Neue Anwendung für Insulin: Impfung gegen Diabetes

Viele Menschen, die an Diabetes erkrankt sind, müssen sich Insulin spritzen. Eine internationale Studie versucht nun, das Hormon bei Kindern als Impfstoff anzuwenden.

Kann das Hormon Insulin Diabetes auch vorbeugen? Bild: dpa

Vor kurzem ist Phillip vier Jahre alt geworden. Er ist ein sehr fröhliches Kind, das gerne klettert, stolz mit seinem neuen Dreirad umherfährt und gerne mit seinen Freunden umhertollt. Doch seine Eltern machen sich Sorgen. Phillips Mutter und seine 15 Jahre alte Schwester leiden unter einer bestimmten Form der Zuckerkrankheit - dem Typ-I-Diabetes, und es besteht ein hohes Risiko für Phillip, auch daran zu erkranken.

Beim Typ-I-Diabetes greifen körpereigene Zellen die Bauchspeicheldrüse an, und es kommt dort zum Untergang der Langerhansschen Inselzellen. Normalerweise schütten sie ein lebenswichtiges Hormon aus - das Insulin, das die Aufnahme von Glucose aus dem Blut in die Körperzellen fördert und so den Blutzuckerspiegel senkt. Zurzeit gibt es nur eine Möglichkeit, die Krankheit zu bekämpfen: das lebenslange Spritzen von Insulin.

Doch vielleicht eröffnet sich bald eine weitere Alternative: durch Impfung den Ausbruch der Erkrankung verhindern. Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass Insulin diejenige Substanz ist, die während der Krankheitsentstehung von aggressiven körpereigenen Zellen als erste attackiert wird. Bereits viele Jahre vor dem Ausbruch der Erkrankung lassen sich als Hinweis auf diesen Angriff bestimmte Eiweiße - sogenannte Diabetes-Autoantikörper - im Blut nachweisen.

Andere Forschungsarbeiten an Mäusen mit hohem Diabetes-Risiko zeigten: Gibt man den Tieren rechtzeitig geringe Mengen Insulin, das heißt, man impft sie, so lässt sich der Ausbruch der Erkrankung verhindern.

Mit einer internationalen Studie, genannt Pre-POINT, wollen Mediziner nun die Möglichkeit einer Impfung mit Insulin bei Kindern untersuchen. Dies ist von hoher Relevanz. "Der Typ-I-Diabetes ist die häufigste chronische Erkrankung im Kindesalter", erklärt die deutsche Studienleiterin Anette-Gabriele Ziegler vom Institut für Diabetesforschung der TU München. Etwa drei von 1.000 Kindern bekommen einen Typ-I-Diabetes. Kinder aus Familien, in denen bereits mehrere Mitglieder an Diabetes erkrankt sind, haben ein Diabetesrisiko von 30 Prozent. Finden sich bei den Kindern zusätzlich bestimmte Vererbungsmerkmale, erkrankt sogar jedes zweite der Kinder.

Teilnehmen an der Pre-POINT-Studie können Kinder im Alter zwischen zwei und sieben Jahren. Beide Elternteile müssen hierzu ihre Einwilligung geben. Die Kinder müssen gesund sein und dürfen noch keine Autoantikörper gebildet haben. Zugleich muss die Gefahr einer Erkrankung sehr hoch sein: Im Blut der Kinder sollten sich Diabetes-Risikogene nachweisen lassen und mindestens ein Geschwisterkind oder beide Elternteile sollten bereits an Diabetes erkrankt sein.

Die Pre-POINT-Studie prüft, ob die Gabe von Insulin eine schützende Immunantwort hervorruft. Sie könnte verhindern, dass die Insulin produzierenden Zellen zerstört werden. Die Kinder nehmen das Insulin als Pulver über den Mund oder als Spray über die Nase ein. "Wie jedes Eiweiß wird Insulin im Magen-Darm-Trakt abgebaut", sagt Ziegler. "Das Immunsystem der Schleimhaut im Magen-Darm-Trakt erkennt jedoch auch Bruchstücke des Insulins."

Ziegler hält Nebenwirkungen für unwahrscheinlich. Bemerkenswert ist jedoch, dass es Forschungsarbeiten gibt, die die in vielen Studien gefundene schützende Wirkung des Insulins nicht nachweisen konnten.

So führte eine Wissenschaftlergruppe um Wolfram Karges, Medizinische Universitätsklinik Ulm, Mäusen mit hohem Diabetes-Risiko Insulin-DNA zu, die die Bildung von körpereigenem Insulin fördert. Daraufhin entwickelten die Mäuse verstärkt einen Diabetes mellitus I. Die Karges-Gruppe kam zu dem Schluss, dass Insulin autoaggressive Reaktionen triggern kann.

Zudem ist zurzeit noch unbekannt, worauf die mögliche Schutzwirkung des Insulins beruht. Offenbar liegen ihr nicht die Mechanismen einer Desensibilisierung zugrunde, mit deren Hilfe eine Allergie bekämpft wird. Hier führt man einem Allergiker geringe Mengen derjenigen Substanz zu, gegen die er allergisch reagiert. Dadurch erreicht man, dass sich gegen die Substanz gerichtete Antikörper seines Immunsystems verändern und eine allergische Reaktion ausbleibt. Bei der Ziegler-Studie hingegen dürfen die Kinder noch keine Diabetes-Autoantikörper gebildet haben und man erwartet, dass eine Impfung mit Insulin die Bildung der Autoantikörper unterdrückt.

Ziegler geht nicht davon aus, dass das verabreichte Insulin den Blutzuckerspiegel beeinflussen kann. Die Kinder würden aber in kurzen Zeitabständen beobachtet werden.

Neben Deutschland beteiligen sich auch Österreich, Italien, England, die USA und die Schweiz an der Pre-POINT-Studie. Gefördert wird die Studie vom Bundesforschungsministerium und der Juvenile Diabetes Research Foundation (JDRF) in den USA. Während die 18-monatige Pre-POINT Studie feststellen soll, welche die am besten geeignete Dosis und Form für die Impfung ist, ist es das Ziel der weiterführenden Diabetes-POINT-Studie, den schützenden Effekt der Impfung über einen längeren Zeitraum zu untersuchen. Teilnehmer der Pre-POINT Studie können bei dieser Nachfolgestudie von Beginn an mitmachen.

Dies gilt auch für Phillip. Seine Eltern sehen das Ganze mit gemischten Gefühlen. Einerseits wissen sie nun, dass Phillip ein hohes Risiko hat, einen Diabetes zu entwickeln, andererseits hoffen sie, dass die Impfung erfolgreich sein wird.

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