Senatsstudie: Erstklässler können schon sehr gut fernsehen

Viele Schulanfänger verbringen drei Stunden und mehr vor der Glotze. Vor allem sozial Schwache sind betroffen. Grund ist vor allem ein Mangel an Alternativen

Lieber Geigen als Glotzen: Lars aus Gelsenkirchen Bild: dpa

Berliner Erstklässler sehen gerne fern. Über 30 Prozent der Schulanfänger hängen jeden Tag mehr als zwei Stunden vor der Glotze, 16,5 Prozent haben sogar ein eigenes Gerät im Kinderzimmer. Zu diesem Ergebnis kommt die Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht, der auf den Daten der Einschulungsuntersuchungen im Jahr 2006 beruht. Knapp 30.000 Kinder wurden in der Studie erfasst. Erhoben wurde neben dem Fernsehverhalten vor allem der Gesundheitszustand der Erstklässler.

"Der aktuelle Bericht bescheinigt der überwiegenden Mehrheit der Kinder in dieser Altersklasse eine gute Gesundheit", sagte Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei). Gleichwohl mache die Studie deutlich, dass der Gesundheitszustand und auch die Startchancen in den Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich verteilt seien. So haben Kinder aus sozial schwachen Familien stärker mit Problemen wie zum Beispiel starkem Übergewicht zu kämpfen als ihre zukünftigen Klassenkameraden aus höheren sozialen Schichten. Die sehen auch nicht so viel fern: 70 Prozent von ihnen schauen weniger als eine Stunde täglich in die Röhre, während fast die Hällte der Kinder aus mittleren und unteren sozialen Schichten drei Stunden und mehr vor dem Fernseher verbringen.

"Die Zahlen belegen, dass das Fernsehverhalten der Kleinen etwas mit dem Bildungsniveau der Eltern zu tun hat", sagte Regina Kneiding, Sprecherin der Senatsgesundheitsverwaltung. "Wer Zugang und die finanziellen Möglichkeiten für andere Freizeitbeschäftigungen hat, nutzt das." Hier seien die Eltern in der Verantwortung, ihren Kindern alternative Beschäftigungen aufzuzeigen. Der Senat versuche, sie mit Angeboten wie dem Familienpass, der vergünstigte Eintritte etwa in Schwimmbäder und Museen bietet, zu unterstützen. Im Vergleich mit der Einschulungsuntersuchung 2005 sehe man in dieser Hinsicht auch eine positive Entwicklung. "Die Anzahl der Kinder, die gar nicht fernsehen, ist leicht gestiegen, während weniger viel fernsehen", so Kneiding.

Dennoch erscheinen die Zahlen für Kinder dieses Alters sehr hoch. "Vor der Einschulung sollten Kinder am besten gar nicht fernsehen", sagt Ralf Thalemann, der als Charité-Psychologe in Sprechstunden tagtäglich mit übergewichtigen Kindern zu tun hat, die ihre Freizeit vor allem vor der Glotze verbringen. Erst Grundschulkinder sollten langsam an das Medium gewöhnt werden, am besten unter elterlicher Anleitung. Ein eigener Fernseher im Zimmer sei jedoch auch dann nicht angebracht. "Das Fernsehverhalten der Erstklässler ist noch keine Sucht, sondern lediglich ein Mangel an Alternativen", so Thalemann.

Problematisch sei vor allem die fehlende Bewegung in Kombination mit falscher Ernährung; ansonsten würde die Entwicklung nicht merklich beeinflusst. "Die Kinder können durchaus zwischen Realität und Fernsehprogramm unterscheiden", sagt Thalemann. Ihm sei jedoch aufgefallen, dass die sprachlichen Fähigkeiten der Vielseher im Vergleich mit Kindern, die aktivere Hobbys haben, noch nicht so umfassend ausgeprägt seien.

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