddafi in den Achtzigerjahren einmal die Vereinigung von Libyen und Tschad, und er führte jahrelang Krieg gegen eine von Frankreich und den USA unterstützte tschadische Armee um die Kontrolle des Landes. In letzter Zeit neigte Gaddafi zwar eher Déby zu. Aber er war beleidigt, als dieser sich im Oktober 2007 bei libysch vermittelten Friedensgesprächen einem Kompromiß mit den Rebellen verweigerte.

Nicht zuletzt ist der Krieg im Tschad auch ein Krieg um die Zentralafrikanische Republik, deren Präsident Francois Bozizé 2003 von Tschads Armee an die Macht gebracht wurde. Jetzt sind die Zagahawa-Truppen aus Bozizés Armee abgezogen, um Déby in der Heimat zu unterstützen. Das schafft in der Zentralafrikanischen Republik ein potentielles Machtvakuum.

Die internationale Politik gegenüber dem Tschad ist derweil von dem Versuch geprägt, eine internationale Schutztruppe in die Krisenregion Darfur zu entsenden: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat den Tschad zur Basis für ein humanitäres Eingreifen in Darfur erklärt. Die EU hat die Entsendung einer Schutztruppe in den Osten des Tschad und den Nordosten der Zentralafrikanischen Republik beschlossen. Doch einsatzfähig wird diese Truppe nur dank des französischen Kontingents sein. So betrachtet sie fast jeder in der Region als Schutztruppe für Déby. Genau das war auch der Grund für die Rebellen, pünktlich zum geplanten Beginn der EU-Truppenentsendung in Ndjamena loszuschlagen.

Nun müssen sich die Europäer überlegen, ob sie ihre Truppen in den Bürgerkrieg im Tschad schicken oder ob sie lieber warten wollen, bis es dort eine Verhandlungslösung gibt. Am wahrscheinlichsten ist, daß die Truppen überhaupt nie im Tschad landen werden. Das aber wird erhebliche Auswirkungen auf die gemeinsame Mission von UNO und Afrikanischer Union (AU) in Darfur haben. Sollte Déby auf die Offensive der Rebellen in Ndjamena reagieren, indem er Angriffe in Darfur unterstüzt, könnte die ausländischen Eingreiftruppen zwischen die Fronten dieses Konflikts geraten. Die weltweite Aufmerksamkeit würde sich dann auf deren Sicherheit konzentrieren, nicht auf die Lösung der Probleme im Sudan.

Die Aussichten für den Tschad stehen schlecht. Möglich ist, dass Déby die Gelegenheit nutzt, um die zivile Opposition im Tschad auszuschalten und die Weltgemeinschaft zwingt, sich zwischen ihm und den Rebellen im Sudan zu entscheiden. Es wäre nicht das erste Mal, dass im Tschad massenweise Oppositionelle ermordet würden. Dies könnte zu einer neuen Schlacht um die Hauptstadt führen - mit Zerstörungen, Vertreibungen und viel Blutvergießen. Das würde den Zerfall des Landes befördern und einen neuen Krisenherd in Afrika schaffen - ein Szenario, das in der Geschichte des Tschad leider sehr vertraut ist. Eine politische Lösung wird jedenfalls mit jeder Stunde unwahrscheinlicher.

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