Kolumne Wechseljahr 2008: Wichtige Wertewähler

Das Thema Wirtschaft wird den US-Wahlkampf beherrschen - denn die ökonomische Lage ist viel schlechter als vor vier Jahren. Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation.

Die Wirtschaft wird voraussichtlich das größte Thema im Wahlkampf sein. Auf jeden Fall ist es momentan das dominierende. 2004 hatten sich Experten sowie deprimierte Kritiker des Ausgangs der Wahl - nochmal vier Jahre George W. Bush - den Kopf zerbrochen, wie es möglich war, dass so viele Menschen der Mittel- und Unterschicht für einen Republikaner und damit gegen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen gestimmt hatten. Damals lautete eine viel beachtete These, diese Menschen seien eben "values voters" (Wertewähler), für die Bushs sexueller Konservatismus, seine Ablehnung der Abtreibung, Befürwortung der vorehelichen Abstinenz sowie seine generell demonstrativ zur Schau getragene Pietät wichtiger waren als seine ökonomischen Visionen. Dass in elf Bundesstaaten Referenda gegen die Homoehe am gleichen Wahltag Erfolg hatten, schien diese Analyse nur zu bestätigen.

Eine wichtige Reaktion auf diese Lehre - unter säkularen Liberalen wie auch in der sogenannten "religiösen Linken" - war der Versuch, auch nichtsexuelle Themen als moralische zu verhandeln, die Zerstörung der Umwelt zum Beispiel oder auch wirtschaftliche Ungerechtigkeit. Gewitzte Bibelleser fanden nach einem Studium der Aussagen Jesu in den vier Evangelien heraus: Anmerkungen zu Homosexualität - keine. Anmerkungen zu Abtreibung - keine. Anmerkungen zur Hilfe für die Armen - über dreihundert. Nun, in diesen Juni-Tagen 2008, sieht man vor progressiven Kirchen Banner mit dem Spruch: "Folter ist ein moralisches Thema." Gute Argumente. Nur die Wirtschaft können sie alle nicht retten.

Die aber wird anno 2008 für das Wahlergebnis ausschlaggebender sein als vor vier Jahren. Denn ihr Zustand ist zehnmal schlechter: Hypothekenkrise. Benzinpreise. Das immer teuerer werdende tägliche Brot. Ganz zu schweigen von der zunehmenden Verunsicherung aufgrund der schlechten Krankenversicherung und der massenhaften Verschuldung. Die Kluft zwischen Reich und Arm nimmt obszöne Ausmaße an.

Mittlerweile weiß sogar John McCain, dass er unbedingt so tun muss, als ob auch er ein Programm für die wachsende Gruppe der wirtschaftlich Bedrohten im Angebot habe. Aber er ist sich unsicher, welche pseudopopulistische Strategie erfolgreicher wäre. Noch vor Monaten wollte er Bushs Steuerkürzungen für die Reichsten stornieren. Nun will er sie beibehalten und wechselt über zum Angriff auf Barack Obama. McCains aktuelles Programm: keine Zuschüsse mehr für diverse Lieblingsprojekte seiner Senatskollegen. Er behauptet, dadurch könnten 100 Milliarden "sofort" gespart werden. Er bezichtigt Obama, Steuererhöhungen für alle Amerikaner zu planen. Beides aber ist Unsinn. Nun spielen McCain und seine Leute eine emotional heftig aufgeladene, "patriotische" Karte: Obamas Plan, Firmen stärker zu besteuern, würde dazu führen, dass alle Firmen nach Übersee fliehen. Botschaft: So Sie für Obama stimmen, verlieren Sie Ihren Job. Wenn das zieht, wird es wieder sein wie 2004.

DAGMAR HERZOG, geboren 1961, Historikerin, forscht unter anderem zum Aufstieg der religiösen Rechten in den USA

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