Aufgebauschte Berichterstattung: Sachsensumpf war nur ein Tümpel

Deutsche Medien haben Leipziger Geschichtchen zwischen Rotlichtmilieu, Immobilienbranche und Justiz aufgebauscht. Selbstkritik liegt ihnen dennoch fern.

"Hysterie" und "Verschwörungstheorie": die mutmaßliche Korruptionsaffäre Bild: dpa

Der "Sachsensumpf" war nie mehr als ein halbtrockener Tümpel mit ein paar quakenden Fröschen. Diese schon im Herbst geäußerte Sichtweise der sächsischen Staatsregierung bestätigte Ende April endlich auch die Dresdner Staatsanwaltschaft. Erfunden habe den Sumpf zuerst eine übereifrige Referatsleiterin im Landesamt für Verfassungsschutz, dann sei die Linkspartei aufgesprungen, und schließlich hätten die Medien sich gierig auf die Geschichtchen zwischen Rotlichtmilieu, Immobilienszene und Justizapparat gestürzt.

Was also hat die böse Journaille da wieder mal aufgebauscht? Nicht mehr als Verfassungsschützer, Parlamentarier der Verfassungsschutz-Kontrollkommission oder die Staatsregierung selber. Als Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) am 6. Juni 2007 im Landtag dramatisierte, die Mafia sei noch aktiv und werde zurückschlagen, verblüffte er damit sogar die meisten Journalisten. Zu diesem Zeitpunkt erzeugten die durchsickernden Informationen aus 100 Aktenordnern des Verfassungsschutzes jene Stimmung, welche die Staatsanwaltschaft ein Jahr später als "Hysterie" und "Verschwörungstheorie" bezeichnet.

Pflichtgemäß wurde im Konjunktiv über die Verdächtigungen berichtet. Die Schubladen, in die man Printmedien nach ihrer politischen Tendenz einsortiert, passten seinerzeit kaum. Die auslösenden Artikel kamen am 12. Mai 2007 von der Leipziger Volkszeitung, sonst nicht eben CDU-feindlich, und fast zeitgleich vom Spiegel. Sogar Reiner Burger, der für die SPD-Hochburg zuständige korrekt-konservative Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, fügte damals einen Absatz über die bekannte Filzneigung des "Leipziger Modells" hinzu, das schon manchen Korruptionsfall zeugte. Auffälligerweise verengte sich die Mediensicht stets nur auf den Leipzig-Komplex "Abseits" im Dossier. Die übrigen vier Komplexe, darunter die italienische Mafia, spielten keine Rolle.

Wenn man Journalisten im Mai 2007 etwas vorwerfen kann, dann die Tatsache, dass sie nicht früher auf das brisante Material des Verfassungsschutzes aufmerksam gemacht haben. Fast unbemerkt hatte die Sächsische Zeitung ein halbes Jahr zuvor von einem Besuch der Parlamentarischen Kontrollkommission im Landesamt berichtet. Der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig beanstandete damals die auch nach 2006 illegal fortgesetzte Beobachtung der Organisierten Kriminalität (OK).

Dafür soll nun allein das OK-Referat im Landesamt die Verantwortung tragen. Die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft erkennen mittlerweile praktisch alle Medien an. Der aktuellen Kommentierung fehlt aber jede Spur selbstkritischer Erinnerung, wie bereitwillig man auf das "Gequake im Sachsensumpf" (Frankfurter Rundschau) vor Jahresfrist eingegangen war. Zum anderen wird vergessen, dass es die CDU war, die im Jahr 2003 jene OK-Beobachtung durch den Geheimdienst erst um jeden Preis durchgesetzt hatte. Deren Sicherheitswahn und das Jagdfieber der früheren DDR-Staatsanwältin Simone H. im OK-Referat deckten sich hier.

Wie dieser im Frühsommer 2007 einsetzende Umschwung in der Berichterstattung verlief, sei allerdings "medienpsychologisch interessant", sagt der Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft, Christian Avenarius. Wieder versagen klassische Einordnungsraster. Es hing eher von der persönlichen Einschätzung der jeweiligen Korrespondenten ab, welche Bedeutung sie ersten Hinweisen auf "vergiftete" Verfassungsschutzakten beimaßen. Avenarius verweist beispielsweise auf Differenzen zwischen Christiane Kohl, Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, und ihrem sie zeitweise vertretenden Vorgänger Jens Schneider. Konsequent misstrauisch zeigte sich Bernhard Honnigfort von der Frankfurter Rundschau. Bereits am 21. Juni des Vorjahres schrieb er vom "Sächsischen Schein-Sumpf". Der Berliner Tagesspiegel hingegen käute am 9. Juli auf einer Doppelseite nochmals alle Hinweise des "Abseits"-Dossiers wieder.

Den Schwenk hin zur Regierungslesart einer bloßen Aktenaffäre vollzogen am 7. August Focus und die Frankfurter Allgemeine geschickt ohne Gesichtsverlust per Interview mit dem zuvor gescholtenen Innenminister Buttolo. Zwei Wochen später schrieb Jürgen Kochinke in der Leipziger Volkszeitung von "abklingender Affärendynamik". Ob wirklich Interventionen der Staatskanzlei dazu beigetragen haben, wie unter anderem die NPD behauptete, lässt sich nicht beweisen. Auch für linke Medien schien der Sumpf endgültig ausgetrocknet, als Anfang 2008 sogar Klaus Bartl von der Linkspartei zurückruderte, der Vorsitzende des Aktenuntersuchungsausschusses.

Der Frankfurter Publizist Jürgen Roth beharrt indes darauf, dass hier eine Menge unter den Tisch gekehrt wurde und Journalisten kuschten. Dennoch hat er einen Strafbefehl von 60 Tagessätzen wegen übler Nachrede akzeptiert, wohl um weiteren Anzeigen zu entgehen. Denn das System hat zurückgeschlagen. Derzeit laufen wegen angeblich falscher Tatsachenbehauptungen noch Ermittlungen gegen drei Spiegel-Journalisten.

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