Debatte Parteienlandschaft: Umfallen als Fortschritt

Auch wenn es nicht so aussieht: Ein Großteil der Wähler unterscheidet verblüffend konservativ zwischen zwei politischen Lagern. Dies müssten die Parteien überwinden.

Deutschland im Patt der großen politischen Lager. Einiges spricht dafür, dass es darauf ankäme, die Lager neu zu mischen, heterogene soziale Kräfte zu bündeln. Kurzum: eine grundlegend veränderte Konstellation von gesellschaftlichen und politischen Allianzen zu kreieren. Das könnte Lernprozesse auslösen, neue Energien produzieren, vielleicht auch alternative Führungsgruppen hervorbringen. Die gegenwärtigen Parteieliten spielen indessen immer noch die kulturellen Lagerkämpfe der 1970er- und 1980er-Jahre nach, auch wenn sich die gesellschaftlichen Mentalitäten und sozialen Lagen längst in Teilen neu gruppiert haben.

Andererseits: Es sind die Wahlbürger selbst, die - und das nicht erst seit den Unübersichtlichkeiten in Hessen - richtungslose Wahlausgänge produzieren. Sie erteilen der Politik ganz sicher keinen Auftrag für eine Politik permanenter Marktreformen; sie verleihen aber auch kein unmissverständliches Mandat für eine universalistisch angelegte Wohlfahrtsstaatlichkeit. Die Bürger möchten ein bisschen das eine, ohne vom anderen gänzlich lassen zu wollen.

Die durch die beiden Volksparteien repräsentierte Hauptströmung in diesem Land ist daher politisch undeutlich. Ebendeshalb wächst an den Flanken des gesellschaftlichen und politischen Spektrums zaghaft, aber kontinuierlich Zuspitzung heran. Ein Teil des gewerblichen Bürgertums hat die Nase voll von den Volksparteien, von der Langwierigkeit der Politik, dem schwerfälligen und zähen Klein-klein. Das hat die FDP in den vergangenen Jahren stärker gemacht, da deren ökonomisches Konzept konziser wirkt als das der breiten und dadurch diffuseren christdemokratischen Volkspartei. Komplementär dazu ist die Linkspartei die andere Gewinnerin bei Wahlen der letzten Zeit. Denn auch auf dem linken Spektrum der Gesellschaft ist die Zahl derjenigen gestiegen, die sich nicht mehr mit der Wahl des ewigen, mehr und mehr aber erkennbar nur vermeintlich "kleineren Übels" in Gestalt der SPD abfinden möchten. Die Gesellschaft und das Parteiensystem fächern sich infolgedessen aus.

Gerade zersplitterte Parteiensysteme haben allerdings einen hohen Bedarf an Kooperationsfähigkeit, der im politischen System Deutschlands schwer zu befriedigen ist. Denn der Parteienwettbewerb, der im föderalen Deutschland durch die außergewöhnliche Vielzahl an Wahlen besonders hart ausfällt, fördert Verhaltensweisen, die Kooperationseigenschaften nicht zuträglich sind. Die Parteien müssen in der Wettbewerbszeit des Wahlkampfes zur Mobilisierung der eigenen Kernanhänger den Gegner verunglimpfen, ja: delegitimieren. Doch dann, wenn die unmittelbare Wettbewerbszeit vorbei ist, steht der Zwang zur Verständigung, zur Allianz, an.

In dieser strukturell angelegten Ambivalenz wirken die Politiker in Deutschland fast notwendig opportunistisch und chamäleonhaft. Politiker in Deutschland müssen in ihrer Funktion als Kooperationstechniker die Tugenden von Kompromiss und Ausgleich beherrschen. In ihrer Aufgabe als parteipolitische Wahlkampfagitatoren aber haben sie sich als Polarisierer und Polemiker zu profilieren. Nicht jeder Bürger kommt mit diesem quirligen Rollenwechsel zurecht.

Der Konfliktkurs treibt nicht nur regelmäßig die beiden Volksparteien gegeneinander, sondern festigt auch die alten Lager stets aufs Neue. Insofern aber sind bislang unerprobte Allianzen jenseits der großen Koalition, sei es nun die Ampel oder Jamaika, auch derzeit wieder kaum zu schmieden, da - zum Beispiel - der marktorthodoxe Prophet Westerwelle mit den Vorkämpfern für den staatlich geregelten Mindestlohn nicht einfach nonchalant Ringe tauschen kann. Und die grünen Kernwähler würden es ihren Spitzenleuten nachhaltig verübeln, wenn diese mit den gerade noch stahlharten Kampagneros der bürgerlichen Rechten ungerührt anbändeln sollten.

Also müsste schon der Wähler selbst für Beweglichkeit sorgen. Mit dieser Flexibilität sollte es, glaubt man den Auguren des politischen Geschäfts, eigentlich bestens bestellt sein. Das Elektorat sei volatil geworden - heißt es dann im Börsenjargon beflissener Telepolitologen: Die Identifikation mit einer Partei nehme rapide ab; der Wähler sei politisch untreu, rochiere kalt berechnend durch die parlamentarische Landschaft.

Würde es tatsächlich so sein, dann wären rasante Koalitionsmanöver unzweifelhaft plebiszitär abgedeckt, gar legitimiert.

Indes: Was hat sich real seit, sagen wir, 2002 in den politischen Basispräferenzen der Deutschen gewandelt? Das so genannte linke Lager aus SPD, Grünen, der PDS bzw. Die Linke kam 2002 auf 51,1 Prozent und 2005 auf 51,0 Prozent der Stimmen; das altbürgerliche Lager aus CDU/CSU und FDP landete 2002 bei 45,9 Prozent, 2005 bei 45,0 Prozent der Wählervoten. Ebenso bemerkenswert ist: Auch seither wirkt diese Grundkonstellation wie gefroren. Nimmt man die neuesten Umfragen von Emnid, Forsa und dimap, dann verharren Union und Liberale im Mittel bei 46 Prozent; die Parteien diesseits davon liegen mit 50 Prozent bemerkenswert konstant vorne. Unberechenbare Volatilitäten sehen anders aus.

Natürlich: Man wird einwenden, dass eine solche Rechnung von einem längst überholten Lagerdenken ausgeht. Doch orientiert sich ein Großteil der Wähler verblüffend traditionalistisch an seinen Grundorientierungen entlang der klassischen Werte und Positionsachsen. Die Anhänger von Linken, Grünen und Sozialdemokraten stehen teils weit, teils ein bisschen links von der Mitte; die Sympathisanten von Union und FDP ordnen sich rechts vom Zentrum ein.

Grüne und Freie Demokraten wissen das; und sie fürchten es. Sie bewegen sich deshalb so wenig, weil sie ihrer weit unbeweglicheren Wählerschaft nicht sicher sind. Und die bedrohliche 5-Prozent-Grenze ist nahe und bleibt ein Menetekel.

So fördert die bundesdeutsche Struktur des chronischen Parteienwettbewerbs die Verfestigung der politischen Lagerbildung. Und der Mangel an Volatilität der Wähler stützt die koalitionspolitischen Zaghaftigkeiten der politischen Eliten noch ab. Dabei käme es in einer solchen blockierten Situation gerade auf deren Führungskunst an, den Strukturen zusätzliche Möglichkeiten abzuringen.

Politiker, die neue Formationen komponieren, können nicht mehr die alten Losungen wiederholen, sondern brauchen neue Begründungen, eine veränderte Zielsetzung, ein unverbrauchtes Pathos für ein ungewohntes Bündnis. Das wäre nicht der viel befürchtete "Umfall", das wäre die fortlaufende politische Erörterung von gesellschaftlichen Veränderungen, die ihren Niederschlag eben auch in der Politik finden müssen.

Politische Anführer mit einer solchen Deutungs- und Überzeugungsfähigkeit hätten eine Chance. Auch sie müssten zunächst durch das Tal der Tränen von Wählerverlusten. Aber die Aussichten, in neue, aktive und urteilsfähige Wählerschichten hineinzudringen, wären gar nicht schlecht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.