Gesprächsrunde zum Thema Online-Durchsuchung: Selbstschutz oder Selbstschuss

Am Montagabend fand im Haus des Deutschen Anwaltvereins in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Thema "Online-Durchsuchung - unentbehrlich oder gefährlich?" statt. Ein Protokoll.

Der Star des Abends, Gut-und-Böse-Mensch Bosbach, kommt erstmal zu spät. Bild: ap

Als Podiumsdiskussion angekündigt, kommt der Abend doch eher wie eine typische Anzugträgerveranstaltung daher. So, wie sie täglich hundertfach in der Berliner Republik stattfindet: Handshake, Schulterklopfer, Brezeln, Getränke. Und der Star der Veranstaltung verspätet sich natürlich: Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kommt 15 Minuten zu spät. Alles wartet, denn so einer rettet den Abend.Die weiteren Gäste: Prof. Dr. Rainer Hamm (ehemaliger Hessischer Datenschutzbeauftragte), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion und ehemalige Bundesjustizministerin), Rainer Wendt (Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft) und Albrecht Ude (Fachausschuss Online-Journalismus des DJV). So weit. Die Runde wurde im Vorfeld als Gemisch aus Befürwortern und Kritikern angekündigt. Schauen wir mal.

Nachdem auch Bosbach eingetroffen ist, geht’s dann mal los in die heitere Diskussion. Moderator Dr. Michael Rediske (DJV) bittet zunächst die Diskutanten, ein Statement zum Thema abzugeben. Den Anfang macht Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die nur einen Satz benötigt, um zu sagen, was sie meint: Sie hält das Urteil für wegweisend. Leider braucht sie für diesen einen Satz 10 Minuten. Moderator Rediske klärt danach kurz auf: Frau Leutheusser-Schnarrenberger sei eine "Kritikerin" der Online-Überwachung. Dann darf "Praktiker" (Rediske) Rainer Wendt von der Polizeigewerkschft: Das neue Urteil sei positiv, weil es endlich Rechtsklarheit schaffe. Gesetzte, wie das zur Online-Durchsuchung werden oft von der Politik "schlampig erstellt", und deshalb vom Verfassungsgericht "kassiert", wie in Nordrhein-Westfalen passiert. Wendt scheint den Innenminister von NRW nicht zu mögen: "Ingo Wolf ist damit voll vor die Pumpe gelaufen."

Nun sei endlich eine rechtlich einwandfreie Zone für die Sicherheitsorgane geschaffen worden, so der Gewerkschaftler. Der Schutz der Privatsphäre könne jetzt gewährleistet werden. Das sichere das so genannte Richterband (schreibt vor, dass Daten zwar komplett durch Ermittlungsbehörden gesichert werden dürfen, dann aber ein Richter im Nachhinein das Material sichten muss und entscheidet, welche Daten privat und somit zu löschen sind). Auch der eher kritische Albrecht Ude zeigt sich im Großen und Ganzen zufrieden mit dem Gesetz. Allerdings prangert er eine "Schizophrenie" an: Der Staat versuche, in das IT-Netz der Bürger einzubrechen und sei trotzdem massiv daran interessiert, ein sicheres IT-Netz in der Bundesrepublik zu haben. Auch er bestätigt, dass das Gesetz schlampig geschrieben worden sei, macht aber ein Kalkül dabei aus: Das werde extra getan, in der Hoffnung, das Verfassungsgericht schneide dann weg, was überflüssig sei. Ude glaubt außerdem, dass das Richterband zwar bei Abhöraktionen sinnvoll sei, nicht aber bei digitalen Observierungsmaßnahmen. Und: Wer wegen krimineller Energie etwas zu verbergen habe, könne sich mit entsprechender Software schützen.

Dann darf endlich der große Star des Abends ans Mikrofon, hat er sich doch mittlerweile 45 Minuten zurückhalten müssen. Mit bekannt rheinischem Einschlag gibt er erstmal ein bisschen an. Hinsichtlich Albrecht Udes Einwand, Kriminelle werden sich vor der PC-Durchsuchung schützen, weiß der Gut-und-Böse-Mensch Bosbach: "Seit 1868 werden Fingerabdrücke genommen, wir wissen, dass man sich davor mit Handschuhen schützen kann, trotzdem suchen wir danach!" Schön auswendig gelernt. "Kriminelle glauben immer, sie arbeiten sicher, aber früher oder später kriegt man sie!" Und dann ein erster Anflug von Diskussion: Ude merkt an, dass man sehr wohl mit entsprechender Software registrieren könne, dass man durchsucht werde. Dann könne man entsprechend handeln. Der erboste Bosbach: "Ja, aber bei einer klassischen Hausdurchsuchung kann ich Unterlagen auch verbrennen!"

Der ehemalige Datenschützer Hamm geht daraufhin Bosbachs Kenntnis über Kriminalpsychologie an: Sein Glaube, Kriminelle fühlen sich immer sicher, sei einem Hollywoodfilm entsprungen. Hamm hat Recht, kriminelles Handeln kann vielschichtigere Gründe haben, als Bosbach es sich in seiner kleinen Welt vorstellen mag. Dann folgt eine Abhandlung zum Thema Selbstschutz, Themen wie Industriespionage und Schutz der Privatssphäre. Interessant dabei: Der Mann verwechselt mehrmals die Wörter Selbstschutz und Selbstschuss. Und plötzlich: Ein lautes Knattern über die Lautsprecher, eine Handyrückkopplung. Das Publikum ist wieder wach.

Es folgt eine zweite Runde. Leutheusser-Schnarrenberger fraselt, Bosbach erläutert, dass der Staat an sicheren Rechnern interessiert sei und trotzdem in die System eindringen muss und das kein Widerspruch sei. Und dann wieder sein Staatsschutzargument: Wenn die Bürger in den Urlaub fahren, sage man ihnen ja auch, sie sollen die Fenster schließen. Und trotzdem müsse die Polizei dann in dringenden Fällen mal ins Haus. Das erfordere dann zwar einen höheren Aufwand, sei aber notwendig. Und dann noch ein Anekdötchen: Der Staat habe, bevor die Gesetzeslage eindeutig geklärt war, längst Online-Durchsuchungen durchgeführt – und das sehr ertragreich. Man habe damals im Clubraum des Bundestages gesessen und darüber diskutiert. Bosbach habe natürlich kritisch nach einer juristischen Grundlage gefragt. Die Antwort damals: "Das kann man so sehen oder auch anders."

Hamm bringt dann endlich mal ein richtiges Argument gegen die Online-Maßnahme: Haus- und Online-Durchsuchung sei eben nicht vergleichbar – bei erstem geben es ein genaues Protokoll der konfiszierten Gegenstände und entsprechende Zeugen. Da man aber Daten nie richtig vom Rechner löschen könne, wisse ein Betroffener und auch die Polizei oft nicht, was da mitgenommen werde. Eine Protokollierung sei unmöglich. Das unterscheidet eben heute von gestern. Bosbach sieht das natürlich nicht ein. Im Anschluss dann einige Publikumsfragen, die aber größtenteils abmoderiert werden. So wird auch diese Chance auf ein Austausch von Argumenten verhindert. Gefehlt hat wohl eine kritische Stimme zum Thema, mit der eine Diskussion hätte stattfinden können. Stattdessen hörte man nur eine Aneinanderreihung von Statements.

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