Hamburgwahl mit zwei Verlierern: Becks Wortbruch und die Folgen

Hamburgs SPD stöhnt über den "Beck-Effekt". Bürgermeister von Beust büßt Stimmen ein - und kann trotzdem zwischen Grünen und SPD wählen. FDP draußen.

Der Beck, sein Effekt und das Opfer. Bild: ap

Kurz nach Schließung der Wahllokale war die Stimmung unter den Genossen noch getrübt. Nur die zwischenzeitliche 1:0-Führung des Hamburger SV bei Bayern München hatte für Euphorie gesorgt. Ansonsten redeten alle über den "Beck-Effekt". Über den bis heute rätselhaft erscheinenden Schwenk ihres Parteichefs Kurt Beck.

Stimmanteil, Diff. (Sitze im Parlament)

CDU 42,6% -4,6 (56)

SPD 34,1% +3,6 (45)

GRÜNE 9,6% -2,7 (12)

LINKE 6,4% +6,4 (8)

FDP 4,7% +1,9 (0)

Sonstige 2,6%

Quelle: Hamburger Wahlleiter, Amtliches Ergebnis.

Kaum ein Sozialdemokrat in Hamburg versteht, warum Beck nur wenige Tage vor der Wahl eine Diskussion darüber eröffnet hat, ob sich Andrea Ypsilanti mit den Stimmen der Linkspartei zur hessischen Ministerpräsidentin wählen lassen soll. Genützt, darin sind sich hier alle einig, hat der SPD-Vorsitzende den Hamburger Genossen damit nicht. "Wir haben ein Jahr lang einen tollen Wahlkampf gemacht", ist die übereinstimmende Meinung, "und dann kam Kurt Beck."

Aus dem Wahlergebnis lässt sich dieser Pessimismus nicht so ohne weiteres herauslesen. Viel mehr als 34 Prozent waren der SPD in kaum einer Umfrage prognostiziert worden. Dafür waren die Umstände von Michael Naumanns Spitzenkandidatur auch zu widrig. Als der Journalist und Verleger im März 2007 entschied, in die Hamburger Lokalpolitik zu wechseln, stand seine Partei am Abgrund. Der Abstand zur CDU betrug damals fast 20 Prozentpunkte. Am Wahlabend sind es nur noch 9 Prozentpunkte. Und so suchen die Sozialdemokraten wenigstens Trost darin, dass die CDU ihre absolute Mehrheit in der Bürgerschaft verloren hat. So gesehen, sind 34 Prozent ein achtbares Ergebnis, von dem die Sozialdemokraten am Sonntagabend allerdings noch nicht wussten, was es ihnen am Ende bringen würde. Vielleicht doch die von allen ungeliebte große Koalition?

Für den alten und wohl auch neuen Bürgermeister Ole von Beust (CDU) ist die Lage komfortabel. Statt mit einer hauchdünnen Mehrheit mit der FDP zu regieren, mit deren Personal er seine ernüchternden Erfahrungen ja bereits gemacht hat, kann er nun entspannt mit Grünen und SPD über eine Koalition verhandeln. Der frühere CDU-Landeschef Dirk Fischer sagte in einer ersten Stellungnahme, über eine Koalition werde "nach den Inhalten entschieden". Auf die große Koalition in Berlin will die Hamburger CDU ganz offensichtlich keine Rücksicht nehmen.

Vermutlich wird sogar das erste Angebot an die Grünen gehen. Beust selbst hat aus dieser Präferenz schon vor der Wahl keinen Hehl gemacht, und die CDU könnte sich so eine stärkere Verhandlungsposition sichern als mit dem größeren Partner SPD. Beust kündigte auf Basis der ersten Hochrechnung schnelle Gespräche über eine Koalitionsbildung mit SPD und Grünen an. "Ich will kein langes Interregnum", sagte er mit Blick auf Hessen, wo sein Parteifreund Koch seit einem Monat kommissarisch im Amt ist. Auf die Frage, ob es eine zusätzliche Motivation sei, der CDU mit der ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene neue Optionen zu verschaffen, sagte von Beust: "Ich will nicht in die Geschichtsbücher eingehen."

Die Grünen hatten im Wahlkampf bis zuletzt versucht, der Schwarz-Grün-Frage auszuweichen. Die Wunschoption der Grünen war Rot-Grün. "Dieses Ziel haben wir nicht erreicht", sagte im Hamburger Congress Centrum die sichtlich ernüchterte Hamburger Grünen-Chefin und Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk. Ob es denn jetzt Gespräche mit der CDU geben werde? Hajduk weicht aus. "Wir warten das endgültige Ergebnis ab, dann beraten wir uns." Auch Spitzenkandidatin Christa Goetsch mag nur von einer "unübersichtlichen Lage" sprechen und davon, dass "wir nicht auf Teufel komm raus an die Regierung wollen". Die grüne Basis an der Reeperbahn buht bereits, als im Fernsehen bloß die Option Schwarz-Grün genannt wird.

Doch die dürfte die einzig realistische sein, vorausgesetzt, die Hamburger Grünen wollen nicht weiter in der Opposition bleiben. Den Preis für ein Bündnis mit der CDU haben sie möglicherweise schon bezahlt. Dass der Bürgermeister schon im Wahlkampf so deutlich um die einstige Alternativpartei warb, hat sie möglicherweise knapp das zweistellige Wahlergebnis gekostet. Ein Bündnis mit der CDU, das ist für viele rot-grüne Lagerwähler Teufelszeug - auch wenn die Grünen in den beiden Stadtbezirken Altona und Harburg schon längst harmonisch mit der Union regieren.

Das sind Sorgen, die sich der SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann wohl nicht mehr machen muss. "Komplizierte Koalitionsverhandlungen" wünschte Naumann dem CDU-Bürgermeister, als er gegen 18.30 Uhr vor seine Genossen im Kurt-Schumacher-Haus trat, der Hamburger SPD-Zentrale.

Trotzdem ertönen unablässig Rufe, als habe die SPD tatsächlich gesiegt: "Naumann! Naumann! Naumann!" Der SPD-Spitzenmann präsentiert seine Schnellanalyse. "Die absolute Mehrheit des Ole-von-Beust-Senats ist weg." Jubel. "Die Sozialdemokratie in Hamburg ist wieder da." Begeisterung. "Unter den Volksparteien sind wir die Einzigen, die zugelegt haben." Beifall.

Der Spitzenkandidat und seine SPD haben rund 34 Prozent gewonnen, sie sind von CDU klar distanziert worden. Michael Naumann ist nicht der Sieger dieses Abends. Wie ein Verlierer sieht er aber auch nicht aus.

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