Debatte EU-Ökozölle: Wenn Ignoranz unrentabel wird

Erstmals diskutiert die EU ernsthaft, sogenannte Ökozölle zu erheben. Damit würde der Wettbewerbsvorteil von Ländern mit geringeren Klimaauflagen buchstäblich einkassiert.

Derzeit berät die EU über ihre Klimapolitik. Dabei steht sie vor dem Dilemma: Wie lässt sich der Klimaschutz mit der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen sowie Fragen der sozialen Gerechtigkeit zusammenbringen? In einem freien Weltmarkt nimmt auch die EU am Wettlauf um Unternehmensansiedlungen teil - und damit auch am Wettlauf um immer niedrigere Unternehmensteuern, Sozialstandards und ökologische Auflagen. Ein solcher Wettlauf verhindert die Bekämpfung der Armut im Süden, und er bedroht den westlichen Sozialstaat.

Auch in Sachen Klimaschutz unternehmen Norden wie Süden bislang zu wenig. Zwar sind die Klimagasemissionen seit 1990 weltweit um über 30 Prozent gestiegen. Doch Schwellenländer wie China oder Indien sind nach den globalen Klimaabkommen, dem Kioto-Protokoll, erst gar nicht zu einer Reduktion verpflichtet. Und die westlichen Länder werden nicht einmal ihre Mini-Zusage einhalten, die Emissionen bis 2012 - im Vergleich zu 1990 - um 5 Prozent zu verringern. Bisher steigt die Höhe der Emissionen unverändert - und dies trotz des Zusammenbruchs der Industrie in Osteuropa seit 1990. Pro Kopf ist ein Europäer daher immer noch um ein Vielfaches mehr für Emissionen verantwortlich als ein Chinese oder Afrikaner.

Im "Wettlauf um die niedrigsten Standards" droht die Macht nationaler Parlamente immer mehr zu schwinden. "Nur moderate" Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen mag nämlich - wie Kürzungen in der Sozialpolitik - als unabweisbarer ökonomischer Sachzwang erscheinen, zumal der Wettlauf auch die Unternehmensteuern betrifft und so die Kassen der Sozialpolitik leert. Auch die bisherigen international bindenden Verträge wie Kioto bringen wenig. Denn zwischen den Staaten besteht der Zwang zum Konsens. So kommen, wie geschehen, nur lasche Zielsetzungen heraus, die auch ignoriert werden können, ohne dass es Sanktionen gibt.

Auch das geplante Kioto-Folgeabkommen lässt wenig Gutes erwarten. Sollte die EU deshalb nicht einfach einseitig stärkere Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen? Etwa, indem sie den europäischen Emissionshandel drastisch ausweitet? Das wäre zwar am wirksamsten. Es wäre indes auch ein Wettbewerbsnachteil für die europäische Industrie. Und wenn Firmen vor hohen Energiekosten in die Ukraine flüchten, wo sie weiter Klimagase ausstoßen, wäre fürs globale Klima ja nichts gewonnen.

Solche Wettbewerbsnachteile - und damit auch die "Flucht" von Unternehmen vor höheren Kosten - ließen sich jedoch durch ergänzende "Ökozölle" vermeiden. Diese werden jetzt erstmals ernsthaft auf EU-Ebene diskutiert. Produkte aus Ländern mit "weniger kostenintensiven" Auflagen zum Klimaschutz würden dann an den EU-Grenzen nachbesteuert, bevor sie nach Europa eingeführt würden. Umgekehrt würden die heimischen Unternehmen ihre höheren Kosten aus Steuern oder Emissionshandel, die sie in Europa zahlen, bei der Ausfuhr aus der EU zurückerhalten. Auch wenn Politik und Unternehmen gerne anderes behaupten: Solche Ökozölle wären welthandelsrechtlich zulässig, denn sie diskriminieren niemanden im globalen Freihandel. Vielmehr sorgen sie dafür, dass sich Klimaschutzverweigerer wie die USA durch Ökodumping keinen unlauteren Vorteil im globalen Wettbewerb mehr verschaffen können.

Ob EU-Zölle auch gegen Sozialdumping - etwa bei katastrophalen Arbeitsbedingungen und Hungerlöhnen in China - zulässig wären, ist dagegen unklar. Doch der westliche Sozialstaat und die globale Armutsbekämpfung würden schon von reinen Ökozöllen profitieren: Als Sofortmaßnahme würden sie den Klimaschutz am wirksamsten befördern, statt ihn durch einen globalen Wettbewerb um die niedrigsten Ökostandards zu untergraben. Doch in Europa verweilt man lieber bei randständigen Details eines eher ineffektiven klimapolitischen Instrumentenwusts. Das zeigt: Die Klimapolitik scheitert keineswegs am Problem, die Industrie "wettbewerbsfähig" zu halten. Sie scheitert vielmehr an Politikern, die um ihre Wiederwahl fürchten. An Stromriesen, die sich nur am Gewinn orientieren. Und an Bürgern, bei denen die Emissionshandelskosten am Ende ankommen.

Ökozölle würden es uns zwar nicht ersparen, unseren Lebensstil überdenken zu müssen. Auch gibt es bei höheren Energiepreisen durchaus Verlierer-Industrien. Ferner können Ökozölle zwar eine Vorbildwirkung haben - sie können aber auch Konflikte mit den Entwicklungsländern forcieren, weil sie dem Süden die Chance nehmen, durch Exporte in die Industriestaaten seine Armut zu bekämpfen. Letzteres wäre ein Grund, den Entwicklungsländern die Einnahmen aus Ökozollen teilweise zurückzuerstatten - im Gegenzug für Maßnahmen zum Klimaschutz. Dabei müsste deutlich werden, dass Schritte zu einer ernsthaften Umweltpolitik letztlich auch im Interesse südlicher Länder liegen.

Ein Europa, das das Klima schützt, würde allein freilich noch nicht das globale Problem lösen. Ökozölle würden aber zeigen, dass sich Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung nicht ausschließen müssen. Damit könnte die EU Ländern wie China, Indien und den USA ein klimapolitisches Beispiel geben. Nur so wird man wohl die Bereitschaft wecken, ernsthaft über echte globale Klimastandards -oder auch Sozial- und Unternehmensteuerstandards - zu verhandeln. Anders als im Kioto-Protokoll müssten die Ziele dann ambitioniert sein, um auch im Westen viel massivere Anstrengungen zum Klimaschutz zu erzwingen als bisher. Zudem bräuchte es Sanktionen für den Fall der Missachtung - und Wege für Mehrheitsentscheidungen, die Blockierern kein Veto mehr einräumen.

Der globale Klimastandard könnte lauten: weltweit gleiche Emissionen pro Kopf. Dann flösse Geld für den Kauf von Emissionsrechten von Nord nach Süd. Was gerecht wäre, weil wir Westler pro Kopf dem Klima mehr schaden. Dies würde nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch dem Kampf gegen die Armut im Süden helfen; folglich indirekt den westlichen Sozialstaat vor dem Dumpingproblem schützen. Das Ganze bringt also auch in der EU etwas - selbst wenn zunächst netto Geld abfließt.

Klar: Mit einer engagierteren Klimapolitik würden Autofahrten oder Urlaubsflüge teurer und seltener werden. Das aber widerspricht keinesfalls der sozialen Gerechtigkeit. Denn auch ohne Klimapolitik kann sich heute schon nicht jeder Häuser, Urlaubsflüge und Flatscreen-Fernseher leisten. Außerdem: Dass wir auf Kosten künftiger Generationen und der Menschen im Süden eine massive Schädigung des Weltklimas bewirken, ist die eigentliche soziale Ungerechtigkeit. Natürlich sollte auch heute jedem sein Existenzminimum an Strom und Wärme sicher sein. Das spricht jedoch nicht gegen hohe Energiekosten, sondern eher für moderat erhöhte Sozialleistungen. Dann bliebe jedenfalls der Anreiz zum Energiesparen erhalten.

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