Kommentar Papst in den USA: Missbrauchsfälle

Bush hat die Gelegenheit des Papst-Besuchs prompt genutzt, um sich selbst als moralisch integeren und streng gläubigen Präsidenten zu inszenieren.

Zum ersten Mal seit vielen Wochen stehen Barack Obama, Hillary Clinton und der Wahlkampf in den USA nicht im Fokus des öffentlichen Interesses. Von dort hat sie Papst Benedikt XVI verdrängt. Für rund 65 Millionen US-Katholiken in den USA ist sein sechstägiger Besuch eine lang ersehnte Chance zur Heilung - oder für eine endgültige Abwendung. Denn egal, was der Papst auch sonst so ansprechen mag: Das gigantische Ausmaß der landesweiten Pädophilenskandale wird diesen Besuch bestimmen. Wird Ratzinger sie zumindest gebührend ansprechen? Oder gar Konsequenzen ziehen, indem er einige Bischöfe, die mehr mit Vertuschungen als Aufklärung beschäftigt waren, abstraft? Daran wird sich viel entscheiden.

Sein telegener Vorgänger, Karel Wojtila, Johannes Paul II, war ein Star in den USA. Gleichwohl halten es viele US-Katholiken für den größten Fehler seines Pontifikats, dass er die Missbrauchsskandale schnell unter den Teppich kehrte. Der sprödere Ratzinger gilt in Washington als "Enforcer", als einer, der streng über die Sitten wacht. Demensprechend groß ist die Erwartung. Zwar hat sich der Papst bereits im Flugzeug nach Washington für die Missbrauchsfälle entschuldigt - doch das wird nicht reichen, wenn er überzeugen und versöhnen will. Und die katholische Kirche verliert in den USA, als einzige große Kirche, Gläubige.

Und die Politik? Religion gehört in den USA zum öffentlichen Charakter-Portfolio. Kein Wunder, dass Präsident George W. Bush sich bequemte, den Papst am Flughafen abzuholen. Für Bush ist Papst Benedikt eine willkommene Lichtgestalt, die das Dunkel seiner verfehlten Präsidentschaft für einen Augenblick etwas aufhellt. Bush hat die Gelegenheit genutzt, um sich selbst als moral integeren und streng gläubigen Präsidenten zu inszenieren. Für diesen Imagegewinn geht er als protestantischer Fundamentalist auch auf den Papst zu. Denn damit lässt sich nebenbei ein bisschen Wahlkampf für die Republikaner machen. Schließlich sind die US-Katholiken bei der Präsidentschaftswahl die am härtesten umkämpfte Wählergruppe.

ADRIENNE WOLTERSDORF

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