T-Mobile-Nachfolger bei der Tour de France: In der Spur des Bonner Riesen

Aus dem Erbe von T-Mobile hat Bob Stapleton das Columbia-Team geformt. Obwohl er vorgibt, alles anders zu machen, ist der Rennstall so erfolgreich wie die Magenta-Radler.

Columbia-Teambesitzer Bob Stapleton im Gespräch mit seinem Fahrer George Hincapie während des Trainings. Bild: dpa

AIGURANDE taz Rolf Aldag stand am Mittwochabend im Etappenort Chateauroux noch lange vor dem Columbia-Teambus und gab geduldig Interviews, während sich ringsherum die Fahrzeuge der anderen Mannschaften eines nach dem anderen in Richtung ihrer Quartiere in Bewegung setzten.

Irgendwann wurde es Aldags Spitzenfahrer Kim Kirchen dann zu bunt. Der Luxemburger setzte sich ans Steuer des Busses, zündete den Motor und hupte seinen erschrocken zur Seite springenden Chef aus dem Weg.

Derartiger Übermut ist dieser Tage im Team Columbia, der Nachfolgemannschaft des einstigen deutschen Spitzenrennstalls T-Mobile, an der Tagesordnung. Obwohl die Mannschaft mit einer ungewöhnlich jungen Formation zur Tour de France angereist ist, dominiert sie bislang die Rundfahrt so, wie das vor zehn Jahren ihre Vorgängertruppe tat. Und das macht allen gute Laune.

Das Sprintduo Marc Cavendish und Gerald Ciolek und auch Kim Kirchen beherrschen die schnellen Finishs - nach Platz drei von Gerald Ciolek und Platz zwei von Kirchen gewann der erst 23 Jahre alte Brite Canvendish am Dienstag überlegen den Spurt von Chateauroux und düpierte das Sprint-Establishment. Kirchen musste am Dienstag das Grüne Trikot des besten Sprinters der Rundfahrt an den Norweger Thor Hushovd abgeben, dafür entwickelt der Tour-Siebte des vergangenen Jahres sich nach seinem zweiten Platz im Zeitfahren zum Mitfavoriten um den Gesamtsieg. "Der kann scheinbar alles", ist Hans-Michael Holczer, Chef des Konkurrenten Gerolsteiner, von Kirchens Stärke und Vielseitigkeit ziemlich beeindruckt.

Die Dominanz in allen Sparten ist jedoch das Einzige, was bei Columbia an die glorreichen Telekom-Zeiten mit Jan Ullrich und Erik Zabel erinnert. Ansonsten ist man ausgesprochen bemüht, sich als völlig neues Team zu präsentieren. "Ich bin sehr glücklich, dass ich jetzt nicht mehr den Ballast von 17 Jahren Vorgeschichte am Bein habe", sagt Columbia-Teambesitzer Bob Stapleton, der das ehemalige Team T-Mobile nach dem Ausstieg des deutschen Sponsors übernahm und den Sitz von Bonn nach Kalifornien verlegte. "Ich kann jetzt völlig frei die Geschicke und die Zukunft der Mannschaft bestimmen", sagt er.

Stapletons Vision einer Mannschaft der neuen Generation, ohne die alten branchenüblichen Hierarchien und Sitten und mit einer klaren Antidopinghaltung ist die gleiche geblieben wie 2006, als er T-Mobile übernahm. Ohne die Bürde der Telekom-Altlasten scheint ihm im zweiten Anlauf nun jedoch die Umsetzung auch zu gelingen. "Ich glaube, ich war mit meinen Vorstellungen, mit einem neuen Teamkonzept sowohl wirtschaftlich als auch sportlich Erfolg zu haben und unserem Sport ein neues Gesicht zu geben, bei T-Mobile zwei Jahre zu früh. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit jetzt reif ist."

Besser könnte es derzeit für Columbia in der Tat kaum laufen. Marc Cavendishs Sprintsieg am Dienstag war sein 19. Triumph in diesem Jahr, darunter zwei Etappensiege beim Giro dItalia sowie der 46. Saisonsieg der Mannschaft.

Damit ist Columbia die überragende Mannschaft des Jahres. Und das zahlt sich auch wirtschaftlich aus. Nachdem Stapleton zunächst die Organisation mit seiner Abfindung von T-Mobile finanzierte, stieg vor wenigen Wochen der amerikanische Sportmode-Hersteller Columbia ein. "Wir haben beides zu bieten", erklärt Stapleton den Coup, "eine klare Antidopinghaltung mit einem effektiven Selbstkontrollsystem und Garantien für den Sponsor sowie sportlichen Erfolg." Von dem Ausmaß des sportlichen Erfolgs ist allerdings sogar der Sportliche Leiter Rolf Aldag überrascht.

"Wir sind gut in die Saison gestartet", versucht er sich den Lauf seiner jungen Truppe zu erklären, "und haben dadurch ein unglaubliches Selbstbewusstsein aufgebaut. Im Moment haben die Jungs das Gefühl, das ihnen alles gelingen kann." Hinzu kommt laut Aldag der außergewöhnliche Mannschaftsgeist, der im Lauf des schweren vergangenen Jahrs entstanden ist. Die Patrick-Sinkewitz-Affäre, die turbulente Skandaltour, der Ausstieg des Sponsors und der Neuanfang in Kalifornien, das habe ungemein zusammengeschweißt. Vor allem aber, glaubt Aldag, könne seine junge Truppe so befreit auftrumpfen, weil nicht der geringste Druck auf ihren Schultern laste. "Wir haben hier nichts zu verlieren", sagt er. "Die Tour war jetzt schon eine gute Tour für uns. Wenn wir morgen abgehängt werden, ist das für niemanden eine Katastrophe." Und auch das ist ein entscheidender Unterschied zu den T-Mobile-Zeiten. Als Rolf Aldag selbst noch für Jan Ullrich fuhr, war Versagen tabu, ein zweiter Platz wurde als Scheitern betrachtet. Aber diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Hoffentlich auch die des Medikamentenmissbrauchs.

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