Das Montagsinterview: "Hier kann ich jeden Sozialfall mit Handschlag begrüßen"

Elf Jahre lang war Uwe Klett Bürgermeister von Marzahn-Hellersdorf. Seit Februar ist der 48-Jährige nun Bürgermeister der Speckgürtelgemeinde Fredersdorf-Vogelsdorf.

UWE KLETT wird 1959 in Potsdam-Babelsberg geboren. Heute ist er Bürgermeister der Speckgürtelgemeinde Fredersdorf-Vogelsdorf. Bild: Amelie Losier

UWE KLETT wird 1959 in Potsdam-Babelsberg geboren. Nach dem Besuch der Erweiterten Oberschule in Potsdam (Abitur) absolviert Klett einen dreijährigen Armeedienst, womit er den Grundwehrdienst freiwillig um 18 Monate verlängert. Anschließend studiert er Außenwirtschaft an der DDR-Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst, wo er 1988 promoviert. 1981 tritt er in die SED ein, seit 1989 ist er Mitglied der PDS, jetzt Die Linke.

Nach der Wende verschlägt es Klett für zwei Jahre zu Forschungsstudien nach Schottland. 1992 beginnt seine kommunalpolitische Karriere: Er wird Bezirksstadtrat für Soziales in Hellersdorf, 1995 Bezirksbürgermeister von Hellersdorf. Von 2001 bis 2006 ist Klett Bürgermeister in Marzahn-Hellersdorf.

2007 stellt er sich der Direktwahl zum hauptamtlichen Bürgermeister der Gemeinde Fredersdorf-Vogelsdorf am östlichen Berliner Stadtrand. Im Februar 2008 tritt Klett sein Amt an. Er möchte Bürger stärker in die Entscheidungsfindung einbeziehen, deshalb organisiert er z. B. regelmäßig Bürgerversammlungen.

taz: Herr Klett, warum muss man in Berlin Fredersdorf-Vogelsdorf kennen?

Uwe Klett: Muss man es denn kennen?

Viele Einwohner Ihrer Gemeinde kommen aus Berlin.

Sogar die Hälfte. Aber diese Leute kennen Fredersdorf-Vogelsdorf nicht, weil es eine besonders spektakuläre oder bekannte Gemeinde ist, sondern weil es nahe an Marzahn-Hellersdorf liegt. Viele Zuzügler kommen von dort, weil sie sich schon lange mit dem Gedanken tragen, in ein Eigenheim zu ziehen.

Ihre "Untertanen" sind Ihnen also in den Speckgürtel gefolgt?

Meine "Untertanen" wissen, was sie an dieser Gemeinde haben. Einen Bürgermeister, der es mit der Bürgernähe ernst meint.

Einer Ihrer ersten Schritte als Bürgermeister von Fredersdorf-Vogelsdorf war es, die Öffnunsgzeiten im Rathaus zu erweitern. Ihre Mitarbeiter sind nun an vier statt bislang an zwei Tagen ansprechbar.

Ich hab den Posten im Februar angetreten, da wurde es noch früh dunkel. Ich habe meinen Mitarbeitern gesagt: Wenn die Bürger sehen, dass abends Licht brennt und das Rathaus nicht offen ist, schmeißen die euch die Scheiben ein. Nun ist das Rathaus länger offen.

In Marzahn-Hellersdorf waren Sie nicht immer so erfolgreich. Nach der letzten Wahl 2006 wurden Sie sogar von Ihrer eigenen Partei, der Linken, ausgebootet. Bürgermeisterin ist nun Dagmar Pohle. Sie selbst mussten nach elf Jahren Jahren ihren Platz räumen.

Über diese Dinge rede ich nicht so gerne.

Auch nicht darüber, dass Sie in Ihrer Partei als Querulant galten, der sich immer mit der Parteispitze angelegt hat, weil er nicht sparen wollte?

Weniger mit der Spitze der damaligen PDS als mit dem Finanzsenator. Das hatte seine Gründe. Ich finde es bis heute falsch, dass immer erst in den Bezirken gespart wird. Dass meine Partei auf diesen Kurs eingeschwenkt ist, verstehe ich nicht. Die PDS hat ihre Kraft immer aus den Bezirken gezogen. Nun sind Fraktion und Landesvorstand das Maß aller Dinge. Das muss ich nicht mittragen.

Sind Berlins Bezirke mit dem Latein am Ende?

Der Trend geht in Richtung Zentralisierung. Ich glaube, der richtige Weg ist die Dezentralisierung. Warum sollte es nicht auch in Berlin wieder Ortsbürgermeister geben?

Nun sind Sie zum Ortsbürgermeister in Fredersdorf-Vogelsdorf gewählt worden. Was ist anders in Brandenburg?

Ich habe hier die volle Finanzhoheit. Das geht bis zu den Grundstücksgeschäften. In Berlin geht alles an den Liegenschaftsfonds, hier können wir Grundstücke verkaufen und kaufen, wie wir es für richtig halten. Das ist kommunale Selbstverwaltung. Die gibt es in Berlin längst nicht mehr.

Nicht mehr sparen, sondern gestalten. Hört sich fast an wie ein Märchen.

Fredersdorf-Vogelsdorf ist eine stark wachsende Gemeinde. Wir haben in den letzten Jahren von 7.000 auf 12.500 Einwohner zugelegt. Die Arbeitslosigkeit ist sehr gering, hier kann ich jeden Sozialfall mit Handschlag begrüßen. Trotzdem gibt es auch Probleme. Obwohl hier viele junge Familien leben, gibt es keinen Spielplatz. Die CDU sagt, den brauchen wir nicht, die Kinder können im Garten spielen. Ich sage: Wir brauchen Spielplätze als Treffpunkte für Kinder und auch die Mütter.

Das sehen nicht alle so. Gegen den Bau eines Spielplatzes in Fredersdorf hat sich sogar eine Bürgerinitiative gegründet - schließlich machen Kinder auch Lärm.

Mittlerweile gab es die erste Bürgerversammlung. Den Spielplatz werden wir gemeinsam gestalten. Und ein Schachfeld für Senioren wird auch dazukommen.

Wer mit der Bahn in Ihre Gemeinde kommt, sieht am Bahnhof nichts als Parkplätze. Es fehlen sowohl ein Dorfkern als auch Treffpunkten für Jugendliche. Die hängen stattdessen am Bahnhof rum und trinken Alkohol.

Das mit den Jugendlichen ist ein Problem. Das löst man aber nicht mit der Polizei, wie es die CDU fordert. Da muss an vielen Punkten was getan werden. Wir müssen Angebote schaffen, um einen Teil der Jugendlichen zu erreichen.

Wen erreichen Sie nicht: die rechte Szene?

Die gibt es hier bei uns Gott sei Dank nicht. Was nicht heißt, dass es kein rechtsradikales Denken gibt, das ist auch bei den Älteren oft vorhanden. Aber das muss ja nicht immer so bleiben. Wir haben im Herbst Kommunalwahl. Ich hoffe es zwar nicht, aber es kann gut sein, dass die NPD auch in unserer Gemeinde antritt. Da muss man dann gewappnet sein.

Haben Sie ein Rezept?

Durchgreifen. Etwa, sie nicht ins Rathaus lassen.

Das war schon in Berlin Ihre Devise. Leider sagt die Rechtsprechung etwas anderes.

Da muss man halt tricksen. Wege gibt es immer.

Herr Klett, gibt es so etwas wie eine linke Dorf- oder Kommunalpolitik. Oder geht es in Brandenburg um ganz andere Kategorien: Bürgernähe, Governance, Moderation?

Das ist abhängig, wo Sie diese Politik machen. Für mich im Speckgürtel ist das Wichtigste, auf mehr und bessere Bildung zu setzen. Zu uns kommen vor allem junge Familien. Denen müssen wir was bieten. Fredersdorf-Vogelsdorf muss die kinderfreundlichste Gemeinde Brandenburgs werden.

Klingt nicht gerade bescheiden. Wie wollen Sie das denn umsetzen außer dadurch, dass Sie eine neue Kita bauen?

Anders als meine Partei ist für mich zum Beispiel eine gemischte Trägerlandschaft für Kitas oder Schulen kein Problem. Entscheidend ist doch nicht, ob draußen öffentlich oder privat dransteht, sondern was drinnen gemacht wird. Auf die Qualität kommt es an und einen Zugang für alle sozialen Schichten zum Bildungsangebot.

Das könnte auch ein CDU-Bürgermeister sagen.

Es gibt viele CDU-Kollegen, die gute Arbeit machen.

Nach Ihrer Wahl hat sich Brandenburgs Linke-Chef Thomas Nord gefreut, dass seine Partei nun 13 hauptamtliche Bürgermeister stellt. Ist das Land einer rot-roten Koalition näher gerückt?

Die Bürger schauen zunächst darauf, was die bisherige Landesregierung macht. Und stellen fest, dass diese Koalition abgewirtschaftet hat. Die CDU zerlegt sich seit Monaten selbst. So gesehen stehen tatsächlich alle Weichen auf Rot-Rot.

Glauben Sie nicht, dass Brandenburg damit zum zweiten Mal eine "kleine DDR" droht? Schließlich sagen viele, Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt hätten weitreichende Reformen versäumt und das Land in Sachen Eigenverantwortung um Jahre zurückgeworfen.

Das sehe ich anders. Das einzige Land im Osten, das nach der Wende seine Verwaltung völlig umgekrempelt hat, war Sachsen. Die konnten auch auf eine Tradition als Bundesland zurückgreifen. Alle anderen mussten erst mal eine Landesidentität entwickeln. Dafür waren Stolpe und Hildebrandt sehr wichtig. Meine Kritik würde eher an Matthias Platzeck ansetzen.

Ihrem möglichen Koalitionspartner.

Platzeck hat mit seiner Distanz zu einer Länderfusion Brandenburg einen Bärendienst erwiesen. Berlin braucht Brandenburg nicht. Wohl aber braucht Brandenburg Berlin.

Ihre Partei hat damals gegen die Fusion Wahlkampf gemacht - in Brandenburg und Berlin.

Die Zeiten haben sich geändert. Gerade im Speckgürtel können Sie beides nicht mehr voneinander trennen. Wo ich aber zustimme: Bei einer Fusion müsste das Thema Schulden vorher geklärt sein.

Das sagen Sie als Berliner, der sich geweigert hat zu sparen. Oder wohnen Sie nicht mehr in Mahlsdorf?

Doch, ich wohne noch in Berlin-Mahlsdorf. Oder wollen sie unser Haus kaufen?

Warum sollten wir?

Weil ich mir auch vorstellen kann, nach Fredersdorf-Vogelsdorf zu ziehen.

Hat man Ihnen das nahe gelegt?

Nein. Aber ich wurde gefragt, woher ich komme.

Und dann haben Sie gesagt: aus Berlin.

Ich habe gesagt: aus Mahlsdorf. Wenn ich gesagt hätte, ich komme aus Kreuzberg, hätte ich bei der Bürgermeisterwahl wohl keine Chancen gehabt.

Ein bisschen Vorbehalte gibt es also doch noch gegen die Berliner. Zumindest gegen manche.

Solche Vorbehalte gibt es auch in Brandenburg. Ich komme aus Babelsberg. Sie sollten mal hören, wie alte "Nudeltöpper" über Potsdam reden.

Na, dann fragen wir doch mal: Wenn es im Herbst 2009 eine Koalition zwischen SPD und Linke gibt, wo sehen Sie dann Ihre politische Karriere: in Fredersdorf-Vogelsdorf oder in Potsdam?

Ich habe gelernt, dass man auf solche Fragen am besten gar nicht antwortet.

Eigentlich sind Sie gar kein Politiker, sondern Ökonom. Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Nach dem Scheitern der DDR gab es eine grenzenlose Aufbruchstimmung - auch unter SED-Mitgliedern. Alles schien möglich. Das hat mich politisiert, diese Stimmung trägt mich heute noch.

Sie waren seit 1981 auch Mitglied der SED.

Viel schlimmer: Ich bin in meiner NVA-Zeit eingetreten. War der einzige Unteroffizier mit Parteibuch in der Kompanie. So was gab es wirklich.

Hat Ihnen das auch ein bisschen geholfen, als Sie vergangenen Winter hier angetreten sind?

Bei Direktwahlen von Bürgermeistern, die ich mir auch für die Berliner Bezirke wünsche, schauen viele auf Kompetenz und Bürgernähe, natürlich auch auf Parteipräferenzen. Ich glaube, die Mischung macht es. So kann auch die Linke weiter erfolgreich bestehen.

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