10 Jahre Nordirland-Abkommen: Einer der Brüder muss gehen

Am Karfreitag 1998 wurde das Belfaster Abkommen unterzeichnet. Nordirland erfährt inzwischen einen Aufschwung. Daran wird auch der Abschied von Premier Paisley nichts ändern.

Einst Todfeinde, weihen sie heute gerne zusammen Shopping Malls ein. Ian Paisley (links) und Martin McGuinness (rechts) Bild: ap

BELFAST taz Die "Kicherbrüder", so werden sie in Nordirland genannt. Ian Paisley, Protestantenpfarrer und Chef der Demokratischen Unionistischen Partei (DUP), und Martin McGuinness von Sinn Féin, dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), leiten seit knapp einem Jahr die nordirische Regierung. Die Fotos der beiden, wie sie bei der Einweihung der Filiale eines schwedischen Möbelhauses in Belfast kichernd auf einem Sofa sitzen oder bei der Eröffnung eines Einkaufszentrums miteinander scherzen, symbolisieren die veränderte Atmosphäre in der ehemaligen Krisenprovinz.

Das Belfaster Abkommen, das nach 22 Monaten zäher Verhandlungen am Karfreitag 1998 von den nordirischen Parteien sowie den Regierungen in London und Dublin unterzeichnet wurde, regelt die Modalitäten für eine gemeinsame Regierung der katholischen und protestantischen Parteien. Die Details blieben jedoch verschwommen, und so stritten die Beteiligten lange um die Auslegung. In dem 69-seitigen Dokument ging es um drei Bereiche: die internen nordirischen Beziehungen, die gesamtirische Dimension und das Verhältnis zwischen London und Dublin. Nordirland sollte zum ersten Mal seit 1974 wieder ein Regionalparlament erhalten. Das wurde nach dem Verhältniswahlrecht im Juni 1998 gewählt. Die 108 Abgeordneten sind für Finanzen, Wirtschaftsentwicklung, Gesundheit, Bildung, Umwelt, Landwirtschaft und Soziales zuständig. Sie stellen eine zwölfköpfige Mehrparteienregierung auf. Um Sinn Féin zur Teilnahme zu bewegen, gab es eine Generalamnestie für politische Gefangene. Die irische Regierung ließ als Zugeständnis die Verfassungsparagrafen, in denen Anspruch auf Nordirland erhoben wird, per Volksentscheid streichen. RASO

Es war ein langer Weg vom "Belfaster Abkommen", das am Karfreitag vor zehn Jahren unterzeichnet wurde, bis zur Mehrparteienregierung, die im vorigen Mai gebildet wurde. Es ist noch kein Jahr her, dass Paisley zum ersten Mal direkt mit einem Sinn-Féin-Mitglied gesprochen hat. Die Verhandlungen mussten bis dahin durch Mittelsmänner geführt werden, die wie Laufburschen zwischen den Büros hin und her eilten.

Doch inzwischen zeigt das Friedensabkommen auch im wirtschaftlichen Bereich deutliche Wirkung. Belfast erlebt einen Bauboom. Neue Wohn- und Bürogebäude, Einkaufszentren und Hotels, Bars und Restaurants entstehen, Altbauten wurden saniert, Straßen und Plätze neu hergerichtet. Ursache des Aufschwungs ist nicht zuletzt der Tourismus: Die Besucherzahlen nehmen kontinuierlich zu. Wichtiger aber sind die zahlreichen Firmenansiedlungen und die Zuwanderung von Menschen, die durch die niedrige Arbeitslosigkeit angelockt werden.

Die innige Beziehung zwischen Paisley und McGuinness neigt sich nun freilich dem Ende zu. Vor zwei Wochen kündigte der fast 82-jährige Pfarrer seinen Rücktritt an, beim Parteitag im Mai wird er wohl gehen. Im Januar ist er bereits als Chef der "Freien Presbyterianischen Kirche" abgelöst worden, die er vor 51 Jahren gegründet hatte. Sein Rücktritt war nicht freiwillig, genauso wenig, wie es seine Amtsniederlegung als DUP-Vorsitzender und Premierminister ist - auch wenn alle beteuern, dass es sein eigener Wunsch war. Die Fundamentalisten in Kirche und Partei nehmen es ihm übel, dass er sich mit Sinn Féin eingelassen und obendrein seinen Spaß dabei hat.

Paisleys Ankündigung, in Rente zu gehen, hat eine Flut von Elogen ausgelöst. Der irische Premierminister Bertie Ahern nannte ihn einen "ehrenwerten Giganten in der irischen Geschichte, der stets getan hat, was er für richtig hielt". Aherns britischer Amtskollege Gordon Brown lobte "Paisleys Mut" und meinte, sein "Einsatz und sein Engagement für die Menschen in Nordirland verdient unsere Dankbarkeit". Browns Vorgänger Tony Blair fügte hinzu: "Paisleys Beitrag zum Frieden war entscheidend und bestimmend." Selbst Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams stimmte in den Chor ein: "Ich möchte den positiven Beitrag loben, den Herr Paisley in letzter Zeit geleistet hat."

Das sind erstaunlich wohlwollende politische Nachrufe auf einen Mann, der nur zweimal in seinem Leben ja gesagt hat: einmal bei seiner Hochzeit im Jahr 1956, das andere Mal im vorigen Mai, als er der Regierung unter Beteiligung von Sinn Féin zustimmte. Dazwischen lagen 50 Jahre des Hasses und der Demagogie.

Paisley ist verantwortlich für den Beginn des Nordirland-Konflikts. Als die Bürgerrechtsbewegung Ende der Sechzigerjahre mit ihren moderaten Forderungen nach katholischer Gleichberechtigung antrat, malte Paisley die Apokalypse für den Unionismus an die Wand. Die IRA existierte damals nur als Veteranenverein, aber die Angstmache wirkte. Protestantische Kommandos griffen Bürgerrechtsmärsche an und verwüsteten katholische Viertel. In dieser Atmosphäre begann die IRA, sich zu reorganisieren. Paisleys Prophezeiung hatte sich selbst erfüllt, die Gewaltspirale war in Gang gesetzt.

Auf dem Höhepunkt dieser "Troubles", wie der Krieg euphemistisch genannt wurde, waren 15 Bataillone der britischen Armee alleine in Belfast stationiert - mehr, als in den Kriegen im Irak und in Afghanistan zusammen eingesetzt wurden.

In den folgenden 35 Jahren blieb Paisley die größte Hürde für eine politische Lösung. Jeder vorsichtige Versuch eines Unionistenführers, kleine Zugeständnisse zu machen, wurde von Paisley mit Judasrufen quittiert. Seine Agitation zwang nacheinander vier nordirische Premierminister zum Rücktritt, zuletzt David Trimble, der für seine Unterschrift unter das Belfaster Abkommen vor zehn Jahren den Friedensnobelpreis erhalten hatte. Für Paisley war dieses Abkommen, auf dessen Basis die nordirische Regierung gebildet wurde, ein Teufelswerk.

Paisleys Ablehnung jeglicher Reformen trieb der IRA neue Mitglieder in die Arme, und je stärker IRA und Sinn Féin wurden, desto stärker wurde auch Paisley. Als seine DUP die bis dahin dominierende Ulster Unionist Party von Trimble bei den britischen Wahlen 2005 überflügelt hatte, war er am Ziel. Nun konnte er verhandeln, und da Sinn Féin bei denselben Wahlen die Sozialdemokraten auf katholischer Seite als stärkste Partei abgelöst hatte, musste er irgendwann auch mit der IRA-Partei verhandeln. Kein anderer Unionistenführer wäre dazu in der Lage gewesen, denn der wortgewaltige Pfarrer hätte das verhindert.

Um Paisleys Gesicht zu wahren, formulierten die Regierungen in London und Dublin im Jahr 2006 das Belfaster Abkommen etwas um und nannten es "Abkommen von St. Andrews". Es enthält nicht viel anderes als frühere Abkommen in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren, die allesamt von Paisley torpediert worden waren. Diesmal, 3.500 Tote später, unterschrieb er, nachdem die IRA ihre Waffen abgegeben, das Kriegsende erklärt und ihre Unterstützung für die Polizei zugesagt hatte.

"Wer hätte sich getraut vorherzusagen", fragte McGuinness auf dem Sinn-Féin-Parteitag im Februar, "dass Ian Paisley und ich gemeinsam eine Regierung im Norden führen werden? Es hat einen Nutzen für alle Menschen, die hier leben, wenn dieses Abkommen funktioniert. Es hat bisher funktioniert, und es wird auch weiterhin funktionieren."

Was kommt nach Paisley? Es gilt als sicher, dass sein bisheriger Stellvertreter, Peter Robinson, sein Nachfolger wird. Der 59-Jährige hat seine Basis in der urbanen protestantischen Arbeiterklasse, während Paisley den ländlichen, religiös-fundamentalistischen Flügel vertritt. Robinson ist ein Technokrat, bei seinen Auftritten mit McGuinness wird es kein Kichern geben. "Wir werden nicht zusammen angeln gehen", sagte er.

Das Misstrauen sitzt noch tief. Um es abzubauen, wollte London ursprünglich eine "Opferkommission" nach Vorbild der südafrikanischen "Truth Commission" ins Leben rufen. "Die Terroristen auf beiden Seiten müssen anerkennen, dass sie viel Leid zugefügt haben", hieß es vor zwei Jahren. Seitdem hört man nichts mehr davon. Offenbar ist der Regierung klar geworden, dass dann auch ihre Rolle zur Sprache kommen müsste. Britische Soldaten haben in zahllosen Fällen gemeinsame Sache mit protestantischen Terroristen gemacht, auf ihr Konto gehen mindestens 120 Morde.

Noch sind die protestantischen paramilitärischen Organisationen bis an die Zähne bewaffnet, und auf der Gegenseite haben die Dissidenten der "Real IRA" Anfang Februar gedroht, dass sie eine neue Offensive starten werden. Eine Rückkehr zum bewaffneten Kampf ist jedoch ausgeschlossen, dafür fehlt die Unterstützung der Bevölkerung.

Selbst die Queen kommt

Ob die Mehrparteienregierung mittelfristig Bestand haben wird, ist dagegen nicht sicher. Sie steuert gerade auf eine Krise zu. Sinn Féin will, dass die Zuständigkeiten für Polizei und Justiz im Mai von London auf Belfast übertragen werden, doch die DUP winkte ab: Es sei viel zu früh, um Exterroristen Polizei und Justiz anzuvertrauen.

Diese Streitigkeiten tun dem Optimismus in Nordirland aber keinen Abbruch. Das deutlichste Zeichen für den Wandel ist der morgige Besuch der Königin. Sie wird in Belfast das "Maundy Money" an Bedürftige verteilen: Jeder Beschenkte erhält eine Summe Geldes, die der Zahl der Lebensjahre des Monarchen in Pence entspricht - ein Relikt aus dem 13. Jahrhundert, als die Queen auch noch die Füße der Untertanen wusch. Es ist das erste Mal, dass Elisabeth ihren Besuch in Nordirland vorher angekündigt hat. Bisher hatte man von ihren Stippvisiten erst erfahren, als sie schon wieder weg war.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.