Karneval der Geister

Angie Reed ist eine unberechenbare Entertainerin. Ihre neue CD ist Klimbim-Pop, in ihrer neuen Show treten neben Unterwassermenschen, Zuhältern und zu Situationistinnen konvertierten Nonnen auch allerlei Untote auf. Ein Porträt

Zu Casio-Punkrock heißt es „Dings Bums bumst Dings Da/ Es steht so in der Gala“

VON CHRISTOPH BRAUN

Es treten auf: zwei Zuhälter, eine Nonne, die später Situationistin wird, das Berlin der 20er-Jahre und die Drexcyianer, die mystischen Unterwassermenschen des Detroit-Techno. Angie Reeds neue Platte „XYZ Frequency“ ist der Kreuzberger Beitrag zum heidnisch-katholischen Wintervertreibungs-Tohuwabohu. Karnvalesker Trash in Bonbonfarben, der die permanente Veränderung beschwört.

Vor gut zweieinhalb Jahren erschien mit „The Best of Barbara Brockhaus“ so etwas wie die Dokumentation der ersten Solo-Bühnenshow von Angie Reed. Ihr Alter Ego Brockhaus, eine reimende Sekretärin, die zu harten Beats ihre sexuellen Büro-Fantasien preisgibt, war zu der Zeit schon so etwas wie eine eingeführte Marke. „Auch die Platte hat dann ihren Weg als kleines Kultding gemacht“, erzählt die Oranienstraßen-Anwohnerin inzwischen angetan. Doch die Akte Brockhaus hat Reed jetzt abgeschlossen – zu viele unzufriedene oder verstorbene Typen pochen da noch auf ihren posthumen Bühnenauftritt.

So stand am Anfang der neuen Platte die Idee eines Mediums, das versucht, den Geist von Lady Di zu beschwören. Das aber gelingt ihm nicht – stattdessen ruft es ständig neue Unprominente herbei, die zu ihren Lebzeiten noch nicht mal in der Gala aufgetaucht sind. Die sprunghafte Künstlerin, die im Interview blitzschnell zwischen Witz und Ernst, Trash und Kunstgeschichte umschaltet, verfolgt mit ihren Figuren durchaus ein Programm: Ein Abarbeiten von Schuld war es bei der sündhaften Brockhaus, und nun scannt sie die unbekannten Terrains ab, die nach dem Leben noch warten – mit stets exzessiv wirrem Kopf, der alles andere als verbindliche Aussagen macht. Denn eine Entertainerin hat auch wirklich anderes zu tun, als einschätzbar zu sein.

Ab Dezember wird Angie Reed wieder auf Bühnen stehen und sich die „Geister, die natürlich keine Kostüme wechseln können und also vorher gefilmt werden“, auf den Körper projizieren lassen. Mit ihren Shows bringt die Frau, die inzwischen irgendwo in ihren Dreißigern sein muss und bei Katharina Sieverding an der UdK studiert hat, all ihre Interessen unter einen Hut. Als da wären: auf der Bühne stehen, ein eigenes Bühnenbild gestalten und Musik machen.

Schon im Alter von acht Jahren gründete Reed einen Fanclub, der mit Elvis dem naturgegebenen Gott des Karaoke huldigte. Seitdem ist Musikmachen ist für sie eher ein In-der-Musik-Sein. Nach ihrem Engagement bei Stereo Total, wo sie vier Jahre lang Bass spielte, hatte sie mit Frauen von den Pop Tarts und Cobra Killer unterschiedliche Bands, zum Beispiel das nach einem Supergroupie benannte „Pamela des Barres Entertainment“. Da war man „mehr interessiert an gutem Aussehen und Wodkatrinken als an der Beherrschung unserer Instrumente“.

Ihre alte und ihre neue Solo-Platte hat Reed ganz in dieser Tradition im Chaos ihrer Wohnung produziert und dabei darauf geachtet, dass sie nicht zu geschliffen daherkommen. „So überproduziert mag ich das nicht, es muss primitiv und roh klingen.“ Würde auch nicht passen zu Songs wie „Dings Bums bumst Dings Da“, einem der beiden großen Hits auf „XYZ Frequency“. Zu gut gelauntem Casio-Punkrock und einem Chor der Versoffenen beichtet da ein Fußgängerzonen-Schnorrer, dass er heimlich Promi-Zeitschriften liest. Der Refrain wird eingeleitet von einem herzlich burschikosen „Lutsch meinen Schwanz“, denn was zählt, ist: „Dings Bums bumst Dings Da/ Es steht so in der Gala.“

Angie Reed liebt Rollenspiele, die für sie immer auch Exorzismen sind. In ihrer Kindheit musste sie katholische Gottesdienste besuchen – erst in den USA, wo sie geboren wurde, dann auf den Azoren, in Italien und schließlich in Deutschland. „In der Kirche bin ich jedes Mal eingeschlafen. Damit habe ich mir Schuld aufgeladen, und dieses katholische Ding bleibt lange drin.“ Mit „XYZ Frequency“ nun tritt die permanente Verwandlung an die Stelle des expliziten (Schuld-)Bekenntnisses.

Blitzschnell schaltet Reed zwischen Witz und Ernst, Trash und Kunstgeschichte um

In „Bend The Truth In A Confession Booth“ schlägt sie eine ganz explizite Brücke in ihre katholische Vergangenheit: In dem Stück tritt eine Frau in ein Kloster ein, wird dort beim Oralsex mit einer anderen Nonne erwischt und prompt exkommuniziert. Sie landet im Paris der Fünfzigerjahre, wo sie mit der situationistischen Boheme wilde Orgien feiert. Im Unterschied zum rohen Rap von Barbara Brockhaus hat Angie Reed mit Hilfe von befreundeten Musikern wie Mario Mentrup (Ex-„Knochengirl“) oder Eric D. Clark (Ex-„Whirlpool Productions“), der Klavier auf dem tollen Disco-Stück „Hustle A Hustler“ spielt, einen speziellen Klimbim-Pop entworfen, der dank seiner No-School-Ideologie gut auf das Label der Chicks On Speed passt.

So duellieren sich im Titelstück eine Schrammelgitarre und ein Billig-Keyboard, während im Hintergrund eine alte Schlagzeugmaschine rattert. In „Gold Chained Leopard Of The Ghetto“ stolziert ein Zuhälter durchs West-Berlin der 70er-Jahre, und ein übermütig schnatternder Electro-Bass kann seine Klappe nicht halten. In „Yes, We Know“ wird die Bubble Metropolis betreten, wo die Kiemenmenschen Drexcyas leben – einer afroamerikanischen Legende zufolge die Kinder versklavter Ostafrikanerinnen, die während der Passage nach Amerika über Bord gestoßen worden sind.

Damit das alles im Live-Gewand so rüberkommt, wie es soll, sucht Reed übrigens noch nach Sponsoren. „Ich habe einfach keine Kohle für Laptop und Beamer, die ich für die ‚XYZ Frequency‘-Show brauche“, kehrt Reed unvermutet zurück in die harte Realität. Ein Leben im Karneval heißt eben auch: Freiheit macht arm.

Angie Reed: „XYZ Frequency“ (Chicks On Speed Records/Indigo)Am 13. 12. live in der Volksbühne