Demo-Selbstversuch in Hongkong: "Ihr ward interessanter als die Fackel"

Der Olympia-Fackellauf in Hongkong wurde frenetisch bejubelt - obwohl Proteste zugelassen waren. Ein Demo-Selbstversuch mit selbstgebastelter Tibetfahne.

Eine Stadt sieht rot: Olympischer Fackellauf in Hongkong Bild: dpa

Es sind schon ein paar Jahre vergangen, seit ich das letzte Mal auf einer Demonstration war. Meine letzte war im Februar 2003. Die Ausstrahlung und Lebendigkeit der jungen Antikriegsbewegung vor dem US-Angriff auf den Irak stimmten mich optimistisch, eine Stimmung, der der Kriegsbeginn schnell ein Ende setzte.

Der Anblick des olympischen Fackellaufs - und den Bildern von Demonstranten, wie sie auf dem Weg der Fackel durch die Welt von der Polizei niedergeknüppelt wurden - erfüllte mich mit einem tiefen Gefühl des Unrechts und zündete genau den entscheidenden Funken, den ich verloren geglaubt hatte. Hongkong - seit zwei Monaten meine Heimat - wäre der ideale Ort, für die Menschenrechte einzustehen und die Flamme des Widerstandes einmal wieder hell aufleuchten zu lassen.

"Sie haben jeden, der zur Kundgebung kommt, gebeten, Rot zu tragen", sagte mir eine Forscherin, die bei einer Uni auf dem Festland arbeitet, als wir am Terminal der Star Ferry standen, um mit der Fähre von Hongkong Island zur Halbinsel von Kowloon überzusetzen. "Und ich sehe nicht viel davon", lachte sie. Es war beruhigend zu sehen, und ich nestelte zufrieden an meiner handgemachten Tibetfahne herum.

Am Fährhafen selbst war nicht viel los, aber der kurze Trip hoch zur Nathan Road, einem Shopping-Mekka im Zentrum der Stadt, war ein wahrer Test für meine Nerven. Massen von Menschen hingen an den Fenstern und säumten die Straßen. Sie schwenkten die für Hongkong bedeutenden Fahnen: die rot-gelbe des chinesischen Festlands, die rote mit der weißen Blüte des Bauhinia-Orchideenbaum, die die frühere britische Kolonie repräsentiert und - selbstverständlich - die rot-weiße des Olympia-Sponsors Coca-Cola. Was für ein Trio.

Ich bewegte mich langsam im Zickzack durch die Straßen, durch den Pulk der Massen und überlegte kurz, ob ich mich in das winzige Areal stellen sollte, das den Hongkong-Chinesen zum Protest zugewiesen wurden. Sie standen dort mit Plakaten, auf denen "Respektiert Menschenrechte!" geschrieben war. Ich zog weiter auf der Suche nach etwas, das mir beachtenswerter erschien und wo ich mich mit meinen aufsässigen Compañeros zusammentun könnte. Die Massen drängten sich dichter, und die "China! China!"-Rufe wurden immer lauter. Mein Mut hingegen sank langsam.

Ich wurde von den Massen auf den Gehsteigen verschlungen und mitgerissen, als ich mich plötzlich, wie durch Zufall, Auge in Auge mit einem anderen Weißen sah, einem Kerl, der ein Banner mit der Aufschrift "China, respektiere dich selbst! Respektiere Menschenrechte!" hielt. Ich stellte mich als Journalistin vor, schließlich ist das mein Brotjob hier, und begann, Arne aus München, 25, ein paar Fragen zu stellen. Darauf folgten ein paar Nettigkeiten hier, ein paar Höflichkeiten dort, und plötzlich, als ich Arne in die Augen schaute, fiel mir wieder der wahre Grund dafür ein, weshalb ich mich heute Morgen aus dem Bett gequält hatte. Ich zog meine Tibetfahne aus der Tasche, die ich mir aus dem Internet gezogen, ausgedruckt und laminiert hatte. Über die Fahne hatte ich "Dont torch Tibet" gedruckt. Fackelt Tibet nicht ab! Arne und ich, wir beiden waren jetzt eine "Bewegung".

Es dauerte nicht lange, und der Unterschied zwischen uns und den anderen wurde ein paar Leuten bewusst. Ein paar Demonstranten nahmen uns in die Zange. Unser Protest machte ihnen offensichtlich etwas aus. Fotografen begannen, diese "Szene" ins Visier zu nehmen. Ich führte einen kleinen Tanz mit einem Mann auf. Nicht aus Lebensfreude, sondern weil er versuchte, mein Schild mit einem Regenschirm vor den bildhungrigen Medien zu verbergen. Und dann zog die Fackel vorbei. Ich holte tief Luft, rief "Free Tibet" und buhte, während ich sah, wie die Flamme die Straße hinunter verschwand. Dies rief ein paar fahnenschwenkende Olympia-Unterstützer auf den Plan. Aus irgendeinem Grund riefen sie "E.T. - go home". Irgendwie brachten sie uns wohl mit dem Außerirdischendrama von Steven Spielberg in Verbindung. Als die Fackel, und mit ihr die Flotte an unternehmensgesponserten Karnevalswagen, vorbeigezogen war, wendete sich die Aufmerksamkeit der Massen. Es standen ein paar hundert Menschen mit Arne, mir und unseren Schildern an der Kreuzung. Jetzt fingen sie an, uns niederzuschreien. Ich fühlte, wie in mir die Hitze aufstieg, die Atmosphäre heizte mich weiter an. Ich versuchte, den Menschen nicht in die Augen zu blicken, aber ich musste mich erklären: "Es geht nicht um China", sagte ich, während drei ältere Männer Arne und mich einkreisten und auf Mandarin und Kantonesisch beschimpften, "es geht um Menschenrechte - überall."

Ein Hongkong-Polizist kämpfte sich durch den dichten Ring der Olympia-Unterstützer und flüsterte: "Ich glaube, es ist für Ihre eigene Sicherheit besser, wenn Sie jetzt gehen." Ich beugte mich und steckte das belastende, plastikbezogene Stück A4-Papier in meine Tasche. Unter dem Jubel der Zuschauer. Die Polizei formte nun einen Cordon um uns, während Arne und ich uns fragend ansahen und versuchten, zu ergründen, wohin uns das Ganze führen würde. "Ihr ward viel interessanter als die Fackel!", rief uns ein britischer Tourist hinterher.

Die Menschenmasse hatte sich jetzt von der Straße auf den Bürgersteig gedrängt, ganze Horden sammelten sich um uns und sonderten unflätige Bemerkungen ab. Die Polizeieskorte wurde rabiater, drückte gegen die Massen an, eine alte Frau wurde im darauf folgenden Durcheinander zu Boden geworfen. Ein weiteres wütendes Brüllen der Massen ertönte, als man die alte Frau zur Seite zog, und wir wurden in den verlassenen Eingang eines Apartmenthauses geführt. Ungefähr ein Dutzend Polizisten begleitete uns in die Lobby, während ihre Verstärkung den Eingang bewachte. Ich dankte ihnen, dass sie uns vor dem Lynchtod bewahrt hatten. "Zu ihrer eigenen Sicherheit", wiederholten sie ständig, während sie uns daran erinnerten, dass wir ja keinesfalls verhaftet worden waren. Der Lärm vor dem Apartmentblock verebbte, und schließlich sagte uns der Captain, dass wir jetzt gehen könnten. Daraufhin führte er uns zu einem Hinterausgang an einer schäbigen, vermüllten Gasse. Arne und ich stolperten in die Freiheit.

Als wir die relative Sicherheit der engen, anonymen und post-fackeligen Straßen erreichten, konnte ich nur einen Gedanken fassen: Wo könnte ich nach diesem Abenteuer eine Tasse Tee finden, um meine Selbstentzündung zu löschen?

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