Koma im Keller

SCHWABINGER KRAWALL SPEZIAL Abgestürzt im Fasching

Ein verwirrter Sarazene umtorkelte in der Nacht halbnackt und barfuß das Haus

Ein Mann seines Alters, sagt Frau Hammler, gehöre weder nachts auf die Straße noch in irgendein Bumslokal, schon gar nicht im Fasching, wo sich die verwahrloste Jugend in ein Koma saufe. Er wolle, sagt Herr Hammler, aber mit seinen Stammtischkameraden zünftig feiern, wo nun schon der Tisch reserviert und die sündteuren Eintrittskarten bezahlt seien und er zum ersten Mal seit 30 Jahren nicht unmittelbar nach Weihnachten mit der von ihrer Schwippschwägerin Adelheid aus dem Bayerischen Wald eingeschleppten Influenza aufs Krankenlager gesunken sei. Weil Frau Hammler durchaus Lust auf einen ruhigen Abend mit einem Gläschen Eierlikör und einer Rosamunde-Pilcher-Verfilmung ohne das gewohnte Gejammer und Geschniefe ihres Mannes hat, gibt sie auf und lässt ihn ziehen.

Als Herr Hammler spätnachts schweren Schrittes mit einer missratenen Version von „Da liegt ein toter Fisch im Wasser“ auf den Lippen die letzten Meter über die Straße wankt, wird ihm erst an der Haustüre klar, dass das leise Scheppern, das er beim Wühlen nach dem Taxigeld gehört, aber nicht wahrgenommen hat, daher rührte, dass ihm der Schlüssel aus der Tasche und offenbar in den Gulli gefallen ist. Um seine Frau nicht wecken und sich ihr Geschimpfe über seine späte Heimkehr und seinen Zustand anhören zu müssen, beschließt er, durchs Kellerfenster einzusteigen und sich mit dem seit seiner Zeit als Hausmeister dort drunten deponierten Dietrich zu behelfen, wie er das bei einer ähnlichen Gelegenheit vor vielen Jahren schon einmal praktiziert hat, was ihn sogar mit einer gewissen nostalgisch-jugendlichen Euphorie erfüllt, weshalb er es ohne großes Fluchen hinnimmt, dass er sich dazu flach auf den Bürgersteig legen muss und ihm das Fenster, nachdem er es mühsam aus der Halterung genackelt hat, entgleitet, in den Keller fällt und mit lautem Klirren zerbricht.

Schwieriger wird es, sich durch die Öffnung hindurchzuschieben, zumal ihm unterwegs einfällt, dass er das letzte Mal aus gutem Grund nicht mit dem Kopf, sondern mit den Füßen voraus hineingekrochen ist. Da ist es aber schon zu spät und das Gleichgewicht verloren, und dass er das Regal mit den Einmachgläsern eigenhändig unter das Fenster gestellt hat, spielt auch keine große Rolle mehr, nachdem er es beim Versuch, sich festzuhalten, umgestürzt und, den Geräuschen nach zu urteilen, einen Berg aus Glasscherben, Marmeladenpampe und sonstigem Kompott erzeugt hat, der im Dunkeln jedoch nicht zu sehen ist.

Immerhin verhindert Herrn Hammlers über die Jahre doch ziemlich gewachsener Bauch, der in der Fensteröffnung stecken bleibt, dass er selbst kopfüber in den Schlamassel hineinstürzt. Aus Angst, womöglich in dieser ungünstigen Lage verharren zu müssen, bis ihn im Morgengrauen ein Passant findet und befreit und zum Gespött des ganzen Viertels macht, fuchtelt er wild herum, bekommt eine Art Riemen zu fassen, an dem er sich mühevoll stöhnend vollends hineinzieht, wobei er allerdings Hose und Schuhe verliert und das, woran er gezogen hat und sich beim Hinunterrumpeln festhalten will, aus der Wand reißt, woraufhin ihn ein gewaltiger Wasserstrahl ins Gesicht trifft, wovon er so erschrickt, dass er den abgerissenen Waschmaschinenschlauch sofort loslässt, in die Marmeladensuppe plumpst, mit dem Hinterkopf die Blaukrautstellage umstößt und für einen langen Moment das Bewusstsein verliert.

Glücklicherweise erwacht Herr Hammler noch vor der Morgendämmerung, so dass es ihm gelingt, seine Restkleidung in der Waschmaschine zu deponieren, sich in der Badewanne von zermanschten Kirschen und Gurken, von Zuckersirup, Kohlenstaub, Spinnweben, Holzspänen und anderem Schmutz zu befreien, ohne dass seine Frau etwas bemerkt. Die vielen kleinen Schnittwunden erklärt er mit einer Unachtsamkeit beim Ausbringen der „Helau!“-Rufe, und als Frau Hammler wissen möchte, wieso er unbedingt ausgerechnet am Aschermittwoch den Keller aufräumen wolle und dafür einen ganzen Nachmittag veranschlage, bekommt sie nur ein leises Grummeln zu hören. Gänzlich unbeantwortet bleibt ihre Mitteilung, Frau Reithofer habe ihr erzählt, dass mitten in der Nacht ein verwirrter und offensichtlich schwerverletzter Sarazenenhäuptling halbnackt und barfuß vor dem Haus herumgetorkelt sei und mehrmals seine Hose und seine Schuhe aufgesammelt und wieder verloren habe, woran man wieder einmal sehe, was ein unkultivierter Unfug wie dieser Fasching aus Menschen machen könne.

MICHAEL SAILER