Produkte aus Billigläden: Waren ohne Würde

Billigläden sind Museen gescheiterter Innovationen. Wo sonst gibt es mit Granulat überzuckerte Igel? Doch leider ist es meist unmöglich, die Herkunft der Produkte zu eruieren.

Deprimierend: Viele Billigwaren haben keine Geschichte. Bild: dpa

In guten Stadtlagen, in Fußgängerzonen und an Knotenpunkten des Nahverkehrs, lassen sich heutzutage oft Billigläden antreffen. Meist nutzen sie leerstehende Gebäude, existieren also nur für kurze Zeit. Alles erinnert auch sonst an temporäre und mobile Formen des Handels: Die Ware ist in Kartons und auf Paletten dargeboten, Ausstattungsreste der Vormieter werden improvisiert genutzt, Shop-Design und Corporate Identity fehlen. Eventuell ist nicht einmal zu erkennen, was nur zwischengelagert ist, was verkauft werden soll und was bereits zum Abtransport an einen nächsten Ort vorbereitet wird.

Der Unruhe im Sortiment entspricht eine Nervosität vieler Kunden. Das sind keineswegs nur Schnäppchenjäger, sondern auch arme Menschen am sozialen Rand, die tatsächlich auf solche Läden angewiesen sind - und die bei ihrer Suche nach bestimmten Produkten oft auf eine Geduldsprobe gestellt werden, weil die kaufhausübliche Systematik hier nicht gilt. Vielmehr stehen Haushaltsgeräte neben Kosmetikartikeln, dazwischen liegen Deko-Accessoires, Schreibwaren und Lebensmittel.

Doch anstrengender als die Unordnung ist das Angebot selbst, und in einem Billigladen ist man versucht, allen Konsumkritikern aufs Wort zu glauben. Was immer über Massenproduktion oder gebrochene Gebrauchswertversprechen geschrieben wurde, trifft hier bei der Mehrzahl der Waren voll und ganz zu. (Umgekehrt wird aber auch klar, dass die Kritiker sonst oft Unrecht haben, ja dass bessere Konsummilieus mit Begriffen wie "Fake" und "Manipulation" nur ungenügend charakterisiert sind.) Viele Produkte sind Restbestände erfolgloser Artikel: zu kompliziert in ihrer Aufmachung, schlecht verarbeitet oder einfach sinnlos und daher von anderen Märkten bereits abgezogen. Das lässt die Billigläden zu Müllhalden, aber auch zu Museen gescheiterter Innovationen werden. Wo sonst gibt es noch ein Shampoo aus dem Jahr 1995?

Andere Waren sind mit einem Ölfilm überzogen oder wirken schmuddelig. Dabei handelt es sich oft um Güter aus Schadensfällen, die von den Versicherungen billig losgeschlagen werden. Wieder anderes sieht dafür seltsam schick aus, und man wundert sich, sogar Markenprodukte offeriert zu bekommen. Der zweite Blick weist sie jedoch als Erzeugnisse von Markenpiraten aus. So lässt sich etwa eine Gläserbürste entdecken, die angeblich von Koziol stammt. Das kindlich-verspielte Design und die grellen Farben erinnern auch an die Marke, doch stellt diese nur Spül- und Toilettenbürsten her. Jene Gläserbürste ist eine bewusste Mischung aus beidem, so dass, wer sich nur ungefähr auskennt, gleich doppelt bestärkt wird, ein echtes Schnäppchen darin zu vermuten. Dass die Bürste dann auch noch Tilly heißt, passt ebenfalls ins Markenbild, nennt Koziol seine Spülbürsten doch Tim und Tweetie. Allerdings sind hier die Borsten besser verarbeitet, und die Handhabung ist, im Unterschied zum Fake, praktikabel. (Dafür ist der Preis fast zehnmal so hoch.)

Ein perfides Spiel mit Assoziationen wird auch sonst oft getrieben. Bei den Deko-Artikeln gibt es etwa einen "Igel aus Holz", der aber weit entfernt von der suggerierten Handarbeit mit hochwertigem Werkstoff ist. Vielmehr sind nur ein paar "Stacheln" aus dünnen Stecken, der Rest ist Styropor und hastig verklebtes Spanmaterial. Schließlich ist der Igel mit Granulat überzuckert, was ihn glitzern lässt und die Käufer einmal mehr verführen soll: Ist er nicht so ähnlich wie der berühmte Kristall-Igel von Swarovski? In diesem Fall dürfte der Effekt allerdings zu primitiv sein, kleben auf der Verpackung doch gleich drei Preisschilder. Sie künden von einem tragischen Verfall. Kostete der Igel zuerst 2,99 Euro, so wird er mittlerweile für einen Euro angeboten. Das nimmt ihm sogar noch den letzten Wert: Wenn etwas mit verschiedenen Preisen gleichzeitig ausgezeichnet ist, dementieren diese sich gegenseitig und erscheinen alle zusammen als bloße Willkür.

In unterschiedlichen Etiketten geschrieben, werden die Preise aber auch zu Indizien der diversen Stationen, an denen der Igel schon feilgeboten wurde. Man ahnt etwas von den langen Handelswegen, spürt aber ebenso die eigene Ohnmacht: Unmöglich ist es, diese Wege zu rekonstruieren oder gar die Hersteller eines solchen Produkts ausfindig zu machen. Wer den Angaben folgt, die auf der Verpackung stehen, wird im Internet auf immer verwirrendere Websites geschickt und landet schließlich in blinkendem Chaos. Und das ist das Deprimierendste an den Waren in Billigläden: Sie haben alle eine Geschichte, aber diese wird vertuscht, so gut es geht. Man lässt die Dinge ganz abstrakt erscheinen und nimmt ihnen so ihre Würde.

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