Rauminstallation "Stage Diver": Ausstellung zum Mitmachen

Kunst ist nicht nur zum Anschauen da: Tilo Schulz zeigt in der Secession Wien eine Installation aus begehbaren Räumen. Die Besucher werden so zu Teilnehmern.

Vom Holz nur das Edelste: Die Räume sind mit Mahagoniplatten ausgestattet. Bild: PEZ HEJDUK/SECESSION

Betreten erbeten! Tilo Schulz bittet um Ihre Aufmerksamkeit und Teilnahme an seinen Projekten. Der 1972 in Leipzig geborene Künstler bemüht sich stets um die Einbeziehung seines Publikums, gibt spielerische Anweisungen, legt Hindernisse in den Weg oder choreografiert entdeckendes Durchschreiten einer Abfolge von Räumen. Aktuell tut er das in Wien, wo er für die Secession eine begehbare Rauminstallation entworfen hat.

Tilo Schulz hat Instandhaltungsmechaniker in der Braunkohle gelernt, bevor er sich als Autodidakt selbst beibrachte, was es bedeutet, Künstler zu sein. Er gehört zu einer jungen Künstlergeneration, deren Engagement sich nicht allein auf die eigene künstlerische Produktion beschränkt. Seit Beginn der Neunziger stellt er regelmäßig aus, kuratiert und schreibt.

Schulz zweifelt ganz grundsätzlich an den Dogmen der formalistischen und realistischen Tendenzen im 20. Jahrhundert. Er plädiert für eine Erneuerung der Wahrnehmung künstlerischer Arbeit und ihrer Umstände. Schulz blickt dabei zurück auf den (historischen) Konflikt zwischen der vom Sozialismus instrumentalisierten Kunst, der realistische Figürlichkeit auferlegt wurde, und der antagonistischen Position einer vorgeblich freien Kunst im Westens. Das hat eine biografische Komponente: Die erste Hälfte seines Lebens verbrachte Schulz in der DDR, die zweite in einem kapitalistischen Land, der BRD.

Für die Secession entwarf der Künstler einen begehbaren Parcours: drei zusammenhängende, aus edlen Mahagoniplatten gebaute Räume bestimmen die Ausstellungsarchitektur der Galerie. Am Ende eines ansonsten leeren Raumes im Untergeschoss der Secession beginnt die Konstruktion als niedrige Plattform: die Form suggeriert eine Art Bühne - ein theatralisches Moment. Darauf folgt ein geschlossenes Kabinett, in dem abstrakte Zeichnungen zu sehen sind, die das Thema "Grenze" im Sinne eines nicht definierten Freiraumes variieren. Die Konstruktion endet in einem langen Laufsteg, der den dritten Saal der Länge nach durchquert. Hier verlässt der Betrachter den Raum im Raum. Am Ende des Parcours vermitteln ein Stapel beiläufig abgestellter Thonet-Stühle und Tapeten mit einem sand-fliederfarbenen Muster den Eindruck eines lang verlassenen Ortes.

Wenn man mehr als nur einen oberflächlichen Blick auf die Arbeit werfen will, muss man die Plattform betreten, über sie in zwei andere Bereiche gehen und dann auf dem gleichen Weg zurückkehren, um den Parcours wieder zu verlassen. Die von außen teilweise sichtbare Konstruktion aus Balken weckt Assoziationen an temporäre Architekturen von Baustellen oder Theaterkulissen. Im markanten Gegensatz zu dem provisorischen Charakter, den die Außenseite evoziert, steht die perfekte Ästhetik im Inneren.

Die kostbaren Oberflächen aus Mahagoni vermitteln ein Flair gutbürgerlicher Gediegenheit und kontrastieren die funktional durchdachte Architektur. Das Verhältnis von Innen und Außen, Privatraum und Öffentlichkeit, von Funktion und Dekor sind in diesen Dialog einbezogen. Mit ähnlichen Mitteln hat Schulz bereits in einer wandfüllenden Intarsienarbeit in Echtholz-Furnier aus dem Jahre 2005 mit dem Titel "holz ist in bei den künstlern der documenta 7" seine konstruktiv-minimalistische Sprache zum Ausdruck gebracht. Die Holzvertäfelung ist hier Bild, Objekt und Architekturelement. Schulz scheint sich in seiner Beschäftigung mit Problemen der Wahrnehmung, der Identität und der Definition eines Gegenstandes den amerikanischen Pionieren der konzeptuellen Rigorosität, wie etwa Daniel Buren, Dan Graham oder Joseph Kosuth verbunden zu fühlen.

Der Inszenierung des Ausstellungsparcours, den Blickachsen und Raumfolgen, widmet Tilo Schulz ebenso viel Aufmerksamkeit wie den BesucherInnen, die er "von vornherein mitdenkt", wie es seitens der Secession heißt. Sein Angebot ist jedoch weniger darauf angelegt, verschiedene Rollen anzubieten - etwa als Modell oder Voyeur - und zu performativen Handlungen anzuregen. Sein Plan zielt eher darauf ab, die BesucherInnen solche Möglichkeiten in einer Erfahrung reflexiver Betrachtung selbst erspüren und bedenken zu lassen. In diesem Sinne erklärt sich auch der Titel der Konstruktion.

Mit "Stage Diver" hat Schulz eine anspielungsreiche Situation geschaffen, in der die Besucher ihr eigenes Auffassungs- und Reflexionsvermögen in ein Spiel von teils selbst, teils vom Künstler hervorgebrachten Verweisen einbringen können. Ohne theoretischen Überbau und erklärende Texte vertraut Schulz allein auf die stimulierende Kraft einer Präsentation der Präsentation, in der Empfinden und Reflexion, Oberflächen und Hintergründe ausschließlich über räumliche und körperliche Erfahrungen vermittelt werden.

Bis 9. November 2008 ist die Ausstellung "Stage Diver" in der Wiener Secession zu sehen.

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