Europaabgeordnete fordern Kehrtwende: Die EU muss sozialer werden

Vollbeschäftigung allein reicht nicht, die Menschen müssen von ihren Jobs auch leben können, richten EU-Parlamentarier aller Parteien den Regierungschefs zum Gipfeltreffen aus.

Die EU-Verträge sind mit daran schuld, dass viele Menschen nicht von ihrer Arbeit leben können. Bild: ap

BRÜSSEL taz Ob der Chef der Liberalen im Europaparlament am Mittwoch die Bild-Zeitung gelesen hat, ist nicht bekannt. Einen Tag vor Beginn des Europäischen Frühjahrsgipfels forderte Graham Watson die Regierungen auf, "sich auch im eigenen Verhalten zu Energieeinsparung und einem maßvollen Umgang mit Transportmitteln" zu verpflichten. Da hatte Bild gerade gemeldet, Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) habe vergangenen Sommer eine Challenger der Bundeswehr bemüht, um von Mallorca aus an einer Kabinettssitzung in Berlin teilzunehmen. Er sei der einzige Passagier der Maschine gewesen.

In den meisten Redebeiträgen der Debatte spielten Energieeffizienz und Klimawandel aber nur eine Nebenrolle. Obwohl das beim heute beginnenden Frühjahrsgipfel ganz oben auf der Tagesordnung stehen wird, haben Wähler offenbar andere Sorgen. Ihre Abgeordneten jedenfalls forderten quer durchs Parteienspektrum, die wirtschaftspolitischen Leitlinien zu ändern. Wachstum dürfe kein Selbstzweck sein. Auch Vollbeschäftigung habe nur dann ihr Ziel erreicht, wenn die Menschen von ihren Jobs auch leben könnten.

"Wir müssen die Interessen der Verwundbarsten schützen", sagte Joseph Daul, der die konservative Fraktion leitet. Und Martin Schulz, Chef der Sozialisten, meinte: "Was nützt uns ein wachsender Binnenmarkt, wenn ein Unternehmen mit vier Prozent Gewinn abwandert, weil die Shareholder sechs Prozent erwarten? Wenn die Freizügigkeit in der EU dazu führt, dass soziale Errungenschaften abgebaut werden, nutzt das nur den Unternehmen."

Mehrere Abgeordnete erinnerten daran, dass der Europäische Gerichtshof bei Konflikten zwischen dem Schutz sozialer Standards in einem Land und dem freien Zugang von Unternehmen mit geringeren Sozialstandards stets zugunsten der Freizügigkeit entschieden habe. Diese Auslegung der EU-Verträge führe zu Sozialdumping. Wenn das europäische Sozialmodell erhalten bleiben solle, müssten die EU-Verträge geändert werden.

Für die Ratspräsidentschaft versuchte der slowenische Europaminister Janez Lenarcic die Bedenken der Abgeordneten zu beschwichtigen. "Die soziale Dimension ist einer der zentralen Punkte in der Strategie von Lissabon." Klimapolitische Erwartungen an den Gipfel dämpfte er aber: Konkrete Ergebnisse seien nicht zu erwarten. "Wir werden uns aber auf die grundsätzliche Lastenverteilung und auf einen Zeitrahmen einigen." Bis Ende 2008 solle der Rat eine gemeinsame Position finden, damit das Paket 2009 mit der Kommission ausgehandelt werden kann.

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