Debatte Klimaschutz und Stadtwerke: Fatale Strompolitik

Der Strompreis steigt, die Stromkonzerne boomen, der Konsument zahlt. Die Politik aber schwächt die Stadtwerke - die ein Gegengewicht zum Stromkartell bieten könnten.

Ein Ölpreis von 130 Dollar je Fass erzeugt kreative Energien in der Politik. So forderte die FDP auf ihrem letzten Parteitag, die Steuern auf Benzin zu senken. Ihr Vorsitzender Guido Westerwelle verstieg sich gar zu der Aussage, die Energiekosten seien der "Brotpreis des 21. Jahrhunderts".

Angesichts von Hungerrevolten in einem Dutzend Ländern auf drei Kontinenten und düsteren Prognosen für die Welternährungslage ist die Gleichsetzung von Strom und Treibstoff mit Brot reichlich kühn. Gleichwohl - dass die stark steigenden Energiepreise die Menschen bewegen und vor allem für Geringverdiener ein Problem sind, lässt sich kaum bestreiten. Umso bedauerlicher ist es, dass die FDP den hohen Energiepreisen nicht mit dem Markt, sondern mit Steuerpopulismus zu Leibe rücken will. Besonders im Stromsektor könnte eine marktwirtschaftlich orientierte Partei ein weites Betätigungsfeld vorfinden. Denn auch Strom wird in Deutschland laufend teurer, weil die Neuordnung dieses Marktes völlig missraten ist und den Wettbewerb massiv verzerrt.

Nach der "Liberalisierung" des Strommarktes im Jahr 1998 sanken die Preise nur kurzfristig. Dann merkten die rasch durch Fusionen und Aufkäufe entstandenen vier großen Stromproduzenten RWE, Vattenfall, Eon und EnBW, dass Wettbewerb keinen Spaß macht. In der Folge hat sich der Preis für Strom an der Leipziger Börse seit dem Jahr 2000 von 20 auf 60 Euro pro Megawattstunde verdreifacht.

Die vier Großkonzerne verdienen sich damit eine goldene Nase. Zusammen beherrschen sie 85 Prozent der Erzeugungskapazitäten, überwiegend aus abgeschriebenen Großkraftwerken. Zwar sind auch ihre Produktionskosten gestiegen, weil Kohle und Gas teurer wurden. Für Atomkraftwerke gilt dies allerdings kaum und der Anstieg der Rohstoffpreise vermag allenfalls die Hälfte des Preisanstiegs zu erklären. Was darüber hinausgeht, sind klassische "Windfall Profits": "unverhoffte Gewinne".

Der Börsenpreis für Strom, der vor allem bestimmt, was die vier großen Konzernen ihren Abnehmern in Rechnung stellen, richtet sich an dem Strompreis aus, der voraussichtlich anfällt, falls Strom zusätzlich von außen eingekauft werden muss. Weil aber neue Kraftwerke ihre Abschreibung erst erwirtschaften müssen, Kraftwerksstandorte schwierig zu finden, Genehmigungen aufwändig und die Anlagenkosten extrem gestiegen sind, muss ein neuer Anbieter weit höhere Preise ansetzen als die Altanlagenbetreiber, um in die Gewinnzone zu kommen. Die Differenz führt zu Rekordgewinnen im Erzeugeroligopol und stark steigenden Endkundenpreisen. Die Marktmacht der Konzerne ist so groß, dass sie es sogar durchsetzen konnten, den Börsenpreis von CO2-Verschmutzungsrechten an die Endkunden weiterzureichen, obwohl die Konzerne selbst diese kostenlos zugeteilt bekamen.

Das Phänomen des teuren Stroms hat nicht nur Guido Westerwelle, sondern auch die große Koalition erkannt. Sie verordnete deshalb eine Diät, die zu Preissenkungen und mehr Wettbewerb führen sollte: die Anreizregulierungsverordnung. Sie zwingt die Betreiber, die Preise für die Nutzung der Stromnetze zu senken. Leider ist die Regierung dabei verfahren wie ein Arzt, der einem Übergewichtigen die Beine amputiert. Zwar lässt sich das Gewicht so verringern, aber das Gehen fällt dem Patienten anschließend schwer.

Während die Preise der Stromerzeugung sich verdreifacht haben, sind die Netzkosten in den letzten sieben Jahren fast konstant geblieben. Die Politik setzt also am falschen Kostenblock an. Da gibt es nichts abzuspecken. Die sprudelnden Gewinne in der Erzeugung lässt die Regierung hingegen unangetastet.

Das ist schon schlimm genug, aber der Eingriff in den Markt wirkt zu allem Überfluss auch noch asymmetrisch: Auf der Gewinnerseite stehen einmal mehr die großen Konzerne. Sie nutzen die verordneten Preissenkungen im Netzbetrieb, um dank ihrer Marktmacht die Preise in der Stromproduktion zu erhöhen. Die Endkunden profitieren davon nicht; in den Bilanzen der Konzerne werden die Gewinne vom Netzbetrieb in die Produktion vorverlagert. Das setzt die Stadtwerke doppelt unter Druck. Einerseits müssen sie die Preise für die Nutzung ihrer Netze durch externe Anbieter senken und verlieren wichtige Kunden. Andererseits erhöhen sich die Preise für den Bezug von Strom aus den Kraftwerken des Oligopols. Viele Stadtwerke betreiben nur wenige oder gar keine Kraftwerke. Sie können also Verluste im Netzbetrieb nicht durch Gewinne aus der Stromproduktion ausgleichen. Damit gerät das ganze Unternehmen in die roten Zahlen. Es droht ein Stadtwerkesterben.

Das hätte nicht nur das endgültige Ende des Wettbewerbs zu Folge, es würde auch die Bürgergesellschaft massiv treffen. Stadtwerkegewinne finanzieren heute in vielen Städten den Betrieb von Schwimmbädern, Bussen, Straßenbahnen und Parkhäusern. Oftmals sichern sie einen erheblichen Teil der Investitionskraft einer Stadt. Ohne Stadtwerkegewinne werden die Gebühren und Steuern in vielen Städten steigen und die Qualität wie der Umfang kommunaler Leistungen sinken. Auch der Klimaschutz wird ohne Stadtwerke nicht gelingen. Denn klimafreundliche Stromproduktion ist als Nutzung erneuerbarer Energie oder der Abwärme eines Verbrennungsprozesses immer dezentral. Die Betreiber der alten Großkraftwerke haben an diesem Strukturwandel naturgemäß kein Interesse. Die Stadtwerke können hingegen die Wärmenetze und die regionale Verortung einbringen, die für eine Energiewende gebraucht wird. Wenn die Politik sich Sorgen um überhöhte Strompreise und den Klimaschutz macht, dann sollte sie endlich einen funktionierenden Markt schaffen. Statt der verkorksten und bürokratisierten Anreizregulierung sollte sie das Erzeugungsoligopol aufbrechen. Sie könnte zum Beispiel, die Konzerne zur Aufgabe ihrer Beteiligungen an zahlreichen Stadtwerken zwingen. Damit würde ihnen eine ausreichende Gegenmacht der Abnehmer gegenübergestellt.

Sehr effektiv wäre es auch, den Stadtwerken eine echte Chance zu geben, rentierliche Eigenerzeugung aufzubauen. Am einfachsten könnte dies durch eine Quotenregelung für Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung geschehen. Hier sind die Stadtwerke durch vorhandene Fernwärmenetze und städtische Strukturen im Vorteil. Die Betreiber der Großkraftwerke ohne Wärmenutzung müssten sich dann Zertifikate von den Stadtwerken kaufen. Damit könnte die Bundesregierung zugleich ihre Klimaschutzziele erreichen und den Stadtwerken Gewinne ermöglichen. Leider ist nicht zu erkennen, dass Angela Merkel ihren Ankündigungen zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung ein solch entschiedenes Handeln folgen lässt. Die einfache Formel für den Strommarkt der Zukunft heißt: Wettbewerb und Klimaschutz brauchen Stadtwerke. Es wird Zeit, dass die Politik das begreift und die gleichermaßen unfairen wie wettbewerbsfeindlichen Eingriffe in den Energiemarkt korrigiert.

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