Otto Waalkes zum 60. Geburtstag: Wollen wir ihm gratulieren?

Heute wird der "ostfriesische Blödelbarde" Otto 60 Jahre alt. Ist er ein längst überholter Flachwitze-Reißer oder gar avantgardistischer 68er? Zwei Meinungen.

Bespöttelt und geliebt: Otto. Bild: ap

Gratulation? Jan Feddersen sagt Ja!

Als er aus Emden - gemessen an allem, was Ostfriesland so bietet - in die Weltstadt kam, gab es das Wort Szene noch nicht. Im vokabularischen Sinne natürlich schon, aber mit diesem speziellen Klang des Eingeweihten, des Besonderen, des Wissenden hatte das Wörtlein Szene, korrekt englisch ausgesprochen: ßien, noch Bedeutung. In Biografien heißt es über ihn, er debütierte in Hamburger "Szenekneipen". Später sollte daraus die Hamburger Szene werden. Aus der Menschen wie Udo Lindenberg oder Marius Müller-Westernhagen hervorgingen, aber auch er: Otto Waalkes, Malermeistersprössling, ein Fitzelmann, dürr und mit Haaren auf dem Kopf, die eigentlich nur hingen und nie wie Frisur aussahen. Er ist das beste Zeugnis der Hamburger Studentenbewegung, das diese je kulturell hervorgebracht hat, er war der Witz, den man in den Seminaren und Vorlesungen nie hatte.

Otto Waalkes, geboren am 22. Juli 1948 im ostfriesischen Emden, lebte vor seinem Durchbruch in einer WG in Hamburg, zeitweise zusammen mit Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen. Gleich seine erste LP, "Otto" von 1973 und veröffentlicht im Eigenverlag (Rüssl Räckords), verkaufte sich 500.000-mal. In den Achtzigern schließlich folgte eine Reihe von "Otto"-Filmen, die "Ottifanten"-Cartoons erwiesen sich als lukrative Ableger, und mit der "7 Zwerge"-Reihe scheint er - leider - endgültig in der RTL-Quatsch-Comedian-Gegenwart angekommen.

Völlig zu Recht sagte der große Humorist Robert Gernhardt einmal: "Mein Sechser im Lotto war Otto" - schließlich waren Vertreter der "Neuen Frankfurter Schule" (und Gründer der Satirezeitschrift Titanic) um Gernhardt, Bernd Eilert und Peter Knorr für alle "Otto"-Drehbücher und die meisten Witze des Ostfriesen verantwortlich.

Im Audimax, dem zentralen Auftrittsort von Künstlern wie Waalkes, gastierte er mehrmals. Vor tausenden von Zuschauern. Und es war absolut neu, was er damals so zu bieten hatte. Während das halbe ästhetische Milieu der Achtundsechziger auf Relevanz setzte, jeden Pinselstrich wie Mikrofonhaucher auf politische Nützlichkeit zuvor überprüfte, bot Otto Waalkes nichts als Blödelei. Grimassierte, gab den Schelm, die Pippi Langstrumpf auf männlich für Erwachsene und Pubertierende. Er verballhornte den drögen Religionswahn vom "Wort zum Sonntag", er kreierte Figuren wie Susi Sorglos, ließ einen Fön sprechen, parlierte mit Körperlichen ("Großhirn an Milz") und arbeitete mit physischem wie wörtlichem Witz. Dass ihm seine spiddelige Physiognomie für dieses Entertainment zupasskam, muss nicht besonders betont werden: Er war und ist so alt wie ein Kind, das sich auch als alter Sack nicht schämt, sich über die Scherze in der "Sesamstraße" krumm zu lachen.

Dass Otto Waalkes sich aus dem Fundus der Ideen von Robert Gernhardt bediente und sich von dem wie anderen Titanic-Autoren Gags schreiben ließ, spricht nicht gegen ihn, sondern für das gute Empfinden von dem, was echt witzig ist oder was nur, wie man aus heutiger Perspektive sagen würde, einem Mario Barth möglich ist. Waalkes hingegen wirkte selbst bei seinen Zoten über Weibliches wie ein großer Junge, der ungelenk wie appetitangeregt mit den Augen rollt, wenn er einen Rock hochwehen sah. Diese infantile Aura war ein reiner Quell der Freude, da doch im Fernsehen sonst nur Humoristen wie Theo Lingen , Heinz Rühmann, Heinz Schenk oder Peter Alexander am Lachkommandohebel saßen. Waalkes war aber der Witzereißer der Achtundsechziger, die es nicht auf militante Pfade vertrieben hatte.

Ja, auf Klassenreisen kamen seine Schallplattenaufnahmen sogar mittels eines Kassettenrekorders zur Aufführung. So wie andere heute Loriots Figuren nachahmen können oder Evelyn Hamanns Fernsehansagerin, so bevorzugte das schülerhafte Publikum die anarchische, leicht schlüpfrige, andeutungsweise Weise des Komikers Waalkes. Der nahm nix ernst, der vergackeierte alles und nichts, der machte aus Vicky Leandros "Theo, wir fahrn nach Lodz" eine Perle der Kritik am Pfaffentum, indem er aus Theo eine antitheologische Figur der halbgaren Gottesinbrunst strickte. Wer das nicht komisch fand in der Szene, der ßien oder dem eigenen Milieu, der konnte nicht cool sein. Eine Kritik, die am heutigen Schaffen Waalkes moniert, er zitiere sich nur selbst und brächte Neues nicht mehr, ist wohlfeil.

Er hat wie viele Achtundsechziger das Außenseiterdasein als Ansporn genommen, um kein Outcast mehr zu sein. Das hat er geschafft. Er hat seine allerbesten Tage hinter sich. Und zuvor viel Kurzweil verbreitet. Danke!

Gratulation? Dörte Schütz sagt Nein!

Vielleicht ist Otto Waalkes eine der letzten Reminiszenzen an die alte Bonner Republik. Ganz sicher ist er einer der ganz wenigen, die den Zeitenwechsel überstanden haben, ohne sich in irgendeiner Weise an die neuen Verhältnisse anzupassen. Feste Bestandteile der vergangenen Epoche: Kalter Krieg, Spießbürgertum und "Dalli, Dalli" als humoristisches Wochenhighlight. Nur in einem solchen Habitat konnte das klamaukige Pflänzchen namens Otto Waalkes, dem in dieser Republik das Amt des Hofnarren zukommen sollte (und für den der exklusive Titel des "ostfriesischen Blödelbarden" kreiert wurde), zu einem der beliebtesten Komiker und Urheber der erfolgreichsten deutschen Filme überhaupt werden. Jedoch: Die Bonner Republik ist Geschichte. Und auch Otto Waalkes hätte sich und uns einen Gefallen getan, hätte er sich 1989 mit "Der Außerfriesische", dem letzten seiner halbwegs akzeptablen Filme, aus der deutschen Humorlandschaft verabschiedet. Diesen Zeitpunkt hat Otto verpasst.

Die erste LP, "Otto", platzt 1973 in eine Zeit, in der der Bayerische Rundfunk sich aus einer laufenden Homodoku Rosa von Praunheims ausblendet und besorgte Eltern die Spätfolgen der neuen "Sesamstraße" diskutieren. Spaßgesellschaft? Bis dahin war es noch ein weiter Weg. Ottos Humor war vor diesem medialen Hintergrund tatsächlich einmal anarchisch, dadaistisch, subversiv. Aber die Suche nach dem schnellen Gag verhindert jeglichen Tiefgang, der dafür gesorgt hätte, dass der Humor seine Zeit überlebte. Ottos Witze wirken heute so platt wie seine ostfriesische Heimat.

Das größte Problem dabei: Der Film-Otto ist 100 Prozent deckungsgleich mit der Privatperson "Otto Waalkes". Er kann niemand anderen verkörpern als sich selbst. Darüber vermag auch kein hastig übergeworfenes Zwergenkostüm oder das Verstecken hinter einem Zeichentrick-Ottifanten hinwegzutäuschen. Seine treuen Anhänger erwarten, dass Otto Otto bleibt - ungeachtet dessen, dass er inzwischen 40 Jahre älter ist als zu Karrierebeginn. Wo Gags und Pointen aber nur von einem Menschen zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Manier vorgetragen funktionieren, besteht die Gefahr, dass das Festhalten am ewiggleichen Erfolgsrezept mit fortschreitendem Alter nur noch peinlich wirkt. Im Fall Otto bedeutet das: Ein 60-Jähriger, der, mit langen blonden Haaren in weiter Bollerhose und bunten Ottifanten T-Shirts gehüllt, "Holladahiti" trällert, ist nur noch armselig.

Nachhaltigkeit: Diese derzeit geradezu inflationär eingeforderte Tugend ist exakt das, was Otto fehlt. Beste Beispiele für Satire von bleibendem Wert kommen von Loriot, der Wandelbarkeit in Person und Ottos genauem Gegenstück. Niemals würde dieser sich als Vicco von Bülow auf eine Bühne stellen. Das überlässt er zeitlosen Gestalten wie den Müller-Lüdenscheids und Doktor Klöbners, die humoristisch persiflierend immerwährende, daueraktuelle Konflikte austragen. Ob nichts sagende Politiker, Kleingeister oder Hundebesitzer - Loriot würde heute genauso aktuelle Figuren zu schaffen wissen wie vor zwanzig Jahren. Sein eigentliches Alter spielt dabei keine Rolle, denn Loriot verkörpert seine Rollen. Er lebt sie nicht.

Die ausschließliche Darstellung des eigenen Ichs: In dieser Beziehung dient Otto der "neuen deutschen Comedy-Szene", die sich auf Pro 7 quotentechnisch nicht unerfolgreich zum "Quatsch Comedy Club" trifft, geradezu als Blaupause. Oder kennt jemand die bürgerlichen Namen von Atze Schröder und Hausmeister Krause? Und interessiert irgendjemanden, was die realen Personen hinter ihrer medialen Rampensau-Fassade zu sagen hätten? Das "Prinzip Otto" ist somit eigentlich hochmodern. Dass es trotzdem erschreckend ewiggestrig wirkt, sagt eine Menge über die aktuelle deutsche Comedyszene aus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.