Strategien der Spitzenfrauen: Jenseits von Kaffeekränzen

Von Tarja Halonen bis Hillary Clinton - Wie gehen gelangen Politikerinnen an die Macht? Und wie gehen sie mit ihr um? Fünf Porträts

Eine Frau wie Halonen (re.) ist für skandinavische Verhältnisse typisch. Angela Merkel muss ihre Handtasche noch verstecken. Bild: dpa

1. Modell "Null problemer"

Tarja Halonen ist kein Sonderfall. Dass ihr Land eine Präsidentin hat, gilt Finnen als ganz normaler Politikalltag. Früh konnten in Skandinavien Frauen sämtliche Ressorts betreuen. "In Skandinavien herrscht eine andere politische Kultur", sagt die Berliner Politologin Helga Lukoschat. "Seit Jahrzehnten sind die Menschen an weibliche Führungskräfte gewöhnt." In der finnischen Regierung sitzen mehr Frauen als Männer. In Schweden ist jeder zweite Abgeordnete weiblich, in Norwegen jeder dritte. Die jüngste Entwicklung: Eine Frau, Mona Sahlin, ist Vorsitzende der schwedischen Sozialdemokraten. Sie hat gute Aussichten, bald Ministerpräsidentin zu sein. Sahlin muss nicht gegen die Skepsis ankämpfen, ob eine Frau in der Politik überhaupt bestehen kann.

Warum die Lage in Skandinavien so besonders ist, hat Birgit Pfau-Effinger, Soziologin an der Uni Hamburg, am Beispiel Finnlands untersucht. Ihre These: Noch in den Fünfzigern war dies eine bäuerliche Gesellschaft, in der Frauen Kühe molken, Felder bestellten, ganz selbstverständlich in die Arbeitswelt einbezogen waren. Das städtische Bürgertum, das die Rollenteilung zwischen dem Mann in der Außenwelt und der Frau im Haus beförderte, war kaum entwickelt. Als dann in den Sechzigern mehr und mehr Städte entstanden, waren die Ideen der Frauenbewegung schon in der Welt. "Das Modell einer Hausfrauenehe hat sich in ganz Skandinavien nie wirklich ausgeprägt", sagt Pfau-Effinger. So hat sich eine Gesellschaft entwickelt, die Männern und Frauen sämtliche Aufgaben zutraut - auch ein politisches Spitzenamt.

Im Konzert mächtiger Politiker hat Michele Bachelet keine Probleme mitzumischen - Auf dem Gebiet miltiärischer Wissenschaften kennt sie sich eh' besser aus als mancher Kollege. Bild: dpa

2. Modell "Venceremos"

Sie ist eine Frau. Sie glaubt nicht an Gott. Ihre Kinder haben verschiedene Väter. Chiles Präsidentin Michelle Bachelet verkörpert gleich in mehrfacher Hinsicht einen Bruch mit der Tradition. Warum schaffte sie es dennoch an die Staatsspitze?

Bachelets Aufstieg wird erklärbar durch einen Zeitgeist, der sich nach Aufbruch sehnt. Junge Chilenen sind offener für moderne Lebensmodelle geworden. Außerdem ist die erste Generation erwachsen geworden, die nicht mehr mit Augusto Pinochet - dem 1990 entmachteten Diktator - sozialisiert worden ist. Chiles Jugend fordert, stärker als ihre Eltern, eine Aufarbeitung der Diktaturverbrechen. Auch deshalb eignet sich Bachelet als Symbolfigur einer neuen Zeit: In den Siebzigern saß sie mehrere Wochen im Foltergefängnis.

Taktisch klug lavierte sich Bachelet in die Zentren der Macht, sagt Urs Müller-Plantenberg, Soziologe am Zentrum für Lateinamerikastudien der Uni Warschau. Den Einstieg in die hohe Politik schaffte sie mit einem klassischen Frauenressort - dem Gesundheitsministerium. Dann aber puschte sie ihre Karriere, indem sie sich in eine Männerbastion vorkämpfte: Sie bildete sich in militärischen Wissenschaften fort und wurde Verteidigungsministerin. Als Präsidentin wendet sie sich nun auch wieder "traditionell weiblichen" Themen wie Bildung und Gesundheit zu. Gerade die Mischung aus Wissen in vermeintlich männlichen Gebieten und "mütterlichem" Sozialtouch hat sich offenbart bewährt.

3. Modell "Quantenphysik"

Angela Merkel trägt Hosenanzüge. Sie versteckt ihre Handtasche. Nie würde sie sich das Label "Feministin" anheften lassen. Die deutsche Kanzlerin folgt einer Politstrategie, die Helga Lukoschat "das Geschlecht neutralisieren" nennt. "Es war klug, dass Merkel sich nie auf eine Schiene - Frau oder Ostdeutsche - schieben ließ", sagt die Politologin. "Gerade das machte sie für die Masse wählbar." Die Soziologin Sylka Scholz spricht von einer sinnvollen Aufteilung zwischen Merkel und Familienministerin Ursula von der Leyen: Von der Leyen treibe ein modernes Frauenbild voran, das auch Merkel unterstützt. Merkel selbst aber bleibe von dem "Makel" bewahrt, sich für sogenannte Frauenthemen einzusetzen.

Doch nicht nur inhaltlich inszeniert sich Merkel als unfraulicher Politmensch. Merkel habe auch einen Kleidungsstil, einen Gestus gefunden, "der Macht ausstrahlt", sagt Scholz. Im Alltagsgeschäft gelinge ihr dies sehr gut. Merkel müsse sich lediglich vor Zweierfotos hüten, mahnt die Wissenschaftlerin: Ist sie an der Seite von Bush und Co abgelichtet, "wirken die beiden oft wie ein Liebespaar. Sie schaut lächelnd zu ihm auf, er blickt auf sie hinab."

Es half Angela Merkel, dass sie sich nicht kirre machen ließ. Stoisch saß die Kandidatin und Kanzlerin Merkel die Diskussionen über ihr Talent, ihre Fähigkeiten, ihre Entscheidungskraft aus. Sie vertraute auf einen Effekt, der schließlich eintrat: dass politische Erfolge den Faktor Frau in den Hintergrund treten lassen. "Kann-die-dat" titelte die Süddeutsche Zeitung, als Merkel ums Kanzleramt kämpfte.

Heute wären solche Plattitüden kaum mehr denkbar. "In Deutschland ist immer noch die Vorstellung verbreitet, dass Weiblichkeit und politische Kompetenz nicht recht zusammenpassen", sagt Scholz. "Immer noch meinen Medien wie der Spiegel, Debatten über Merkels Führungsstärke lancieren zu müssen. Aber immerhin: Das wird seltener. Die Strukturen brechen auf."

In Frankreich ist Politik noch immer eine Männerdomäne. Das bekam Royal im Präsidentschaftswahlkampf 2007 zu spüren. Bild: rtr

4. Modell "Femme féministe"

Ségolène Royal gibt sich keine Mühe, ihr Frausein zu verbergen. Im Gegenteil. Sexy, fröhlich, feminin lächelte sie von den Wahlplakaten. "Sie betont ihre Weiblichkeit. Das ist ein Wagnis. Im Endeffekt hat ihr das beim Kampf ums französische Präsidentenamt wohl doch eher geschadet", sagt die Politologin Helga Lukoschat.

Royal entstammt einer erzkonservativen Offiziersfamilie, über die der Vater unangefochten herrschte. "Ich habe nie so werden wollen wie die Frauen meiner Familie, auf allen Ebenen untergeben, mit dieser finanziellen, intellektuellen und emotionalen Abhängigkeit", erzählt sie in ihrer Biografie. Während des Studiums kämpft sie gegen Sexismus und für eine straffreie Abtreibung. "Ich bin über den Feminismus zum Sozialismus gekommen", bekennt sie später.

An der ENA, Frankreichs Schmiede künftiger Polit-Eliten, lernt sie François Hollande kennen, mit dem sie bis Ende 2007 zusammenlebt und vier Kinder hat. Das Paar beginnt eine politische Karriere, die ihren Höhepunkt 2007 erreicht: Royal bewirbt sich für die Sozialisten um das Präsidentenamt. Der Ausgang ist bekannt. Gegenkandidat Nicolas Sarkozy gewinnt die Wahl - und Royal verschwindet erst einmal aus der vordersten Front der französischen Politik.

Royal scheiterte auch am Frauenbild ihrer Umgebung, schreibt Traudl Brandstätter in ihrem Buch "Die neue Macht der Frauen". Von Anfang an unterstützten demnach viele Parteigenossen sie nur halbherzig. Zu fremd war ihnen der Gedanke, einer Frau das höchste Amt anzuvertrauen, zu gekränkt waren sie, dass sie nicht selbst aufgestellt worden waren.

Dies wird begreifbar auf dem Hintergrund, dass Politik in Frankreich, mehr als anderswo in Europa, ein Männerterrain ist. Erst seit 1944 dürfen die Französinnen überhaupt wählen. Heute sind gerade einmal 18,5 Prozent der Abgeordneten weiblich. Die Franzosen lauschten interessiert dem neuen Ton, den Royal in die Politik brachte. Das höchste Amt aber gaben sie lieber einem Mann. Der sich dann wenigstens bemüßigt fühlte, sein Kabinett mit vielen Frauen zu besetzen.

5. Modell "Yes, we can"

In Yale lernte Hillary nicht nur Jura. Sie studierte auch ein neues Weltbild. Die Sechziger waren eine Zeit, in der Frauen nach Zielen jenseits von Kindern, Küche und Kaffeekränzchen verlangten. "Ich wurde auf dem Höhepunkt gesellschaftlicher Veränderungen erwachsen", schreibt Clinton in ihrer Autobiografie. "Meine Mutter hätte mein Leben ebenso wenig führen können wie meine Großmütter." Sie macht Karriere als Anwältin. Sie sorgt dafür, dass ihr Mann das Windelnwechseln lernte. Als Bill Clinton fürs Präsidentenamt kandidiert, betont sie, dass sie "nicht die typische Politikergattin" sei. "In einer Ära des Wandels der Geschlechterrollen war ich Amerikas wichtigstes Ausstellungsstück", schreibt sie später. Immer wieder erlebt sie, dass einer Frau ein Machtposten nicht zugetraut wird. Das entfacht ihren Ehrgeiz. Hillary erkämpft sich einen Ruf - als erfahrene, kompetente und disziplinierte Politikerin.

Dass ihr Geschlecht Clinton beim US-Wahlkampf massive Vorteile eintragen würde, ist derzeit nicht zu beobachten. Einerseits traut ein großer Teil der US-Bürger nach Umfragen einer Frau den Posten gar nicht zu. Andererseits, auch das belegen Umfragen, finden gerade jüngere Wählerinnen allein das Frausein Clintons kein Argument, ihr die Stimme zu geben - weil sie glauben, dass diese Kategorie heute gar keine Rolle mehr spielt.

Die Lage ist auch deshalb so besonders, weil die Frau Clinton mit dem Schwarzen Barack Obama konkurriert. Normbruch wetteifert mit Normbruch - eine einmalige Situation.

PORTRÄTS: COSIMA SCHMITT

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.