Europäischer Fußballfan-Kongress kürt: Deutschland, Fanland

Tolle Fanprojekte, günstige Tickets: Der europäische Kongress der Fußballfans kürt Deutschland zum Land der Seligen - trotz hier drängender Probleme.

Herrlich, das Fan-Sein in Deutschland. So sieht man es zumindest in Britannien. Bild: dpa

LONDON taz Die meisten der 250 Fußballfans und Fanarbeiter aus 28 Ländern, die vergangene Woche beim ersten europäischen Fankongress über eine Million organisierte Stadionzuschauer vertraten, pflegten ein neues Hobby: Deutschland loben. Das lag nahe. Traf man sich doch im Emirates-Stadion von Arsenal London, in dem ein mittelprächtiges Matchticket ähnlich viel kostet wie die günstigste Saisonkarte bei Hertha BSC Berlin.

Auch über Eintrittspreise hinaus vereinfachten die europäischen Fanvertreter die Verhältnisse in Deutschland zum Vorbild. Sie schwärmten von Regelungen, die Vereinsübernahmen verhindern, Mitbestimmungsmodellen für Vereinsmitglieder oder der europaweit einzigartigen Finanzierung flächendeckender Fanprojekte. Und im Übrigen: "Es sind die rationalen Deutschen", so Peter Daykin von der englischen Fangewerkschaft Football Supporters Federation (FSF), "die uns zeigen, dass Stehplätze fundamental wichtig sind und dabei sicher sein können". In England wird nur gesessen.

So hätte Gerald von Gorrissen, der für die Fananlaufstelle des Deutschen Fußball-Bundes vor Ort war, zufrieden sein können. War er aber nicht. Er kennt Leute wie Gregor Weinreich von der Schickeria München, die sich auch in London zu Wort meldeten und die bewegungseinschränkenden Stehplatzkonstruktionen in den Bundesligen kritisierten. Vereinsübergreifende Fanorganisationen wie das Bündnis Aktiver Fußballfans, ProFans oder Unsere Kurve stellten auf dem Kongress klar, dass auch in Deutschland einseitige Vereinsübernahmen bald möglich sein könnten. Spieltage sollen in Zukunft noch TV-gerechter zerstückelt werden - bis kein Fan mehr sein Team auswärts begleiten kann. Laut Fans nehmen ungerechtfertigte Polizeiwillkür und nachfolgende Repression kein Ende. Viel zu tun sei auch in Sachen Diskriminierung: Homosexuelle Fans trauen sich zumeist nicht offen ins Stadion, Frauen und Migranten sind immer noch unterrepräsentiert.

Solange die TV-Zuschauerschaft steigt und die Stadien voll bleiben, sind solche Zielgruppen wohl nicht ganz so wichtig. Zudem werden die Einnahmen aus Eintrittskarten für Erstligavereine zunehmend unwichtiger: Demnächst dürften sie bei manchen Klub nicht einmal mehr zehn Prozent des Gesamtbudgets ausmachen. Trotzdem aber bleiben die organisierten Fans im Stadion die Seismografen des Spiels. An ihnen lässt sich ablesen, wo die Entwicklung des kommerziellen Fußballs hinführt. Selbst die heutigen Unternehmervereine brauchen Fans, und wenn nur als Identitäts- und Imagepool.

Beim Kongress in London gründete sich ein Fankomitee, das den nächsten Kongress und eine Ansprechpartnerschaft für die Uefa vorbereiten soll. Mit kühnen Forderungen. So soll der europäische Fußball-Verband die Regel abschaffen, dass internationale Spiele komplett versitzplatzt sein müssen. Sozial verträgliche Preise sollen Teil des Lizenzierungsverfahren werden und der Besitz eines Vereins durch eine Firma oder eine Person nicht möglich sein.

Die Fanvertreter haben in London verstanden, dass Deutschland kein Fanland der Glückseligen ist, sondern konsequente Fan-Vereinigungen nötig sind, die kontinuierlich protestieren und nicht immer gleich nur das Machbare fordern.

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