Gesine Schwan: Anleitung zum Regieren

Eigentlich hält Gesine Schwan derzeit Abschiedsvorlesungen an der Europa-Uni in Frankfurt (Oder). Wer will es der Bundespräsidentschaftskandidatin verdenken, dass es auch Antrittsvorlesungen sind?

Gesine Schwan bei ihrer Abschiedsvorlesung Bild: AP

Der Taxifahrer glaubt nicht, dass Gesine Schwan in Frankfurt an der Oder eine wichtige Frau ist. "Nur Viadrina hier, Viadrina da." Er sagt es nicht empört. Zustimmend auch nicht. "Nee, für den Normalbürger spielt sie keine Rolle. Der hat andere Sorgen."

Das mit den Sorgen teilt auch die Arbeitslose, die zur ersten Abschiedsvorlesung von Gesine Schwan am Mittwochabend in die Europa-Universität Viadrina gekommen ist. Die Spuren, die die Präsidentin in der Grenzstadt zu Polen hinterlassen hat, wertet sie jedoch anders: "Für Frankfurt wird es ein Verlust sein. Wir hatten ja einen schlechten Ruf. Aber wenn eine wie die Schwan es hier aushält, dann kann es nicht so schlimm sein."

Die Arbeitslose ist gekommen, um der scheidenden Präsidentin ihren Respekt zu zollen. "Außerdem würde ich mich freuen, wenn sie Horst Köhler ablöst." Den hielt sie ja in seiner tags zuvor gehaltenen Rede, mit der er das Rennen um die Bundespräsidentschaft eröffnete, für ziemlich profillos.

Eines auf jeden Fall kann man sagen: Einen Teleprompter, um Reden abzulesen und trotzdem so auszusehen, als hätte man Augenkontakt mit dem Publikum, braucht Schwan im Gegensatz zu Köhler nicht. Stattdessen schafft sie es, mit leidenschaftlicher Unterstützung durch ihre durch die Luft wirbelnden Hände eineinhalb Stunden über Demokratie zu reden, ohne ins Stocken zu geraden. Eine Einführung soll es sein. Es wird zu einer Huldigung an die beste aller Staatsformen - nach derzeitigem Stand der Erkenntnis.

"Zentrale Merkmale demokratischer Politik" heißt die erste Stunde ihrer vierteiligen Vortragsreihe zu "Good governance" genau. Den englischen Begriff umschreibt sie mit der Frage: "Wie wollen wir regieren?" - Wir? Schwan spricht im Aktiv. Nicht im Passiv, das dem Blickwinkel der 300 Leute im Hörsaal mehr entspräche. Im Passiv würde es heißen: Wie wollen wir regiert werden? - Sie aber ist in Fragen der "Good Governance" demnach eine Akteurin. Da ist er, der Subtext, den rauszuhören sich viele bemühen: Die Abschlussvorlesungen sind in Wirklichkeit Antrittsvorlesungen!

Das wichtigste Leitmotiv demokratischer Politik, das macht Schwan klar, lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Politik müsse so gestaltet werden, dass Fragen, die unterschiedlich beantwortet werden, deren Antworten aber alle tangieren, die Würde von denen nicht untergräbt, die die Fragen anders beantwortet hätten. "Die Antworten müssen so sein, dass alle Lust haben, weiter zusammenzuleben."

Worte, wie "Lust", "Würde", ja auch "Liebe zur Gleichheit" benutzt Schwan gern. Selbst "Streit" sieht sie positiv. So schafft sie es, das Grundlegende ihrer politischen Ausführungen spannend zu machen. Im Publikum hängt man ihr an den Lippen.

Damit Demokratie funktionieren kann, braucht es zum einen ein Institutionengefüge - Parteien, Parlament, Verwaltung, zum anderen Gewaltenteilung, führt Schwan weiter aus. Es braucht aber auch noch etwas Drittes, und das ist der Bundespräsidentenkandidatin, folgt man der Emphase in ihrer Stimme, das Wichtigste: Es braucht eine demokratische Kultur. Für die indes gibt es kein Wort. Schwan findet dennoch welche dafür: Es sei die Bereitschaft, nicht zuzulassen, dass Meinung und Gegenmeinung sich blockiert. "Wenn einem politische Kultur wichtig ist, dann blockieren sich diese nicht." Wenn es dieses Selbstverständnis gibt, kommt es - trotz unterschiedlicher Meinungen - zu Entscheidungen, mit denen alle leben können.

Diese Ausführungen erklären indes noch nicht, warum so viele Menschen der Meinung sind, dass die Demokratie heute nicht mehr funktioniert, findet auch Schwan. Ihr ist nicht entgangen, dass das, was politisch von jenen entschieden wird, denen per Wahl der Auftrag zu entscheiden gegeben wurde, viele nicht mehr zufriedenstellt. Das, was entschieden wird, "der Output", scheint nicht mehr legitimiert. Politikverdrossenheit etwa ist eine Folge. Damit aber seien die Vereinbarungen, auf denen das demokratische System beruht, in Frage gestellt. Darin sieht auch Schwan eine große Gefahr.

Für sie ist ganz klar: "Die Outputlegitimation" muss wieder stabilisiert werden. Die Bürger müssen sich weiterhin am demokratischen Prozess beteiligen und nicht aussteigen. Indirekt bringt sie sich an der Stelle erneut als Bundespräsidentin - oder besser: als eine, die die Menschen für Demokratie begeistern wird - in Spiel.

Dass die Outputlegitimation nicht mehr gut funktioniert, daran könne man ablesen, dass die Gewählten orientierungslos auf globale Herausforderungen reagieren. "Die Verabsolutierung von Konkurrenz und Marktdenken, wie sie in den letzten 15 bis 20 Jahren geschah, bringt die politische Kultur der Demokratie aus dem Gefüge", sagt sie. Die Politik müsse die Wirtschaft gestalten. Nicht umgekehrt. "Die richtige Handhabung aber liegt dicht neben der Pervertierung - das ist das Problem unseres Systems." Noch hat sie keine Antworten auf das Dilemma. Aber ihre Bereitschaft, um Antworten politisch zu streiten, ist da.

Die Studentin, die zur Vorlesung kam, weil sie eigentlich nichts von Schwan weiß, zuckt aber auch am Ende noch mit den Schultern. Und die Frankfurter, die beim Empfang biertrinkend am Bistrotisch stehen, hat Schwan ebenfalls noch nicht in ihrem Bann. "Diese Globalisierung, diese Abzockerpolitik, das ist doch Diktatur des Geldes", schimpft ein Mann. "Wenn man nur wüsste, wie man aus der Sackgasse wieder rauskommt", meint die Frau neben ihm.

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