Kleiner Mann, was nun?

Egal ob es um Schule, Mädchen oder die eigene Rolle geht: Jungen fühlen sich oft allein gelassen, weil die Männer sich aus der Erziehung raushalten

VON JÖRG BRAUSE

Was ist bloß mit den Jungen los? Bei der Pisastudie schneiden sie deutlich schlechter ab als Mädchen. Und immer mehr Jungs fallen durch lautes und aggressives Verhalten auf. Dahinter stehen Probleme, mit denen die Gesellschaft die Jungs oft alleine lässt, sagt Heiko Rolfes vom Jugendamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Und sie haben – genauso wie Mädchen – ganz eigene Sorgen, erwachsen zu werden.

Deshalb bemühen sich die Jugendämter in den letzten fünf Jahren mit geschlechtspezifischen Angeboten verstärkt um die Heranwachsenden. Sie organisieren Freizeiten, Treffs, in Charlottenburg toben sich Jungs an einer Kletterwand in einem Jugendhaus aus. Erst die von Sozialpädagogen begleitete Arbeit eröffnet vielen Jungen die Erfahrung, ihre Sorgen besprechen zu können. Vor allem lernen Jungs so, ein Selbstbild abseits der traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit zu finden. Zielt bei Mädchen die geschlechtspezifische Förderung durch engagierte Frauen auf die Entwicklung von mehr Selbstbewusstsein, traut die Gesellschaft Jungen zu, dass sie stark genug sind, ihren Weg zu gehen. Doch obwohl viele Jungen nach außen den starken Typen markierten, fehle es ihnen an Orientierung, sagt Rolfes.

Dieter Schnack und Rainer Neutzling stellten schon vor 15 Jahren in ihrem inzwischen aktualisierten Buch „Kleine Helden in Not“ fest, dass Jungen eine Menge Probleme damit haben, ein Mann zu werden. „Ihr größtes Problem: Sie dürfen keine Probleme haben.“ Dabei brauchen Jungen in vielen Lebenslagen Unterstützung, die ihnen in der Schule oder zu Hause fehlt.

Dafür ist nötig, dass sich – ihrer Rolle bewusste – Männer der Probleme annehmen. Zu wenige Männer wirken in Kitas oder Schulen mit, zudem sind Väter in der Erziehung häufig abwesend. Dann übernehmen Supermann oder David Beckham die Vorbildfunktion, ohne dass Jungen diese Klischees der Männlichkeit reflektieren.

Wie wichtig aber das Gespräch mit Vätern und anderen Männern gerade während der Pubertät ist, unterstreicht der Berliner Sexualpädagoge Theo Gilbers. „Jungen fühlen sich in dieser Zeit häufig allein gelassen mit ihren Fragen zur Sexualität.“ So wird Gilbers zufolge die im Internet leicht zugängliche Pornographie zur männlichen Sozialisationsinstanz. „Und die vermittelt den Jungen ein verqueres Bild vom Sex.“ Wenn Väter oder Lehrer nicht mit den Jungen über Sex sprechen, können sexualpädagogische Angebote in der Jungenarbeit diese Lücke schließen.

Jungenarbeit heißt auch, Möglichkeiten zu vermitteln, sich vor sexueller Ausbeutung zu schützen. In einem Forschungsprojekt von Subway e.V. hat der Sozialpädagoge Wolfgang Werner herausgefunden, dass „fast jeder vierte Junge, der sich in Schwimmbädern oder anderen öffentlichen Plätzen aufhält, von pädosexuellen Männern angesprochen wurde, von denen jeder zwölfte sexuell belästigt wurde.“ Mit einer „Neinsagen-Kompetenz“, die Werner in Jugendeinrichtungen vermittelt, können Jungs lernen, Übergriffe von Pädosexuellen abzuwehren. Die baut auf der Vermittlung von Wissen über die Strategien der Täter auf.

Angebote zur Jungenarbeit machen Jugendhäuser und freie Träger in Kooperation mit den Jugendämtern, differenziert nach Altersgruppen. Die Erlebnispädagogik mit Bewegungsspielen, Sport oder Abenteuerferien bietet dafür geeignete Anknüpfungspunkte, Jungs für eine Gruppe zu begeistern.

Rund ums Lagerfeuer fällt es den Jungen erfahrungsgemäß leichter, mit Betreuern und Kumpels über ihre Schwierigkeiten in der Schule, mit Mädchen und über Sex zu sprechen. Dabei erfahren sie dann auch, „dass Männer nicht immer die Harten sein müssen“, so Heiko Rolfes.