Marathon & Jazz: "Die blaue Linie ist nicht ideal"

Der Lauf-Fan John Kunkeler hat die Marathonstrecke durch Berlin mitentworfen. Der Jazz-Fan John Kunkeler leitet den Musikclub Schlot. Am Sonntag bringt er wieder Musiker und Läufer zusammen an der Route, die 42 Meter länger ist als gedacht.

Alle Jahre wieder: der Marathon in Berlin. Bild: AP

taz: Herr Kunkeler, quer durch die Stadt zieht sich wieder ganz frisch die blaue Linie für die Marathonstrecke am Sonntag. War das viel Arbeit?

John Kunkeler: Für mich nicht. Die wurde über Nacht von einer Profifirma aufgetragen.

Aber Sie haben die Laufroute durch Berlin vermessen?

Ich hab die neue Berlin-Marathon-Strecke mitentworfen, nicht als Vermesser, sondern als Mitglied des Sportclub Charlottenburg (SCC). Nach dem Mauerfall, als wir das erste Mal durchs Brandenburger Tor gelaufen sind, ging es gerade mal drei bis vier Kilometer durch den Osten und der Zieleinlauf war auf dem Kurfürstendamm. Das ist nicht mehr zeitgemäß gewesen. Wir haben es dann nach diversen internen Debatten durchgesetzt, dass Start und Ziel vor dem Brandenburger Tor sind.

Wie wichtig ist die Streckenführung?

Die Strecke darf keine erheblichen Gefälle aufweisen, je glatter, umso besser. Theoretisch wäre es besser, wenn man einen leicht abfedernden Belag wie im Stadion ausrollen könnte, der an allen Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbeiführt.

Aber die lenken doch nur ab beim Laufen …

… nein, im Gegenteil, das inspiriert. Wenn man in der Walachei läuft und ein Panorama hat, das sich eine viertel Stunde nicht mehr ändert - das drückt die Psyche runter. Gerade durch diese mäandernde Wegführung entsteht immer eine andere Sogwirkung. Das ist ein enormer Kick, wenn du da auf dieser breiten Straße läufst, wo sonst nur der Autoverkehr kommt. Das gibt ein enormes Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen, auch beim normalen Teilnehmer.

Muss die Route jedes Jahr neu vermessen werden?

In diesem Jahr gab es kein Entrinnen wegen vieler Baustellen. Häufig wird angenommen, dass die blaue Linie die Ideallinie für die Läufer sei. Das geht aber gar nicht, schon weil da noch überall Autos parken, die am Sonntag weg sein müssen.

Weiß das auch Haile Gebrselassie? Der will schließlich wie schon im letzten Jahr den Weltrekord brechen.

Ja klar, ein erfahrener Läufer weiß, wann die Kurve links oder rechts abbiegt. Ein Läufer kriegt die Kurve zudem viel besser als ein Prüffahrzeug.

Dann kann man mit etwas Geschick die Strecke abkürzen und läuft am Ende weniger als die 42,195 Kilometer?

Nein. Denn wir schlagen pro Kilometer immer einen Meter drauf. Die Ideallinie ist also 42 Meter zu lang. Das ist immer so. Würde sich herausstellen, dass eine Strecke zu kurz ist, würde der Rekord nicht anerkannt.

Laufen Sie auch mit?

Nein, ich sitze im Versorgungsfahrzeug bei der Spitzengruppe.

Aber sonst laufen Sie schon?

Ja, so zwischen einer und zwei Stunden pro Tag. Die echte Tortur mit langen Läufen von drei bis vier Stunden, das mache ich jetzt nicht mehr.

Wie sind Sie zum Laufsport gekommen?

Ausgelöst bei mir wurde es durch einen Lungenfellriss 1981. Ich dachte, jetzt muss ich mal wieder Sport machen. Dann hab ich irgendwann einen Zehn-Kilometer-Lauf mitgemacht und das Glücksgefühl kennengelernt, wie das ist, wenn man so was beendet. Laufen lag mir, auch weil ich klein und dürr bin. Laufen ist auch einsam. Die zigtausenden Kilometer, die ich alleine gelaufen bin, da kann man geradezu meditieren.

Ihre zweite Leidenschaft ist der Jazz. Warum?

Ich hatte als Student einen Job bei den damaligen Berliner Jazztagen. Da kam ich in Berührung mit Jazzgrößen wie Miles Davis. Das war aufregend. Eigentlich hing mein Herz sehr an Folk und Singersongwriting.

Nicht jeder Jazzfan macht gleich einen Club auf. Sie sind aber schon seit 1995 Mitinhaber des Jazzclubs Schlot.

Das war Schicksal. Damals, 1995, ging meine Ehe auseinander. Für mich war das ein schwerer Schlag. In dieser Situation fasst man verrückte Entschlüsse, die eher risikobehaftet sind.

Wer kommt in Ihren Club?

Manchmal sage ich so ein bisschen despektierlich "das Bildungsbürgertum, aber eher das verarmte". Die Erfolgreichen haben ja keine Zeit, weil sie so viel verdienen müssen. Für Jazz braucht man eine höhere kulturelle Auffassungsgabe, als wenn man ein Popstück oder einen Hit hört. Jazz muss man lernen zu hören. Diesen musikalischen Genuss zu übertragen, ist eine hohe Kunst, die bei uns zelebriert wird. Das wird nicht so nebenbei serviert. Hier wird zugehört. Leute, die nur so im Jazzclub rumlabern und zwischendurch mal klatschen - ich kanns nicht leiden.

Was machen Sie, wenn Ihre Gäste doch quatschen?

Wir haben an zwei Säulen einen Appell gemacht mit "listening area" und "whispering area". Gelegentlich sage ich es auch an, aber mittlerweile ist bekannt, dass bei uns die Konzerte goutiert werden. Wir sind keine Kneipe.

Dabei stellt man sich einen Jazzclub immer laut, lebendig und verraucht vor …

Ja. Jugendliche denken oft, wir sind Trübsalbläser und dass hier ein Begräbnis stattfindet. Sie denken, dass wir nichts zu lachen haben. Sie finden die Musik traurig, kompliziert. Viele glauben, dass Robby Williams der Erfinder des Jazz ist.

Gibt es eine Verbindung zwischen Jazz und Laufen?

Es sind meine beiden Hobbys.

Und die haben Sie geschickt zum Beruf gemacht?

Ja. Beim Berlin-Marathon schlägt sich diese Verbindung nieder: am Streckenrand haben sich nahezu alle Jazzer der Stadt in irgendeiner Band formiert. Diese Koordination organisiere ich vom Schlot nebenbei. Das hat dem Berlin-Marathon das Renommee "längste Jazz- und Sambameile der Welt" eingebracht. Da spielen insgesamt 1.400 Musiker. Es gibt hier übrigens eine Jazzband, die nur aus Marathonläufern besteht.

Rockmusik hat keinen Platz?

Es ist unmöglich, Rockbands in dieser Zahl zu kriegen. Schon aus technischen Gründen. Jazzer sind mobiler und pflegeleichter. Die bringen schon mit einem kleinem Verstärker Sound. Zudem hat das Gros der Läufer ein hohes Bildungsniveau.

Wenn kulturinteressierte Läufer ein Päuschen einlegen wollten, hätten Sie einen Tipp?

Eigentlich soll man ja durchlaufen. Aber bei Kilometer 28 spielt ein erstklassiges Schlagzeugerduo, das sind echte Cracks. Und kurz danach, beim Wilden Eber, die Riesen-Samba-Band.

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