Hochschulen sind zu elitär: Deutsche Unis sollen offener werden
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Kinder ohne akademische Eltern studieren seltener. Damit liegt Deutschland im Ländervergleich auf dem vorletzten Platz.
Deutschlands Hochschulsystem gehört zum Ostblock. "Sozial ungerechter sind nur ehemalige sozialistische Länder wie Tschechien, die Slowakei oder Bulgarien", erklärt Hochschulforscherin Elke Middendorff. Die Spitze erlaubte sich Middendorff am Freitag, als sie in Berlin die dritte international Vergleichserhebung "Eurostudent" vorstellte.
In kaum einem anderen europäischen Land ist der Zugang zur Universität demnach so stark vom Elternhaus abhängig wie in Deutschland. Nur fünf Prozent der Studierenden haben hier einen Vater mit Hauptschulabschluss. In der Bevölkerung beträgt der Anteil 12 Prozent.
Die Daten sind nicht neu. Das Hochschulinformationssystem (HIS), ein von Bund und Ländern finanziertes Unternehmen, bezieht sich auf die 18. Sozialerhebung des Studentenwerkes, die es bereits 2007 vorstellte. Neu ist, dass das HIS diese Statistik nun mit Berichten aus 22 anderen Ländern vergleicht.
Nimmt man die Studienanfängerquote als einen Indikator für die soziale Offenheit der Hochschulen, so haben in Deutschland 2006 rund 35 Prozent eines Altersjahrgangs ein Studium aufgenommen. Darin eingerechnet sind auch jene, die aus dem Ausland nach Deutschland kamen, sodass die tatsächliche Anfängerquote der Deutschen bei etwa 30 Prozent lag.
Damit schafft es Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern auf den vorletzten Platz. In Tschechien studiert die Hälfte und in den Niederlanden fast 60 Prozent eines Jahrgangs. Gerade Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien entscheiden sich selbst mit bestandenem Abitur nur zur Hälfte für ein Studium.
Eine Ursache für die geringe Studierneigung könnte sein, dass es in Deutschland die duale Berufsausbildung als attraktive Alternative gebe, meint David Reiner vom Zentrum für Europäische Sozialforschung in Mannheim. Eine weitere Ursache sei die starke soziale Schichtung im Schulsystem. "Ein Großteil der Selektion geschieht in früheren Phasen des Bildungssystems."
Der Weg an die Uni führt in den meisten Ländern klassischerweise über die Gymnasien oder vergleichbare Schulformen. Deutschland liegt hier im Trend. Nur einer von hundert Studierenden gelangt ohne Abitur oder Fachhochschulreife auf eine Hochschule, und auch über den zweiten Bildungsweg gelangen insgesamt gerade mal fünf Prozent zum akademischen Abschluss. Der Rektor der Humboldt-Universität, Christoph Markschies, fordert die Unis auf, sich für Nichtakademiker zu öffnen. "Viele Hochschullehrer denken aber noch im Dualismus: Klasse statt Masse."
Wenn Deutschland sein Ziel erreichen wolle, dass künftig 40 Prozent eines Jahrgangs ein Studium aufnähmen, müssten Möglichkeiten für Erwerbstätige oder Eltern geschaffen werden, meint Hochschulforscherin Middendorff. "Unsere Untersuchungen zeigen den Bedarf an Teilzeitstudienplätzen." Wie in anderen Ländern sind über 90 Prozent der Studierenden in Deutschland im Vollzeitstudium eingeschrieben.
Leser*innenkommentare
Yoram hartmann
Gast
Im Titel heisst es "Deutsche Unis sollen offener werden". Im Artikel erfährt man dann allerdings:
"Ein Großteil der Selektion geschieht in früheren Phasen des Bildungssystems." Wenn es zuwenig
Arbeiterkinder an der Uni gibt, weil diese auch
bei genügender Begabung nicht zum Gymnasium
geschickt wurden, dann muss man da etwas ändern.
Leuten, die nicht Abitur gemacht haben, nicht auf
dem Gymnasium waren, fehlt eine Menge Wissen.
Sie trotzdem zum Studium an der Uni zuzulassen,
ist der falsche Weg.