Tschad-Präsident verbarrikadiert Hauptstadt: Angst vor dem eigenen Schatten

Mit einem Putsch kam der tschadische Präsident Déby an die Macht. Nun fürchtet er, vom eigenen Militär weggeputscht zu werden - und lässt sogar Bäume fällen, um das zu verhindern.

Sie sollen den Rebellen keine Deckung bieten: Gefällte Bäume in NDjamena. Bild: reuters

NDJAMENA taz Zum Flanieren hat die Avenue Charles de Gaulle im Zentrum von Tschads Hauptstadt NDjamena nie wirklich eingeladen. Zu staubig ist die Straße, über die laut dröhnend Lastwagen und mit Passagieren überbesetzte Minibusse rumpeln. Zu wenig gibt es in den Läden zu kaufen - und das sowieso nur, wenn man das Geld dazu hat.

Tschad beherbergt im Osten des Landes rund eine halbe Million Flüchtlinge und Vertriebene aus der Nachbarregion Darfur in Sudan sowie aus umkämpften Gebieten des Tschad und der Zentralafrikanischen Republik. Zum Schutz der zwölf anerkannten UN-Flüchtlingslager hat die EU die Entsendung einer bis zu 3.700 Mann starken Eingreiftruppe beschlossen, die hauptsächlich von Frankreich gestellt wird. Die Truppe "Eufor", deren Mandatsgebiet den gesamten Osten des Tschad und den Nordosten der Zentralafrikanischen Republik umfasst, ist nach eigenen Angaben seit dem 17. März einsatzfähig und soll ab diesem Termin zwölf Monate lang stationiert werden. Derzeit umfasst Eufor 1.800 Soldaten; die volle Truppenstärke soll Ende Mai erreicht werden.

Ihr erstes Todesopfer erlitt die Eufor-Truppe am 3. März, als eine französische Spezialeinheit der Truppe die Grenze nach Sudan überquerte und dort beschossen wurde. Seitdem haben die EU-Soldaten die Auflage, sich der Grenze nicht zu nähern. Tschads Rebellen verdächtigen die EU-Truppe aber wegen der dominanten Rolle Frankreichs darin, eine Hilfstruppe für Tschads Regierung zu sein.

Tschads Opposition wünscht sich, dass die EU auch politischen Druck auf die Regierung ausübt, um einen Dialog mit allen politischen Kräften und freie Wahlen auszurichten. D.J.

Und doch ging man bis zur fehlgeschlagenen Rebellion Anfang Februar gerne hierher: Der Lichtblick auf NDjamenas Hauptachse waren die mehrere hundert Jahre alten Bäume, die die Avenue auf beiden Seiten säumten und bei mehr als 40 Grad Sommerhitze den ersehnten Schatten boten. Doch auch damit ist es jetzt vorbei. Mit einem Bagger und Motorsägen haben Bauarbeiter vor wenigen Tagen den letzten Baumriesen gefällt - im Auftrag von Präsi- dent Idriss Déby. Denn diesem waren die Bäume zu gefährlich geworden: Als Rebellen versuchten, ihn aus dem Amt zu jagen, hatten sie die dicken Stämme als Deckung genutzt. Das, so soll Déby angeordnet haben, darf nie wieder passieren. Meterhohe Stämme liegen deshalb am Straßenrand, die ersten werden von Anwohnern bereits fachgerecht zerlegt. Holz ist knapp in der Wüstenstadt und entsprechend kostbar.

Dass ihr Präsident das letzte bisschen Grün abholzen lässt, scheint kaum jemanden zu verwundern. Schließlich lässt der gleiche Mann zur Stunde auch einen Schützengraben rund um die Hauptstadt ausheben. Die Marktfrauen, die zwischen den Baumstümpfen ein paar Zwiebeln und Tomaten ausgebreitet haben, schütteln nur vorsichtig den Kopf, bevor sie wieder auf ihre Waren gucken. Vor offener Kritik fürchten sich fast alle in der Hauptstadt des paranoiden Herrschers.

Die Angst der eingeschüchterten Bevölkerung, glaubt Jean-Claude Nekim, wird nur von dessen eigener Furcht übertroffen. "Déby hat Angst vor allem und jedem, selbst vor seinem eigenen Schatten", sagt der Journalist, der die unabhängige Zeitung NDjamena Bi-Hebdo herausbringt. Seit dem Rebelleneinmarsch ist das Blatt nicht mehr erschienen. "Damit protestieren wir gegen den Ausnahmezustand; würden wir weiter schreiben, dann würde die Regierung jeden Satz zensieren und in ihrem Sinne verdrehen."

Lieber schreibe er nicht, sagt Nekim, als dass er sich wider Willen zum Sprachrohr der Regierung machen lässt. Nekim glaubt, dass Déby die Stadt derzeit zum letzten Gefecht rüsten lässt: "Die Regierung will einen Krieg und die Stadt soll das Schlachtfeld sein."

Von den Zehntausenden, die Anfang Februar vor den Kämpfen mit mindestens 700 Toten über den Grenzfluss nach Kamerun geflohen sind, sind die meisten zwar wieder zurückgekommen. Doch fast jeder ist bereit, erneut zu fliehen, wenn es wieder losgeht. Und dass es irgendwann so weit sein wird, daran zweifelt niemand. Bis dahin verbreiten Débys verbliebene Getreue Angst und Schrecken.

Es geht um die Macht im Tschad, einem der ärmsten Staaten der Welt, der zugleich über einen gewaltigen Ölreichtum verfügt. Wer das Land in der Vergangenheit regiert hat, behandelte es stets nach Gutsherrenart. Programmatische Unterschiede zwischen Rebellen und Regierung gibt es nicht, auch keine ethnische Feindschaft - im Gegenteil: Viele von Débys Gegnern gehören der gleichen Minderheitenethnie an, den Zaghawa, die in den Wüsten im Nordosten Tschads leben. Déby, der nach den letzten Kämpfen zugab, die Unterstützung seines halben Kabinetts und noch größerer Teile der Armee verloren zu haben, steht mit dem Rücken zur Wand. Seine Unterstützer kennen deshalb kein Pardon.

Mehrere Führer der Zivilgesellschaft und der Opposition wurden schon aus ihren Häusern verschleppt, als die Rebellen noch dabei waren, sich zurückzuziehen; vom Führer der "Koordination zur Verteidigung der Verfassung", Ibni Omar Mohammed Saleh, fehlt jede Spur. Der in Frankreich wieder aufgetauchte Ngarléjy Yorongar berichtete von Scheinexekutionen, hinter denen Soldaten der Präsidialgarde, Débys letztem Aufgebot, gesteckt hätten. Interviews mit Yorongar werden in NDjamena unter der Hand herumgereicht, weitergemailt und -gefaxt und erreichen auf diese Weise binnen Stunden fast jeden Bewohner - auch wenn der Besitz solcher Schriften zur sofortigen Verhaftung führen könnte.

"Die Rebellen wissen viele Details", sagt Nekim. Dem militärisch erfahrenen Déby, der sich 1990 selbst an die Macht putschte, sei klar, dass er nicht nur den Sudan, der die Rebellen unterstützt, sondern vor allem die Feinde im eigenen Palast fürchten müsse. "Es ist gut möglich, dass die nächste Rebellion von innen passiert." Weite Teile der Armee wurden in den vergangenen Wochen entwaffnet, aus Angst vor einem Militärputsch. Im ganzen Land herrscht eine nächtliche Ausgangssperre, die Wüste jenseits der Hauptstraße in Richtung Osten wird angeblich vermint.

"Déby ist vollkommen wahnsinnig", bilanziert die Mitarbeiterin einer deutschen Hilfsorganisation im Tschad. Ihre Mitarbeiter bekommen derzeit keine Genehmigungen für Reisen innerhalb des Landes mehr, weder Tschader noch Ausländer. "Franzosen müssen für ihre Genehmigung besonders viele Unterlagen einreichen, angeblich wegen der Affäre um ,Arche de Zoe', wo die sogenannten Helfer illegal mehr als 100 Kinder außer Landes fliegen wollten."

Noch wahrscheinlicher ist, dass man im Osten derzeit keine Zuschauer gebrauchen kann. Dort werden die Lager der Rebellen vermutet; niemand soll wissen, was die Armee gegen sie plant. Denn Gewalt ist das letzte Mittel, dass Déby gegen die Rebellen hat.

"Unité, Travail, Progrès", Einheit, Arbeit, Fortschritt, lautet der Wappenspruch des Tschad. Doch Déby hat nichts davon erreicht. Seine Bilanz nach 18 Jahren an der Macht: Im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen Platz 172 von 179. Die Korruptionsstatistik von Transparency International kennt nur sieben Länder, in denen noch mehr Geld illegal hinterzogen wird.

Lediglich in der Liste der "gescheiterten Staaten", die das US-Magazin Foreign Policy jährlich herausbringt, steht der Tschad weit oben: Auf Platz 5, direkt nach Simbabwe und Somalia. "Und mit den Rebellen wäre es das Gleiche, die sind auch keine Demokraten", seufzt Journalist Nekim. Allen gehe es letztlich um das Gleiche: den ungehinderten Zugriff auf die Ölmilliarden, mit denen Déby derzeit in Missachtung von Weltbank-Auflagen kräftig Waffen einkauft, vor allem in Libyen und China.

China unterstützt eigentlich den verhassten Nachbarn Sudan, dessen Regime es Waffen liefert und von dem es große Mengen Erdöl kauft. Um seinerseits die Gunst Chinas zu gewinnen, brach Tschads Präsident 2006 sämtliche Verbindungen nach Taiwan ab, das er bis dahin anstelle der Volksrepublik China diplomatisch anerkannt hatte. Für Taiwan vorgesehene Ölexplorationsrechte wurden an die Volksrepublik verschoben, die sich mit umfangreichen Investitionen im Tschad bedankte, ohne allerdings die Beziehungen zum Sudan zu lockern. Überall im Tschad werden nun mit chinesischer Hilfe Straßen gebaut, und auch eine Panzerfabrik ist geplant.

Ein Supermarkt aus China

Wenn es nach der kräftig brodelnden Gerüchteküche geht, soll den Chinesen bald noch viel mehr gehören: Rund um den Großmarkt, den "Marché Central" vor der großen Moschee, werden seit Ende der Kämpfe Häuser und Geschäfte niedergerissen. Stattdessen, sagt einer der Arbeiter, soll hier eine riesige Shopping Mall entstehen - und tatsächlich stehen zwischen den Ruinen bereits chinesische Bauingenieure. Es ist ein Geschäft zum beiderseitigen Vorteil: Die Chinesen wollten bauen, Déby vor allem abreißen.

"Die Stadtverwaltung nutzt den seit Februar geltenden Ausnahmezustand, um Gebäude der Oppositionsanhänger zu zerstören", sagt Journalist Nekim. "Das kann man natürlich nicht offen sagen, denn laut der Regierung sind ja alle Rebellen Sudanesen. Aber die Eigentümer dieser Grundstücke sind Tschader, und sie arbeiten gegen Déby."

Manchmal hat ein Grundstück, in dem jetzt Kinder versuchen, zwischen den Trümmern etwas Nutzbares zu finden, eine kuriose Geschichte hinter sich. Große Teile der Innenstadt verstaatlichte Déby vor einem Jahrzehnt, um sie seinem Neffen Timane Erdimi zu schenken - der war bis zum Bruch mit dem Diktator 2005 dessen rechte Hand.

Jetzt führt Erdimi eine der Rebellengruppen - deshalb wird "sein" Land erneut verstaatlicht und verschenkt: diesmal an die Chinesen. Verlierer sind diejenigen, die auf Erdimis Grund und Boden ihre Läden errichtet hatten.

Für durchschnittliche Tschader bleibt ohnehin nichts übrig. Außerhalb der Hauptstadt, wo die Regierung kaum vorkommt, trotzen Bauern dem staubigen Wüstenboden ein bisschen Gemüse ab und haben die Hoffnung auf Entwicklung längst aufgegeben. Ein deutscher Entwicklungshelfer meint: "Die sind schon froh, wenn man sie einfach in Ruhe lässt."

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