Atomgegner in Türkei: Polizeiprügel beflügelt AKW-Debatte

Eine Polizei-Aktion gegen Anti-Atom-Camper löst in der Türkei eine Debatte über umstrittene Reaktorpläne in einem erdbebengefährdeten Gebiet aus.

Die türkische Polizei zieht bei Demos nicht extra die Samthandschuhe an, wie hier in Istanbul. Bild: dpa

Shannon Stephens wirkt noch Tage später ziemlich geschockt. "So eine harte Reaktion der Polizei, für so eine harmlose Aktion habe ich noch nirgendwo anders erlebt", empört sich die kanadische Umweltaktivistin. Stephens war zusammen mit etlichen anderen Aktivisten Teilnehmerin eines "Oekotopia Sommercamps" in Sinop am Schwarzen Meer. Dort plant die türkische Regierung ein atomwissenschaftliches Forschungszentrum und ein großes AKW.

Zusammen mit einer örtlichen Initiative wollten die Sommercamper gegen diese Pläne demonstrieren. Als sie bei der Polizei für den kommenden Tag eine Demo anmelden wollten, handelten sie sich gleich Ärger ein. Die örtliche Gendarmerie erschien und erklärte, das Camp müsse in zwei Tagen geräumt werden, sonst würden sämtliche Teilnehmer festgenommen. Als die Camper am folgenden Tag ein kleines Happening vor dem Gouverneurspalast veranstalteten und sich weiß geschminkt als Leichen nach einem AKW-Unfall auf dem zentralen Platz von Sinop drapierten, landeten sie alle auf der Polizeistation. "Acht Stunden wurden wir festgehalten", erzählt Stephens; danach mussten sie auch noch eine Geldbuße zahlen und konnten gerade noch ihre Sachen retten, bevor die Polizei das Camp räumte.

Doch die Polizeiaktion wurde zu einem publizistischen Bumerang. Die gesamte Presse in der Türkei wurde aufmerksam. Dann hetzte auch noch Ministerpräsident Tayyip Erdogan, der am selben Tag unweit von Sinop Wahlkampf machte, gegen die Aktivisten: Sie hätten keine Ahnung von den Energieproblemen der Türkei und sollten ihre Freizeit lieber woanders verbringen.

Die türkische Sektion von Greenpeace nutzte die Gunst der Stunde und informierte einige Tage später in Istanbul dann noch einmal die großen türkischen Medien über die Probleme des AKW-Programms. In einem Monat, am 24. September, will die Regierung entscheiden, welchem internationalen Konsortium sie den Zuschlag für den Bau des ersten AKWs gibt. Die größten Chancen hat ein US-spanisches Angebot von GE und Iberdrola, die gemeinsam mit dem türkischen Großkonzern Sabance antreten. Auch gut im Rennen ist die kanadische Bruce Power, die den türkischen Dogan Konzern zum Partner hat, der praktischerweise auch einen großen Teil der Medien kontrolliert, darunter die größte Zeitung türkische Zeitung Hürriyet.

Gebaut werden soll aber zunächst nicht in Sinop, sondern in Akkuyu, einem Standort am Mittelmeer. Weil Akkuyu stark erdbebengefährdet ist, wurde ein erster Anlauf, dort ein AKW zu bauen, vor sechs Jahren gestoppt.

Dass jetzt wieder Akkuyu ausgesucht wurde, liegt vor allem daran, dass das bereits damals enteignet und für den Bau vorbereitet wurde und deshalb ein schneller Baubeginn möglich ist, sagt Korol Diker, der bei Greenpeace die Anti-AKW-Kampagne leitet. "Bis das Verfahren in Sinop so weit ist, werden noch Jahre vergehen", sagt Diker. Greenpeace unterstützt auch die Anti-AKW Initiativen vor Ort in Akkuyu und der nächst größeren Stadt, in Mersin. "Doch bislang hatten wir in der öffentlichen Wahrnehmung wenig Chancen, die Regierung und die Großunternehmen dominieren die Medien."

Diker setzt eher darauf, dass das Projekt aus ökonomischen Gründen scheitert. Die türkische Wirtschaft sei nicht stabil genug, die Gewinnmargen seien zu niedrig und die Kreditrisiken zu groß. "Das eigentliche Problem ist, dass die Türkei viel Geld und Zeit mit ihrer AKW-Obsession verschleudert, statt gleich in erneuerbare Energien zu investieren." Obwohl die Türkei ein großes Potenzial für Wind- und Sonnenenergie habe, setzte die Regierung auf eine "Technologie von gestern", sagte Diker. Für die Atomgläubigkeit ihrer Regierung werde die Bevölkerung am Ende einen hohen Preis zahlen.

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