Tag der Deutschen EInheit: Das Einheitsfest

Auf der Straße des 17. Juni ist alles egal. Ob Weltmeisterschaft, Silvester oder Tag der Deutschen Einheit. Der Berliner kommt. Fanmeile zieht immer

Tag der Deutschen Einheit: ein sowjetischer Kampfpanzer steht auf der Straße des 17. Juni Bild: dpa

Sei es bei Fußball-WM, an Silvester oder am 3. Oktober - die Fanmeile ruft. Und Berlin kommt. Ursache und Wirkung sind eindeutig und folgerichtig miteinander verknüpft. Es gilt das Kausaltitätsprinzip. Ex nihilo nihil - von nichts kommt nichts. Als werfe man eine Münze in einen Spielautomaten, auf dem oben eine Puppe auf einem Bein steht, und prompt fängt die Ballerina zu tanzen an.

Schon Unter den Linden spürt man, dass hier zwei Kräfte aufeinanderprallen: der Einzelne und das Ganze. Menschen, noch Elementarteilchen, sind in Schwingung geraten, fangen an, sich zu drängen, stoßen zusammen, weichen aus. Das macht sie schneller - hin zum Brandenburger Tor. Sie werden angezogen. Alle. Der wehmütige Ton, den Leierkastenmänner ihren Drehorgeln am Straßenrand entlocken, lässt ihre Seelen fliegen.

Das Brandenburger Tor steht wie seine eigene Kulisse am Pariser Platz. Weil hinter ihm die große Bühne der Fanmeile aufgestellt ist, ist kein Blick in die Weite des Tiergartens möglich. Stattdessen nur eine graue Wand. Wer der Anziehung folgt, wird sie umgehen, wird die Schlupflöcher finden links und rechts neben dem Tor. Die Anziehung saugt alles hinein in die Fanmeile. Und dann?

"Oh, il Reichstag, il parlamento!", ruft eine junge Frau aus und umarmt ihre Nachbarin, als spüre sie plötzlich nach großer Gefahr, zu ertrinken, doch Land. Denn plötzlich ist Raum da. Und Gerüche, Geräusche, blinkende Lichter. Noch im banalsten Ton, einem wummernden Bass, einem fernen Tatütata, noch im simpelsten Duft, sei es nach Grillkohle oder Zuckerwatte, noch im dumpfesten Glitzern einer Lichterkette, eines schwarz-rot-goldenen Herzens, steckt ein Versprechen. Ein Kind zeigt quengelnd in den Himmel, als gäbe es dort etwas, was es haben will. Der Vater sieht nichts. "Nichts" ist das Stichwort. Denn nichts ist alles. "Wollten ma kieken, wat jeht", sagt ein Alter mit Berliner Kindl in der Hand. Hinter ihm prangt Coca-Cola-Werbung. Und, was geht? "Nu sehen Se nich, all die Leute, die vorbeiloofen?" - So sind die Berliner.

Der männliche Teil eines sich küssendes Paares gibt auch Antworten. Wegen der Band Scooter seien sie gekommen. Seit gestern ist der küssende Berliner Student der Verwaltungswirtschaft. Bei der EM war er auch auf der Fanmeile. Silvester allerdings sei ihm zu kalt. Ein anderes Paar wiederum, schon im Wintermantel, ist extra aus Falkensee angereist. Aus Neugierde und weil im Schrebergarten nichts mehr zu tun sei. Eine Grauhaarige wiederum sagt im Vorbeigehen: "Es riecht nach Glühwein." "Glühwein, was ist das?", fragt das Kind an ihrer Hand.

Gar nicht weit vom Riesenrad, auf halber Höhe der Fanmeile, steht ein Rothaarige biertrinkend neben einem riesigen Mann. Krankenschwester sei sie, ihr Sohn bei der Security. "Ich besuch den hier, weil ich freihabe." Und dass es der 3. Oktober ist? "Es reicht, dass wir ihn auf der Straße des 17. Juni feiern", antwortet der Mann.

So geht das weiter. Man lässt sich treiben. Vorbei an erwartungsvollen Menschen, vorbei an Luftballontrauben in Schwarz, Rot und Gold und mitten durch Dreitonmelodien, Grillschwaden, Bratkartoffel- und Waffelduft. Ein Mann hängt seiner Freundin ein Lebkuchenherz um. "Meine Prinzessin" steht drauf. Natürlich ist der Lebkuchenherzmann jedes Mal auf der Fanmeile dabei. EM, WM, Silvester, was noch. Und der Unterschied? Den erklärt ein Rocker in Lederhose mit Kinderwagen. "Bei der EM steht man, heute geht man." An Silvester aber, da würde er manchmal gern schneller gehen, um nicht zu frieren. Nur komme man nicht voran.

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